Editorial - OUP 10/2017

Handchirurgie

„Ich habe mich auf meine Profession gelegt; die ware einßig und allein meine Lust / ich habe sie bei Zeiten ausgeübt / und die vielfältigen Gelegenheiten/ die mir seither vielen Jahren / da ich sie treibe / zugestossen / entdeckten mir Dinge / welche man nicht mit Mißvergnügen vernehmen wird. Es mögen wohl einige von diesen Materien, nicht hierher zu gehören scheinen; aber wie kan man zeigen Wunden zu heilen / wenn man nicht alle Umstände davon vorstellet? Solches habe mit möglichster Richtigkeit gethan / und erkühne mich mir zu schmeicheln / es werde die Durchlesung dieses Werckchens nicht verdrüßlich fallen.“

So schreibt Herr Joh. Ruleau, „geschwohrener Chirurgi zu Xaintes“ 1716 in seinem Traktat von dem Kaiserlichen Schnitt und den schweren Geburten. Wir hoffen, dass wir uns nach nunmehr exakt 200 Jahren trotz vielfältiger bürokratischer Überlastung ähnlich freudig wie Herr Ruleau über unsere chirurgische Tätigkeit äußern können und hoffen auch ebenso wie er, dass die Durchlesung dieses handchirurgischen Themenheftes nicht „verdrüßlich“ ausfallen wird.

Der Mensch unterscheidet sich in seiner evolutionären Entwicklung durch die Ausbildung seines Hirns und auch der Hand von der übrigen Tierwelt. Die menschliche Hand unterscheidet sich u.a. auch von der Primaten-Hand durch die Opposition des Daumens, so dass neben dem Grobgriff auch der Spitzgriff entwickelt werden konnte. Mit diesen beiden Greiffunktionen kann nahezu jeder Beruf ausgeübt werden. Anders beim Musiker! Hier wird beim Musizieren auf höherem Niveau jedem einzelnen Finger eine besondere Funktion zugewiesen, die evolutionär eigentlich nicht vorgesehen war. Um beim professionellen Musizieren auf hohem Niveau bestehen zu können, ist ein tägliches Üben von vielen Stunden erforderlich. Dies begründet auch die Anfälligkeit der Musiker für krankhafte, zum Teil auch schmerzhafte Funktionsstörungen, so dass an vielen Musikhochschulen in Deutschland inzwischen spezielle musikermedizinische Abteilungen eingerichtet wurden. Aus diesem Grund haben wir auf dem Titelblatt die Bilder von Robert und Clara Schumann platziert, da ihr Schicksal mit dem Beginn der speziellen Musikermedizin verbunden ist. Wir haben der Musikermedizin 2 Beiträge gewidmet. Im ersteren wird dieses Problem aus handchirurgischer Sicht geschildert, der zweite Beitrag beschäftigt sich mit dem spezifischen musikermedizinischen Problem der fokalen Dystonie. Dank sei den Mitautoren Bernd Rieck aus Hildesheim, insbesondere Eckhard Altenmüller, Leiter des Institutes für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover, für die Mitgestaltung und Korrektur der Manuskripte.

Die Mitbeteiligung der Hand und des Handgelenkes ist im Krankheitsverlauf einer Rheumatoiden Arthritis (RA) in nahezu 70 % der Verläufe ein sehr häufiges Ereignis. Der schleichende Verlust der Handfunktion bei RA-Patienten wirkt sich auf ihre Fähigkeit zur Selbstpflege bis hin zur gesellschaftlichen Teilhabe deutlich aus. Dennoch besteht vielerorts weiterhin eine große Zurückhaltung gegenüber operativen Interventionen.

Dabei profitieren die operativen Ergebnisse unzweifelhaft von einem gewachsenen biomechanischen Verständnis. In seiner detaillierten Übersicht stellt Ralph Gaulke dar, dass die Chancen auf eine Schmerzbefreiung oder zumindest eine deutliche Linderung nach der chirurgischen Stabilisierung des Karpus und der Korrektur der Handfehlstellung gut sind, so sollte die Indikation hier großzügig gestellt werden.

Nicht nur nach einem unkontrollierten Fortschreiten der RA-assoziierten Inflammation, sondern auch posttraumatisch nach distaler Radiusfraktur sowie im Endstadium bei SLAC-Wrist (Scapho-lunar advanced collapse) und SNAC-Wrist (Scaphoid non union advanced collapse) oder beim Morbus Kienböck im Stadium IV kann sich eine schmerzhafte Panarthrose des Handgelenkes entwickeln. Weiterhin stellt in diesem Zusammenhang die komplette Handgelenkarthrodese das Verfahren der Wahl dar. Die Ergebnisse entsprechen aber nicht immer dem patientenseitigen Wunsch nach zuverlässiger Schmerzbefreiung bei gleichzeitigem Erhalt der Funktionalität. Gerade bei polyartikulären Verläufen oder bilateralem Handgelenkbefall sollte der Operateur auch immer die Möglichkeit nach einer „beweglichen Lösung“ prüfen. Diesbezüglich zeigt Ingo Arnold in seiner aktuellen Übersicht auf, dass wesentliche Verbesserungen der Implantate zunehmend auch den Stellenwert endoprothetischer Verfahren erhöhen.

Götz Giessler berichtet über die mit Christian Hendrich inaugurierte Hybrid-Patella. Dabei wird in einer Erstoperation einer Patellaprothese in die Scapulaspitze implantiert. Nach Einheilen der Prothese wird die gefäßgestielte Patellaspitze mit Hybridprothese am Knie eingefügt und mikrovaskulär angeschlossen. Durch die bessere Durchblutung des Patellatransplantates erhofft man sich, die Komplikationen der Patellatransplantation ohne mikrovaskulären Anschluss zu vermeiden.

Der Verlust des Oberarmkopfes führt zu einer schweren Einschränkung der Schulterfunktion. In den meisten Fällen ist nur eine Seitwärtshebung des Armes von bis zu 70° möglich. Wir berichten über einen Patienten, der anlässlich eines Motorradunfalles eine Trümmerfraktur des linken Oberarmes erlitt, und dem als Folge eines MRSA-Infektes der Humeruskopf entfernt werden musste. Nach jahrelangem Üben war es dem Patienten trotz der schlechten Prognose möglich, den Arm vollständig bis 180° ohne Funktionsdifferenz zu seinem gesunden rechten Arm zu heben. Dies widerspricht der allgemeinen medizinischen Erfahrung, wir haben auch in der Literatur keinen ähnlichen Fall gefunden. Man ist fast geneigt von einem „Wunder“ zu sprechen, aber auch Wunder sollten erklärt werden. Wir hoffen, dass uns dies in glaubhafter Weise gelungen ist.

Mit kollegialen Grüßen,

Dr. med. Horst Haferkamp, Kassel

Dr. med. Ingo Arnold, Bremen

In Memoriam Prof. Dr. Dieter Buck-Gramcko, der
unser aller Lehrer war.

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