Übersichtsarbeiten - OUP 04/2015

Früher Ermüdungsbruch am Prothesenhals einer konventionellen zementfreien Hüftendoprothese

T. K. Lichtinger1, M. Lahner2, L. V. v. Engelhardt3, 4, C. v. Schulze Pellengahr2, W. Teske2

Zusammenfassung: Ermüdungsbrüche moderner
zementfreier Endoprothesenstiele sind selten. Wir
berichten über den Bruch des Endoprothesenhalses (Polarstem, Fa. Smith & Nephew) ohne Trauma bei einem männlichen Patienten (BMI 37) nach nur 2,3 Jahren Standzeit. Die visuelle und rasterelektronenmikroskopische Untersuchung des Explantats bestätigten einen Ermüdungsbruch. Aufgrund dieses Einzelfalls verwenden wir den oben genannten Implantat-Typ bei stark übergewichtigen Patienten nicht mehr.

Schlüsselwörter: Polarstem, Ermüdungsbruch, übergewichtige Patienten

Zitierweise
Lichtinger TK, Lahner M, v. Engelhardt LV, v. Schulze Pellengahr C, Teske W. Früher Ermüdungsbruch am Prothesenhals einer konventionellen zementfreien Hüftendoprothese.
OUP 2015; 04: 197–199 DOI 10.3238/oup.2015.0197–0199

Summary: Fatigue fractures of modern cementless hip arthoplasty stems are uncommon. We report about the fracture of the neck-stem region (Polarstem, Fa. Smith & Nephew) without trauma in a male patient (BMI 37) after 2.3 years follow-up. Examination by light microscope and scanning electron microscope confirmed a fatigue fracture mechanism. Due to the described individual case we do not recommend the above mentioned device for obese patients.

Keywords: Polarstem, fatigue fracture, obese patient

Citation
Lichtinger TK, Lahner M, v. Engelhardt LV, v. Schulze Pellengahr C, Teske. W Early Fatigue fracture of the neck of a conventional cementless hip arthroplasty stem.
OUP 2015; 04: 197–199 DOI 10.3238/oup.2015.0197–0199

Einleitung

Die primäre Endoprothetik des Hüftgelenks ist ein oft angewandtes und sicheres Standardverfahren. Ermüdungsbrüche bei modernen zementfreien Endoprothesenstielen sind bekannt. In der Regel sind modulare Systeme an ihren Verbindungsstellen betroffen. Hierbei können Implantate versagen, die zum Ersteinbau vorgesehen sind [1]. Gefährdeter sind aber modulare Revisionssysteme, da insbesondere bei proximalen Knochendefekten hohe Kräfte auf die Kopplungsstellen wirken können [2, 3, 4]. Ermüdungsbrüche bei nichtmodularen Implantaten sind selten [5, 6].

Wir berichten im Folgenden über einen Ermüdungsbruch am Übergang zwischen Hals und Prothesenkörper eines nicht modularen zementfreien Standardimplantats nach kurzer Standzeit bei einem übergewichtigen Patienten. Nach unserer Kenntnis ist dieser Versagensmechanismus für den hier beschriebenen Implantat-Typ (Polarstem, Smith & Nephew, Marl) noch nicht beschrieben.

Kasuistik

Erstimplantation

Bei dem 59 Jahre alten Patienten erfolgte wegen einer Coxarthrose die Implantation einer zementfreien Hüft-TEP (Abb. 1) in Standardtechnik (Rückenlagerung, transglutealer Zugang). Der Patient wog bei einer Körpergröße von 178 cm ca. 116 kg (BMI 37).

Implantiert wurde eine Ana-Nova-Pfanne mit 56 mm im Durchmesser, ein Keramik-Inlay und ein Polarstem Gr. 4 Standard in Kombination mit einem Keramikkopf mit 36 mm Durchmesser der Länge 0 (alle Smith & Nephew, Marl). Der Polarstem besteht aus einer Titanlegierung (Ti6AL4V) und ist mit einer porösen Titanbeschichtung und zusätzlicher HA-Beschichtung versehen. Ferner ist die Halsgeometrie schlank, um eine höhere „Range of Motion“ zu gewährleisten.

Nach dem stationären Aufenthalt in der operativen Klinik erfolgte eine Anschlussrehabilitationsmaßnahme. Die nachfolgenden klinischen und röntgenologischen Untersuchungen zeigten keine pathologischen Befunde. Der Aktivitätslevel des Patienten war eher gering. Der Patient war als Wachmann tätig und führte in seiner Freizeit leichte Gartenarbeiten aus.

Endoprothesenbruch
und Revisionsoperation

2,3 Jahre nach der Implantation verspürte der Patient ein plötzliches Weggehen des linken Beins und er stürzte. Röntgenologisch (Abb. 2) zeigte sich ein Halsbruch des Polarstems. Der Endoprothesenstiel als solcher und die Hüftgelenkpfanne zeigten sich röntgenologisch fest integriert. Es erfolgte der Endoprothesenstielwechsel über ein erweitertes Knochenfenster in Seitenlage, wobei der fest integrierte Stiel mit Sägen und Meißeln aus dem Knochen entfernt werden musste. Die Rekonstruktion wurde mit einem modularen MRP-Titanstiel (Peter Brehm, Weisendorf) und Cerclagekabel (Synthes, Umkirch) durchgeführt.

Schadenanalyse

Nach dem Ausbau des gebrochenen Polarstems erfolgte eine Meldung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM, Bonn). Der explantierte Polarstem wurde nach schriftlicher Einverständniserklärung durch den Patienten zur materialtechnischen Untersuchung an die Herstellerfirma übergeben.

Die visuelle und die rasterelektronenmikroskopische Untersuchung zeigten einen Bruchausgang am kranialen Aspekt des Schafthalses. Die Bruchflächencharakteristika ergaben einen Ermüdungsbruch infolge zyklischer Überbelastung. Eine Vorbeschädigung, eine fehlerhafte Materialzusammensetzung oder einen Herstellungsfehler konnten nicht gefunden werden. Die Position des Ausgangspunkts des Bruchs deckte sich mit den Bereichen, in welchen die Prothese bei regulärer Funktion die höchste Belastung erfährt. Die Kombination von deutlichem Übergewicht (BMI 37) und relativ kleiner Schaftgröße (Größe 4) wird als ursächlich für den Ermüdungsbruch angesehen. Das Einverständnis zur Publikation wurde vom Patienten gegeben.

Schlussfolgerung

Nach unserer Kenntnis sind bisher keine Brüche des zementfreien, aus einer üblichen Titanlegierung (Ti6Al4V) bestehenden Polarstems bekannt. Im vorliegenden Fall fanden sich keine Materialfehler oder Fehler bei der Anwendung des Implantats. Ferner gab es keine Hinweise auf ungewöhnliche äußere Spitzenbeanspruchungen. Auffällig war nur ein relativ hohes Körpergewicht bei eher kleineren knöchernen Verhältnissen. Die verwendete Schaftgröße 4 entspricht eher einer kleinen bis mittleren Größe der in den Größen von 01–10 erhältlichen Komponenten. Somit ist eine relative Überbelastung des Implantats durch den überdurchschnittlich schweren Patienten die wahrscheinlichste Schadensursache. Bei übergewichtigen Patienten scheint grundsätzlich das Bruchrisiko von Endoprothesenstielen an der Hüfte unabhängig von Design und Material erhöht [1, 2, 4, 5, 6]. Möglicherweise schwächt im vorliegenden Fall die von der Herstellerfirma gewählte schlanke Halskonfiguration zur Verbesserung der Beweglichkeit die Beanspruchbarkeit des Implantats zusätzlich. Die Verwendung einer lateralisierten Variante wäre theoretisch noch problematischer gewesen, da durch die hierbei höhere Biegebelastung des Prothesenhalses das Frakturrisiko größer geworden wäre. Obwohl es sich im Fall um eine Einzelbeobachtung handelt, verwenden wir inzwischen bei stark übergewichtigen Patienten mit kleineren knöchernen Verhältnissen den zementfreien Polarstem nicht mehr.

Fazit

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