Übersichtsarbeiten - OUP 02/2023

Frakturen des oberen Sprunggelenkes
Anfängeroperation oder doch Komplexeingriff?

Sebastian Ternes, Atesch Ateschrang

Zusammenfassung:
Die Fraktur des oberen Sprunggelenkes ist häufig und betrifft alle Altersklassen bei Männern wie Frauen gleichermaßen. Häufig als Einsteigereingriff deklariert, offenbart sich nach entsprechender Diagnostik in einer Vielzahl der Fälle eine Kombinationsverletzung, die einer guten präoperativen Vorbereitung und letztlich auch einer exakten technischen Umsetzung bedarf. Auch bei bestmöglicher Osteosynthese entwickeln 10 % der Betroffenen eine posttraumatische Arthrose, die sowohl für die Lebensqualität als auch volkswirtschaftlich relevant ist. In diesem Artikel möchten wir aktuelle diagnostische und therapeutische Standards und unsere Herangehensweise darstellen.

Schlüsselwörter:
Sprunggelenkfrakturen, Frakturklassifikation, OP-Technik, Tibiofibulare Syndesmose

Zitierweise:
Ternes S, Ateschrang A:
Frakturen des oberen Sprunggelenkes. Anfängeroperation oder doch Komplexeingriff?
OUP 2023; 12: 72–77
DOI 10.53180/oup.2023.0072-0077

Summary: Ankle fractures are the most common fractures of the lower extremity and occur in women and men regardless of their ages. The operative treatment is often named to be a “rookie procedure” but after careful diagnostics, more cases reveal to be more complex than assumed. Despite of being fixed correctly, 10 % of the patients suffer posttraumatic arthrosis causing significant loss of quality of life and work ability in our economic systems. In this review, we present our pathways and standards of current therapy strategies.

Keywords: Ankle fractures, fracture classification, surgical techniques, tibifibular syndesmosis

Citation: Ternes S, Ateschrang A: Ankle fractures. „Rookie procedure“ or complex surgeries?
OUP 2023; 12: 72–77. DOI 10.53180/oup.2023.0072-0077

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Akad. Lehrkrankenhaus der Universitätsmedizin der JG-U Mainz, Ev. Stift St. Martin, Koblenz

Epidemiologie

Die Fraktur des oberen Sprunggelenkes ist im unfallchirurgischen Alltag das „täglich Brot“ mit einer jährlichen Inzidenz von 169 pro 100.000 Einwohner. Letztere stellt nach Bandverletzungen die zweithäufigste Verletzung der unteren Extremität dar. Dabei sind alle Altersklassen betroffen, Männer mit einem Häufigkeitsgipfel < 30 Jahre und Frauen > 60 Jahren [1]. In 80 % der Fälle bedingt eine indirekte Krafteinwirkung im Rahmen von Verdreh- bzw. Distorsionstraumata die Fraktur der Maleolengabel. Die restlichen 20 % entfallen auf Hochrasanz-Traumata wie Verkehrsunfälle oder Stürze aus großer Höhe. Das direkte Anpralltrauma ist selten. Bis zu 10 % der Patientinnen und Patienten entwickeln eine posttraumatische OSG-Arthrose, 20–30 % beklagen chronische Beschwerden im Sinne von Schmerzen sowie Bewegungseinschränkungen [2]. Um diese hohe Restbeschwerderate so gering wie möglich zu halten, bedarf es einer sehr sorgfältigen Fraktur- bzw. Verletzungsanalyse. Nur dadurch kann die chirurgische Therapiestrategie detailliert entwickelt und intraoperativ umgesetzt werden.

Diagnostik

Klinische Untersuchung

Die wesentliche Basis jeder apparativen Diagnostik ist eine sorgfältige Anamnese und körperliche Untersuchung. Hierzu gehören die Inspektion des Haut- und Weichteilmantels mit Prüfung der peripheren sensomotorischen Funktionen. Offensichtliche Fehlstellungen und die Palpation mit Erhebung von Schmerzpunkten ermöglichen im klinischen Alltag eine effiziente und zielgerichtete Primäreinschätzung. Zu empfehlen ist die gesamte Extremität sowohl inspektorisch, als auch die Funktion der angrenzenden Gelenke zu überprüfen.

Das klinische Erscheinungsbild kann sehr variabel sein, es reicht von geringer Schwellung mit milder Belastungsinsuffizienz bis hin zu ausgeprägten Weichteilschwellungen mit Spannungsblasen und (drohendem) Kompartmentsyndrom sowie offensichtlichen Luxationen und/oder offenen Frakturen.

Bildgebende Diagnostik

Standard bei der bildgebenden Diagnostik ist die native Röntgenaufnahme im seitlichen und „wahre“ AP-Strahlengang in Mortise View (20° Innenrotation des Unterschenkels). Ist ein sicherer Frakturausschluss nicht möglich, sollte eine erweiterte Bildgebung in Form einer Computertomographie (CT) erfolgen. Die CT ist hilfreich zur Planung der operativen Versorgungsstrategie, insb. bei Komplexverletzungen [3]. Ein MRT ist bei Erwachsenen mit Frakturverdacht nicht sinnvoll und lediglich speziellen Fragestellungen bei ligamentären und osteochondralen Begleitverletzungen oder unklarer Beschwerdesymptomatik vorbehalten [4].

Bei isolierten Innenknöchelfrakturen oder Frakturen des hinteren Volkmanndreiecks sollte mit einer Röntgenaufnahme des Unterschenkels im seitlichen und AP-Strahlengang nach einer okkulten hohen Fibulafraktur im Sinne einer Maisonneuv-Fraktur gefahndet werden.

Bei erkennbaren Luxationsfrakturen sollte bereits im Rahmen der Notfallbehandlung noch vor Durchführung der radiologischen Bildgebung eine Reposition unter suffizienter Analgosedierung zur Entlastung der Weichteile erfolgen. Allerdings setzt dies auch ein Mindestmaß an Erfahrung voraus. Nachfolgende Schnittbildgebungen bei nicht reponierten Gelenken sollten unbedingt vermieden werden.

Die Beurteilung der Röntgenaufnahmen sollte nach einem klaren Algorithmus erfolgen. In AP-Projektion werden zunächst die Kortizes von Tibia, Fibula und Talus auf Unterbrechungen untersucht. Es folgt die Beurteilung der tibiofibularen Gelenklinie, der sog. Shenton-Linie (Abb. 1A). Jede hier auftretende Asymmetrie ist bis zum Beweis des Gegenteils als pathologisch zu betrachten. Zur Beurteilung der Syndesmose kann die ligne clair bzw. die tibiofibular clear-space (Abb. 1A) betrachtet werden. Eine Aufweitung der ligne clair auf 6 mm und mehr ist als Instabilität der Syndesmose zu werten, was letztlich auch die Instabilität der Sprunggelenkgabel beweist. Ebenso sollte der tibiofibular overlap beachtet werden (Abb. 1B). Dieser sollte bei korrekter Projektion nicht kleiner als 1 mm sein. Sollte der medial clear space (Abb. 1B) 4 mm überschreiten, besteht der hochgradige Verdacht auf eine Innenband- bzw. Deltaband-Ruptur [5].

Einteilungen und Klassifikationen

Die gebräuchlichste Klassifikation im klinischen Alltag geht auf die von Weber modifizierte Denis-Klassifikation aus dem Jahr 1966 zurück und orientiert sich an der Frakturhöhe der Fibula in Bezug zur Syndesmose (Abb. 2C) [6].

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