Arzt und Recht - OUP 05/2019

Gerichtsurteile zur intramuskulären Injektion eines Gemischs von Kortison und NSAR bei Rückenschmerzen

Heiko Schott

Der Fall

Wegen akuter Rückenschmerzen aufgrund langjährig bestehender Bandscheibenschäden wurden einem 50-jährigen Patienten von dessen Hausarzt binnen einer Woche viermal die Präparate Solu-Decortin und Diclofenac gleichzeitig in die Gesäßmuskulatur injiziert. Einige Stunden nach Verabreichung der vierten Spritze kollabierte der Patient zuhause. Er wurde mit Schüttelfrost, Atemschwierigkeiten und Schmerzen als Notfall im Krankenhaus aufgenommen, wo er sofort intensivmedizinisch behandelt wurde.

Auslöser des Kollapses war ein schwerer septischer Schock, der ein multiples Organversagen und schließlich dauerhaft eine weitgehende Körperlähmung beim Patienten bewirkte. Ursache der Sepsis war – wie sich später herausstellte – ein Spritzenabszess. Das septische Infektionsgeschehen war für die Ärzte im Krankenhaus nicht zu beherrschen. Es schloss sich ein mehr als ein Jahr andauernder dramatischer Leidensprozess an, während dem der Patient ohne jede Aussicht auf Besserung dauerhaft künstlich beatmet werden musste und weitgehend gelähmt blieb.

Am Ende dieses Leidensprozesses stand der ärztlich begleitete Freitod des Patienten, der seinen Sterbewunsch über Monate hinweg geäußert und diesen auch in Ethikgesprächen mit den behandelnden Ärzten bekräftigt hatte. Der Patient war verheiratet und Vater von drei minderjährigen Kindern.

Das Landgericht Lüneburg1 verurteilte den Arzt zur Zahlung von 500.000 Euro Schmerzensgeld. Das Oberlandesgericht Celle sowie der Bundesgerichthof bestätigten die Entscheidung durch Verwerfung der Berufung2 und Zurückweisung der revisionsbezogenen Nichtzulassungsbeschwerde3.

Beurteilung

Die grundsätzlichen Bedenken gegen Injektionen der dargestellten Art sind keineswegs neu4; allerdings die Deutlichkeit der hier besprochenen Entscheidungen.

Während die ältere Rechtsprechung5 davon ausging, der Arzt verletze seine Aufklärungspflicht, wenn er den Patienten nicht auf die Möglichkeit der oralen Verabreichung des Medikaments und die unterschiedlichen Gefahren beider Behandlungsmethoden hinweise, ist dies so nicht mehr möglich. Die intramuskuläre Injektion eines Gemischs der Präparate Solu-Decortin und Diclofenac wird auf Grundlage des erstinstanzlichen Sachverständigengutachtens als grober Behandlungsfehler gewertet. Hintergrund werden nach Ansicht des Verfassers wohl folgende Überlegungen sein:

  • a) Zu den bekannten Nebenwirkungen hochdosierter Kortisongaben gehört die reduzierte Abwehrreaktion gegen Keime. Daneben weist Diclofenac beträchtliche lokaltoxische Eigenschaften auf. Wegen der Häufigkeit der lokalen Komplikationen wurde die Medikamentenkombination von Kortisonpräparaten mit nichtsteroidalen Antirheumatika in den 80er-Jahren durch das damalige Bundesgesundheitsamt vom Markt genommen. Eine Behandlung mit selbst hergestellten Kombinationslösungen von Kortison und Diclofenac wird daher als Verstoß gegen elementare Behandlungsregeln anzusehen sein.
  • b) Die Fachinformation für Solu-Decortin, das Prednisolon entspricht, enthält zahlreiche zugelassene Anwendungsgebiete für eine parenterale Anfangsbehandlung. Lumbago ist jedoch nicht darunter aufgeführt6.

Die Einordnung als grober Behandlungsfehler führt nach § 630h Abs. 5 BGB dazu, dass gesetzlich vermutet wird, dass der (grobe) Behandlungsfehler für die vorliegende Verletzung ursächlich war. Zwar ist der Gegenbeweis gegen diese Kausalitätsvermutung grundsätzlich zulässig, rein praktisch jedoch – von Ausnahmefälle abgesehen – unmöglich.

Der Sachverständige untermauerte den groben Behandlungsfehler insbesondere durch seine Feststellungen, dass die intramuskuläre Injektion der beiden Präparate sowohl dem fachlichen medizinischen Standard als auch den gängigen Leitempfehlungen widerspreche.

Das Oberlandesgericht bestätigte in einem Hinweisbeschluss vom 05.06.2018 die erstgerichtliche Rechtsansicht, dass es auch nicht darauf ankomme, ob der Patient vor Verabreichung der Injektionen in diese eingewilligt habe, weil eine kontraindizierte Behandlung nicht durch eine Einwilligung gerechtfertigt werden könne. Darüber hinaus stehe der dramatische, ungewöhnliche Krankheitsverlauf, der nicht unbedingt vorhersehbar gewesen sei, der Haftung des Arztes nicht entgegen.

Fazit

Der Fall zeigt deutlich die Weiterentwicklung der bestehenden Rechtsprechung auf unter Berücksichtigung der geänderten Gesetzeslage. Herauszustellen ist insbesondere die gerichtliche Feststellung des Ausschlusses einer ärztlichen Rechtfertigung trotz Einwilligung des Patienten bei nichtindizierten Behandlungen. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Patient genau diese Behandlung gewünscht, ja eventuell sogar „bestellt“ hatte. Die Aufklärung vor einer Injektion ist keine juristische Lösung, wenn die Indikation nicht angenommen werden kann und die Behandlung zudem sowohl dem fachlichen medizinischen Standard als auch den gängigen Leitempfehlungen widerspricht. Die Einwilligung oder der ausdrückliche Wunsch eines Patienten nach einer Injektion in einer solchen Gestaltung wird im Falle einer Komplikation nicht dazu führen, dass diese als schicksalhaft gewertet werden würde. Der dokumentierte Patientenwunsch schützt bei Komplikationen nicht vor Haftung, selbst wenn die Injektion ordnungsgemäß aufgeklärt und durchgeführt wurde.

Komplikationen durch intramuskuläre Injektionen stellen nach wie vor einen häufigen Grund für gerichtliche Verfahren gegen Ärzte in Deutschland dar7. Die Volltextveröffentlichungen der besprochenen Entscheidungen liegen bislang noch nicht vor. Dementsprechend wird gegebenenfalls im Hinblick auf weitere Einzelheiten, insbesondere das konkrete Beweisergebnis des erstinstanzlichen Sachverständigengutachtens, noch eine weitere Nachbesprechung erforderlich sein.

Korrespondenzadresse

Rechtsanwalt Heiko Schott

Fachanwalt für Medizinrecht

Leithestraße 39

45886 Gelsenkirchen

Mail@Schmelter-Schott.de

1 LG Lüneburg Urteil (Az. 2 O 157/16).

2 OLG Celle Beschluss vom 10. August 2018 (Az. 1 U 71/17).

3 BGH Beschluss vom 12. März 2019 (Az. VI ZR 355/18).

4 Vgl. KBV, Verordnung Aktuell – Arzneimittel 13. Februar 2015

5 Vgl. OLG Frankfurt, Urteil (Az. 9 U 10/82).

6 So: Fallsammlung der Norddeutschen Schlichtungsstelle, Ärzteblatt Sachsen-Anhalt, Recht 12/2013.

7 KBV, Verordnung Aktuell – Arzneimittel 13. Februar 2015

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