Informationen aus der Gesellschaft - OUP 06/2022

Gruß zum Jahreswechsel

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen in der VSOU,

wieder geht ein ereignisreiches Jahr seinem Ende entgegen. Unsere Jahrestagung im April wurde von den Schrecken des Ukrainekrieges überschattet. Mit den Folgen der Corona-Pandemie hat die Welt immer noch zu kämpfen. Klimawandel, Inflation, Energiekrise stellen unsere Demokratie auf eine ernste Probe. Über die politischen Maßnahmen zur Linderung der Folgen der Energiekrise darf nun geteilter Meinung sein. Die Geschichte hat uns aber nur allzu oft und bitter gelehrt, dass sich die Menschen immer dann zu den politischen Extremen bewegt haben, wenn die persönliche Existenz auf dem Spiel steht. Hier sollten wir wachen Auges sein und mithelfen, die wertvollen Errungenschaften unserer Demokratie zu schützen.

Was passiert mit unserer Medizin?

Das GKV-Finanzierungsgesetz beendet zum neuen Jahr die Neupatientenregelung. Dies bedeutet ein ernst zu nehmendes Problem in der Finanzierung der ambulanten fachärztlichen Versorgung. Die Teilnahme an Selektiv-Verträgen mag eine kurzfristige Erleichterung sein, wie der Name schon vermuten lässt, sind diese Verträge eben auch selektiv und erreichen weder flächendeckend unsere Patientinnen und Patienten, noch alle Kolleginnen und Kollegen, da sie auch länderspezifisch abgeschlossen sind. Die Kliniken stehen vor großen strukturellen Schwierigkeiten, die steigenden Kosten betreffen Niedergelassene wie Kliniken gleichermaßen. Wir alle kämpfen um Personal, was bereit ist, zu den hier möglichen Bedingungen engagiert zu arbeiten. Die Notfallversorgung steht vor der Grenze des Machbaren. Unter dem Aspekt der Qualitätssicherung mussten kleinere Kliniken ihre Notfallversorgung beenden, da sie mit strukturellen Voraussetzungen konfrontiert wurden, die unrealistisch sind. Die Folge ist, dass die Ambulanzen der Kliniken der Maximalversorgung mit Bagatellverletzungen überschwemmt werden. Dies führt zu einer weiteren Überlastung der Mitarbeitenden in den großen Kliniken und zu einer wachsenden Unzufriedenheit unserer gemeinsamen Patientinnen und Patienten.

Unser Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach war zu Gast bei der Eröffnungsveranstaltung des DKOU 2022. Er hat eine außerordentlich gut vorbereitete Rede gehalten und wurde von den Präsidenten des DKOU mit den akut brennenden Problemen im ambulanten und stationären Bereich konfrontiert. Er machte dem Auditorium Hoffnung, dass er im kommenden Jahr eine wegweisende Veränderung der Krankenhausstruktur auf den Weg bringen wird. Von der Abschaffung der DRG war die Rede. Eine Erweiterung der ambulant durchführbaren Operationen soll für eine Entlastung des Personals sorgen, da in der Nacht kein Personal erforderlich sei. Auch wenn ich Herrn Prof. Lauterbach uneingeschränkt Recht geben würde, dass man Themen der erforderlichen Strukturveränderungen und Maßnahmen der Qualitätssteigerung nicht mit Themen der Finanzierung vermengen sollte, so muss man doch klar feststellen, dass es auch zukünftig nicht damit getan sein wird, Geld aus der linken Tasche abzuziehen und in die rechte Tasche zu stecken. Als Wissenschaftler will unser Gesundheitsminister nur Veränderungen im System zulassen, die seine Berater auf evidenzbasierten Studienlage vorlegen können. Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir damit nachhaltige Verbesserungen unseres Gesundheitssystems erzielen werden, wenn der Staat nicht bereit ist, in dieses System mehr Geld zu geben.

Was unsere Patientinnen und Patienten in erster Linie brauchen, ist eine politische Ehrlichkeit. Unser GKV-System beruht auf dem Prinzip „wirtschaftlich-ausreichend-notwendig – zweckmäßig“. Dies mag in Ordnung sein, funktioniert aber nur, wenn alle Beteiligten in diesem System auch mit einer Note 4 zufrieden sind. Das System funktioniert vor allen Dingen dann nicht, wenn Patientinnen und Patienten von Seiten der Politik und der Kostenträger ununterbrochen vermittelt wird, dass jeder alles bekommt, zu jeder Zeit, vom Allerfeinsten. Ich kann nicht Note 1 verkünden, von den Mitarbeitenden in dem System Leistungen für Note 1 abverlangen und nicht bereit sein, für diese Leistungen auch Note 1 zu bezahlen. Stattdessen wird von den Leistungsträgern im System noch verlangt, mit einer mangelhaften Technik die Digitalisierung im Gesundheitssystem umzusetzen, ohne dass sie zu einer relevanten Verbesserung der Patientenversorgung führt. Außer der von den Krankenkassen geforderten eAU ist mit der Telematik nichts anzufangen.

Und NEIN, Herr Prof. Lauterbach, 5000 mehr Studierende pro Jahr für das Medizinstudium zuzulassen, wird nur dann am Ärztemangel etwas ändern, wenn man die Arbeitsbedingungen in Deutschland so ändert, dass man als Ärztin und Arzt hier auch Leistung zeigen will. Und diese Leistungsträger, Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten und alle Arbeitenden im Medizinsystem die Tag und Nacht bereit sind, Verantwortung für die Gesundheit und das Leben unserer Patientinnen und Patienten zu übernehmen, müssen anständig entlohnt werden. Wenn dies nicht geschieht, werden nur 5000 mehr Absolventen ins benachbarte Ausland oder in die Industrie abwandern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Sie ermuntern, politischer zu werden. Wir dürfen nicht länger in dieser Lethargie verharren unter dem Motto „es könnte schlimmer kommen“. Die einzige Erfahrung der letzten Jahrzehnte war, dass es schlimmer kam. Die Hoffnung, dass aus der Gesundheitslobby Veränderung im System entstehen, die wir – wie bisher – mit einer Beschleunigung unseres Hamsterrades kompensieren können, sollten wir nicht mehr haben. Ich möchte vor allen Dingen die jungen Kolleginnen und Kollegen einladen, sich im Berufsverband und in den Fachgesellschaften zu engagieren, um zu zeigen, dass wir uns einig sind und gemeinsam die Macht zeigen, die wir haben. Ohne uns geht nichts.

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