Arzt und Recht - OUP 09/2018

Aufklärung in besonderen Situationen: Methodenwahl und Behandlungsalternativen*
Arzthaftungsrecht

Rainer Hellweg1

1 Dr. Hellweg ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, M.mel., Hannover

* Quelle: ChefärzteBrief Nr. 4/2018, Seite 8, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des IWW Institut für Wissen in der Wirtschaft GmbH

Wenn es unterschiedliche Behandlungswege gibt, ist die Methodenwahl grundsätzlich Sache des behandelnden Arztes. Gleichwohl können in dieser Situation besondere Aufklärungsanforderungen bestehen. Dass diese aber nicht überdehnt werden dürfen, zeigt ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm (Urteil vom 09.01.2018, Az. 26 U 21/17). Der folgende Artikel erörtert, was Ärzte bei der Aufklärung beachten müssen, wenn mehrere Behandlungsalternativen vorliegen.

Sachverhalt

Eine 61-jährige Patientin klagte gegen eine Krankenhausärztin und den Krankenhausträger. Bei der Patientin sollte ein Herdbefund der linken Brust abgeklärt werden. Die Krankenhausärztin riet zu einer Exzision des betroffenen Gewebes im Wege der offenen Biopsie. Die Patientin hatte sich derartigen Behandlungen bereits früher unterzogen und willigte ein. Die Exzision erfolgte, wie vereinbart, als offene Biopsie. Im Jahr darauf zeigte sich erneut ein Herdbefund in der linken Brust. Diesen ließ die Patientin mittels Stanzbiopsie abklären. Der Befund ergab ein regressiv verändertes Papillom. Die Patientin ließ das betroffene Gewebe in einer anderen Klinik entfernen. Dabei kam es zu einer Entzündung und erheblichen Wundheilungsstörungen.

Die Patientin verklagte die im Rahmen der ersten Krankenhausbehandlung tätig gewordene Ärztin sowie den Krankenhausträger. Zum Vorwurf machte sie sowohl Behandlungs- als auch Aufklärungsfehler. Eine offene Biopsie sei seinerzeit kontraindiziert gewesen. Zudem sei sie nicht über die Möglichkeit aufgeklärt worden, den Befund mittels Stanzbiopsie abklären zu lassen. Erst aufgrund der fehlerhaften ersten Krankenhausbehandlung seien die Folgebehandlungen notwendig geworden. Das OLG Hamm wies die Klage ab.

Entscheidungsgründe

Das Gericht war der Auffassung, dass kein Aufklärungsfehler vorlag. Die Stanzbiopsie sei zwar eine echte, anerkannte Behandlungsalternative zur gewählten offenen Biopsie gewesen. Allerdings seien beide Methoden mit wesentlich unterschiedlichen Belastungen und Erfolgschancen verbunden: Die Stanzbiopsie hätte sich auch ohne Operation in wenigen Minuten unter Lokalanästhesie durchführen lassen, hätte aber im vorliegenden Fall ein höheres Risiko bedeutet.

Angesichts der Größe des Befunds und vieler Voroperationen im Bereich der Brust der Patientin wäre eine Stanzbiopsie sehr aufwendig und schwierig gewesen und hätte eines hoch spezialisierten Behandlers bedurft. Demgegenüber sei das Risiko, den vorhandenen kleinen Tastbefund zu verfehlen, bei einer offenen Biopsie deutlich geringer gewesen. Die offene Biopsie habe damit die größere diagnostische Sicherheit geboten und sei im Idealfall anders als die rein diagnostische Stanzbiopsie zugleich als therapeutischer Eingriff in Betracht gekommen. Auch wenn die offene Biopsie generell alle Risiken eines invasiven Eingriffs in sich berge, sei sie in der konkreten Situation zumindest gleichwertig gegenüber einer Stanzbiopsie gewesen.

Merke Grundsätzlich ist die Stanzbiopsie risikoärmer. Im vorliegenden Fall mit multiplen Voroperationen der Brust und entsprechenden Vernarbungen ist aber das Risiko, den Befund nicht zu treffen, bei der Stanzbiopsie höher.

Der medizinische Sachverständige kam zu dem Schluss, dass man in der Behandlungssituation entweder eine offene oder eine Stanzbiopsie „ohne Weiteres hätte machen können“. Somit bewege man sich bei dieser Sachverhaltskonstellation im Grenzbereich der Medizin, bei dem die Auswahl der Methode allein in das Ermessen des Arztes gestellt sei – so die OLG-Richter. Daher sei der Rat der Krankenhausärztin zur offenen Biopsie nicht zu beanstanden gewesen. Da der Patientin aufgrund ihrer Vorerfahrungen die Möglichkeit einer Stanzbiopsie bewusst gewesen sei, sei die Aufklärung im Ergebnis ordnungsgemäß erfolgt. Die Patientin sei im Wissen um die Alternative der Stanzbiopsie dem ärztlichen Rat zur offenen Biopsie gefolgt.

In diesen Fällen muss
aufgeklärt werden

Die Wahl der Behandlungsmethode ist Arztsache. Über alternative Behandlungstechniken oder intraoperative Schnittführungen muss der Arzt den Patienten grundsätzlich nicht aufklären. Zumindest besteht keine Aufklärungspflicht, solange Chancen und Risiken der Behandlungsalternativen gleichwertig sind. Wenn aber eine der Methoden geringere Risiken und/oder höhere Erfolgschancen bietet und somit eine „echte“ Alternative ist, ist der Patient darauf hinzuweisen – auch wenn er nicht ausdrücklich nachfragt.

Beispiele

  • Wenn eine OP-Indikation besteht, die OP aber nicht dringlich und Zuwarten eine Alternative ist, muss der Patient hierüber aufgeklärt werden.
  • Umgekehrt besteht eine Aufklärungspflicht, wenn eine operative Intervention höhere Erfolgschancen verspricht als eine bislang verfolgte konservative Behandlungsstrategie.
  • Wenn es zu einem Erkrankungsbild unterschiedliche diagnostische und therapeutische Ansätze gibt, muss der Arzt dies dem Patienten erklären. Dabei sind im gemeinsamen Gespräch Pro und Kontra abzuwägen. Nur auf dieser Grundlage hat der Patient eine echte Wahlmöglichkeit.

Praxishinweis Gerade wenn es um echte Behandlungsalternativen geht, sollten Sie den Inhalt des Aufklärungsgesprächs zumindest im Groben schriftlich dokumentieren. Im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs vor einem Eingriff sind etwa handschriftliche Ergänzungen im Aufklärungsbogen anzuraten. Dies zu Beweiszwecken, um für einen möglichen späteren Haftungsprozess vorzubeugen!

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