Übersichtsarbeiten - OUP 06/2014

Behandlung der begleitenden Innenbandverletzung bei der VKB-Ruptur des Athleten
Ungelöste Probleme und neue TherapiekonzepteUnsolved problems and new therapy concepts

F. Blanke1, J. Paul1, M. Majewski1, 2, V. Valderrabano1, G. Pagenstert1

Zusammenfassung: Die begleitende MCL-Verletzung ist eine häufige Pathologie bei Athleten mit VKB-Ruptur. Eine Klassifikation oder ein standardisierter Behandlungsalgorithmus existieren aktuell nicht für dieses Verletzungsmuster. Die VKB-Rekonstruktion gilt als Standard bei Athleten mit VKB/MCL-Verletzung. Sowohl die frühe als auch die späte VKB-Rekonstruktion zeigten gute Langzeit-Ergebnisse betreffend der VKB- und MCL-Funktionalität, die direkte, posttraumatische VKB-Rekonstruktion birgt allerdings ein erhöhtes Risiko für eine Arthrofibrose. Die Behandlung der begleitenden MCL-Verletzung ist weiterhin unklar. Zumindest für die begleitende erstgradige MCL-Verletzung ist die konservative Behandlung akzeptierter Standard. Die Behandlung der zweit- und drittgradigen MCL-Verletzung wird kontrovers diskutiert, nicht allein wegen unterschiedlicher Behandlungsergebnisse, sondern auch wegen heterogener Klassifikationen. Das von den Autoren vorgeschlagene Behandlungskonzept könnte den Umgang mit der begleitenden MCL-Verletzung erleichtern, da es eine klinisch basierte Klassifikation und konklusive Therapiemaßnahmen beinhaltet.

Schlüsselwörter: MCL, VKB, Behandlungsalgorithmus,
Klassifikation, AMRI

Zitierweise
Blanke F, Paul J, Majewski M, Valderrabano V, Pagenstert G. Behandlung der begleitenden Innenbandverletzung bei der VKB-Ruptur des Athleten. Ungelöste Probleme und neue Therapiekonzepte.
OUP 2014; 6: 278–284 DOI 10.3238/oup.2014.0278–0284

Summary: Concomitant MCL-lesion is a common injury pattern in athletes with ACL rupture. Classification or standardized treatment algorithm do not exist in literature. ACL reconstruction is mandatory in athletes with ACL/MCL-injury. Both early and late reconstruction of ACL showed good functional results with regained coronal and sagittal stability, however posttraumatic ACL-reconstruction means higher risk of arthofibrosis. Treatment of concomitant MCL-lesion remains unclear. At least for concomitant grade I MCL-lesion conservative treatment is accepted. However, treatment of concomitant MCL-lesion grade II and III is inconsistent, both because of different outcome results and heterogenity of classifications. Proposed treatment concept might be able to facilitate management of concomitant MCL-injury, because it consists of classification and conclusive treatment strategies.

Keywords: MCL, ACL, treatment, classification, AMRI

Citation
Blanke F, Paul J, Majewski M, Valderrabano V, Pagenstert G. Treatment of concomitant MCL lesion in athletes with ACL rupture.
Unsolved problems and new therapy concepts.
OUP 2014; 6: 278–284 DOI 10.3238/oup.2014.0278–0284

Einleitung

Das mediale Kollateralband (MCL) ist die am häufigsten verletzte Bandstruktur insgesamt am Kniegelenk [1]. Die Ruptur des vorderen Kreuzbands (VKB) ist jedoch die häufigste Verletzung am Kniegelenk, die zu einer pathologisch veränderten Kniekinematik führt [1, 2]. Von den Patienten mit MCL-Verletzung zeigen laut Literatur 96 % eine Grad-II-oder Grad-III-Verletzung [2]. Das Problem solcher statistischen Aussagen sind die uneinheitlich gebrauchten Klassifikationen mit jeweils unterschiedlichen Verletzungsmustern für die verschiedenen Grade der MCL-Läsion. Zudem scheint diese Angabe höchstwahrscheinlich eine Fehleinschätzung zu sein, da die meisten MCL-Verletzungen ersten Grads geringe Symptome zeigen und Patienten oftmals keine professionell-medizinische Betreuung suchen [2].

Bei einer Komplettruptur des MCL ist das Risiko einer zusätzlichen Bandverletzung am Kniegelenk ca. 78 %. Bei diesen Patienten mit zusätzlicher Bandverletzung ist in 95 % der Fälle das VKB betroffen [2]. Die operative VKB-Rekonstruktion wird bei Athleten als therapeutischer Standard angesehen, um den Sportlern eine Rückkehr zu Sportarten mit Rotationsbewegungen, Gegnerkontakt oder schnellen Richtungswechseln zu ermöglichen [3]. Darüber hinaus wurde postuliert, dass das VKB als sekundärer Stabilisator bei Valgus-Stress wirkt [4]. Daher existiert die Annahme, dass ein insuffizientes VKB den Heilungsverlauf bei bestehender MCL-Verletzung beeinträchtigen kann, bedingt durch die verursachte Instabilität [5].

Das MCL hingegen ist bekannterweise der primäre Valgus-Stabilisator [4]. Im Falle einer isolierten MCL-Verletzung zeigten sich sehr gute Behandlungsergebnisse nach konservativer Therapie von Grad-I- und Grad-II-Läsionen [2]. Sogar bei kompletter MCL-Ruptur (Grad III) konnten gute Ergebnisse mittels konservativer Therapie gezeigt werden, mit Rückkehr von Patienten zu kniegelenkbelastenden Sportarten wie American Football [7, 8].

Trotz dieser Therapieerfolge bei der isolierten MCL-Verletzung bleibt die Behandlung der begleitenden Innenbandverletzung bei Athleten mit VKB-Ruptur kontrovers. Dies wird durch die Heterogenität der publizierten Therapieempfehlungen bezüglich operativer oder nicht-operativer Behandlung bei der begleitenden MCL-Verletzung eindrücklich belegt [9–20]. Darüber hinaus werden die derzeitigen Therapieempfehlungen für die begleitende, aber auch für die isolierte Innenbandverletzung, durch die unterschiedlichen Klassifikationen der MCL-Verletzung beeinträchtigt. Die Bedeutung einer anteromedialen Rotationsinstabilität (AMRI) in der Therapieentscheidung ist unklar. Aufgrund dieser bestehenden Unstimmigkeit ist das Ziel dieses Artikels, publizierte Therapieergebnisse zu evaluieren sowie ungelöste Probleme zu benennen und ein mögliches Therapiekonzept zu entwickeln, welches den Umgang mit der begleitenden MCL-Verletzung erleichtern kann.

Operative oder konservative Behandlung? Therapieergebnisse in der Literatur

Die konservative bzw. operative Behandlung der begleitenden Innenbandläsion ist in mehreren Studien untersucht worden [9–20]. Wie oben erwähnt, ist die nicht-operative Therapie der isolierten MCL-Verletzung aufgrund exzellenter Behandlungsergebnisse grundsätzlich akzeptiert. Die Behandlung der begleitenden MCL-Verletzung bei VKB-Läsion wird hingegen kontrovers diskutiert. Die konservative Behandlung einer begleitenden erstgradigen MCL-Verletzung erscheint sinnvoll, da in diesem Fall die medialen Kapsel-Bandstrukturen nur geringen Schaden nehmen und zudem keine Valgus-Instabilität vorliegt.

Diese Hypothese wurde sodann auch in einigen Studien bestätigt [16, 17, 18]. Schierl et al. berichteten über sehr gute Ergebnisse nach VKB-Rekonstruktion und konservativer Behandlung des MCL bei Patienten mit VKB-Ruptur und Grad I MCL-Verletzung [16]. Weitere Studien konnten diese Behandlungsergebnisse bekräftigen und empfahlen ebenfalls die konservative Behandlung bei der begleitenden, erstgradigen Innenbandverletzung [17, 18]. Die Klassifikation der MCL-Verletzung wurde in genannten Studien entweder durch isolierte Testung in 30° Flexion oder kombinierte Untersuchung in 30° und 0° Flexion durchgeführt [16, 17, 18].

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