Übersichtsarbeiten - OUP 04/2014

Hallux valgus-Chirurgie
Verfahren, Technik, KomplikationsvermeidungSurgical procedure, technique and avoidance of complications

R. Biedermann1

Zusammenfassung: Die moderne Therapie des Hallux
valgus basiert auf einer Einteilung der Schweregrade der Deformität anhand von dorsoplantaren und seitlichen
Röntgenaufnahmen des betroffenen Fußes unter Belastung. Grundlage nahezu jedes Korrektureingriffs ist der distale Weichteileingriff, welcher die Reposition der Sesambeinchen ermöglicht. Dieser ist jedoch als alleiniger Eingriff meist
unzureichend, weshalb die Kombination mit einer knöchernen Korrektur zu empfehlen ist. Proximale Osteotomien
haben hierbei das größere Korrekturpotenzial. Bei milden Deformitäten mit einem Hallux valgus-Winkel (HVA) bis 19° und einem Intermetatarsalwinkel (IMA) bis 13° werden meist distale Osteotomien am Metatarsale (z.B. Chevron-Osteotomie) durchgeführt. Für moderate Deformitäten (HVA 20°–40°, IMA 14°–20°) stellen diaphysäre Osteotomien (z.B. Scarf, Ludloff-Osteotomie) die geeigneten Verfahren dar. Bei schweren Deformitäten (HVA > 40°, IMA > 20°) können von erfahrenen Chirurgen noch diaphysäre Osteotomien eingesetzt werden, ansonsten basisnahe Osteotomien oder ggf. eine Lapidus-Arthrodese. Besonderes Augenmerk ist auf den distalen Gelenkflächenwinkel (DMAA) zu legen, welcher beim juvenilen Hallux valgus signifikant größer ist als beim Hallux valgus des Erwachsenen. Pathologische DMAAs sind bei proximalen operativen Verfahren ggf. durch eine zweite, distal rotierende Osteotomie (Doppelosteotomie) oder bei Wahl einer diaphysären Osteotomie durch eine Rotation des distalen Fragments zu korrigieren. Die Akin-Osteotomie ist das geeignete Verfahren zur Korrektur eines Hallux valgus
interphalangaeus. Bei ausgeprägten Deformitäten bzw. nach fehlgeschlagenen Korrektureingriffen kann durch eine Arthrodese noch ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden.

Schlüsselwörter: Hallux valgus, Chevron, Scarf, Ludloff, Basisosteotomie, Großzehengrundgelenk Arthrodese

Zitierweise
Biedermann R. Hallux valgus-Chirurgie. Verfahren, Technik, Komplikationsvermeidung.
OUP 2014; 4: 172–177. DOI 10.3238/oup.2014.0172–0177

Summary: Modern surgical treatment of hallux valgus is based on radiological assessment of the deformity in standing a/p and lateral x-rays of the foot. The distal soft tissue procedure is an important part of valgus deformity correction and enables reduction of the sesamoids. It is however not the complete answer and combination with a bony procedure that is recommended. Proximal osteotomies allow a greater correction than distal osteotomies. Most surgeons choose a V-shaped Chevron-osteotomy for mild deformities with a hallux valgus angle (HVA) up to 19° and a intermetatarseal angle (IMA) to 13°. Diaphyseal osteotomies (e.g. Scarf-osteotomy, Ludloff-osteotomy) are recommended for moderate deformities (HVA 20° to 40°, IMA 14° to 20°). Severe deformities (HVA > 40°, IMA > 20°) can be corrected with diaphyseal osteotomies performed by experienced surgeons or with basal osteotomies and with a Lapidus arthrodesis respectively. Correction of the distal metatarsal articular angle (DMAA) which is significantly larger in juvenile hallux valgus deformity is crucial for satisfying results, if necessary in combination with a second rotational osteotomy (double osteotomy). Interphalangeal hallux valgus can be corrected with the Akin-Osteotomy. First metatarsophalangeal joint arthrodesis is indicated for hallux valgus in severe or neuropathic deformities and as a salvage procedure following failed surgery.

Key words: Hallux valgus, Chevron, Scarf, Ludloff, basal osteotomy, first metatarsophalangeal joint arthrodesis

Citation
Biedermann R. Hallux valgus surgery. Surgical procedure, technique and avoidance of complications.
OUP 2014; 4: 172–177. DOI 10.3238/oup.2014.0172–0177

Epidemiologie und
Pathogenese

Die Valgusstellung der Großzehe stellt eine der häufigsten Deformitäten am Skelettapparat dar. So gaben 28,4 % von über 13.000 befragten Erwachsenen über 30 Jahren an, an einem Hallux valgus zu leiden, wobei eine Assoziation mit Alter, weiblichem Geschlecht, rheumatischen Erkrankungen sowie Arthroseleiden bestand [1]. Pathogenetisch sind eine Reihe extrinsischer sowie intrinsischer Ursachen bekannt, die bei jedem Patienten unterschiedliche Einflüsse auf die Entstehung der Deformität haben. Die Kenntnis der jeweiligen Ursachen erlaubt einen wissenschaftlicheren Zugang zur Pathogenese und eine maßgeschneiderte Therapie für den jeweiligen Patienten [2]. Zu den extrinsischen Ursachen gehört neben starker Gewichtsbelastung das Tragen von zu kleinem und fersenerhöhtem Schuhwerk, welches dem westlichen Schönheitsideal und damit der gängigen Schuhmode entspricht.

In einer Studie an 858 österreichischen Kindern im Vorschulalter zeigte sich nur bei 23,9 % eine gerade Zehenstellung, 88,8 % trugen zu kleine Hausschuhe und 69,4 % zu kleine Straßenschuhe, wobei eine signifikante Relation zwischen dem Hallux valgus-Winkel und der Schuhgröße bestand [3]. Dabei trifft die Schuld hier nur teilweise den Schuhkäufer, sondern vor allem die Produzenten, da nur bei weniger als 10 % der Schuhe die angegebene Schuhgröße mit der Innenschuhgröße übereinstimmt. Den Schuh als ursächlichen Faktor bestätigen auch die Erfahrungen aus Japan, wo vor der Öffnung des Landes zur westlichen Welt derartige Deformitäten nicht vorhanden waren, sich aber die Anzahl der fußchirurgischen Eingriffen seit dem 2. Weltkrieg in einer rasanten Entwicklung den Zahlen westlicher Länder angeglichen hat.

Die bekannten prädisponierenden intrinsischen Faktoren sind neben genetischen wie z.B. Bandlaxizität vor allem biomechanische Faktoren, die eine Medialverschiebung des ersten Zehenstrahls mit Pronation des Metatarsaleköpfchens sowie eine Verschiebung der Sesambeinchen und der einwirkenden Muskelzüge nach lateral bedingen. Auch die Assoziation zwischen Metatarsus pimus varus und Hallux valgus wurde mehrfach beschrieben, ist aber nach wie vor in Diskussion, ob sie als Ursache oder als Effekt des Hallux valgus anzusehen ist. Beim Plattfuß führt eine vermehrte Druckbelastung am Metatarsaleköpfchen zu einer Hypermobilität des ersten Zehenstrahls und durch den pronatorischen Effekt des Rückfußvalgus zu einer vermehrten Belastung des medialen Rands der Großzehe während des Abrollvorgangs. Eine primäre Achillessehnenverkürzung beim Spitzfuß bedingt einen vergleichbaren Effekt.

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