Übersichtsarbeiten - OUP 02/2016

Handrehabilitation

Nicole Drummer1, Frank Siemers1

Zusammenfassung: Nach einer Handverletzung ist für die Wiedererlangung der Funktionsfähigkeit neben der adäquaten operativen Versorgung die postoperative konservative Therapie unerlässlich. Die spezielle handtherapeutische Rehabilitation des BG-Klinikums Bergmannstrost ermöglicht den Einsatz des kompletten Spektrums einer Rehabilitationseinrichtung und der Unterstützung einer Klinik der Maximalversorgung. Die einzigartige Integration des Servicezentrums der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) in die Klinik sichert die optimale Koordination des Heilverfahrens, die Beratung des Patienten und Einleitung weiterer Leistungen. In einem multimodalen, interdisziplinären Behandlungskonzept unter fachärztlicher handchirurgischer Leitung und unter Einbeziehung von Psychologen und Schmerztherapeuten kann eine bestmögliche Versorgung und schnellstmögliche Reintegration des Patienten in das Berufs- und Sozialleben gewährleistet werden.

Schlüsselwörter: Handchirurgie, Rehabilitation, Hand,
multimodale interdisziplinäre Behandlung

Zitierweise
Drummer N, Siemers F: Handrehabilitation. Ein integriertes Rehaverfahren im Klinikverbund der Gesetzlichen Unfallversicherung (KUV).
OUP 2016; 2: 106–108 DOI 10.3238/oup.2015.0106–0108

Summary: The post-operative conservative therapy is imperative besides the adequate operative supply for the regaining of the function ability after a hand injury. The special therapeutic hand rehabilitation of the BG clinic Bergmannstrost makes use of the complete spectrum of rehabilitation facilities and the support of a clinic of maximum supply. The unique integration of the DGUV service center into the clinic secures the optimal coordination of the course of treatment, the advice of the patient and introduction for further performances. The best treatment can be done by a multimodal, interdisciplinary treatment concept including a specialist hand surgical guideline as well as direction by psychologists and pain therapists, so that the patient can be reintegrated optimally into the professional and social life as quickly as possible.

Keywords: hand surgery, rehabilitation, hand, multimodal interdisciplinary treatment

Citation
Drummer N, Siemers F: Therapeutic hand rehabilitation. An integrated treatment of rehabilitation in the hospital network of the German Social Accident Insurance (KUV)
OUP 2016; 2: 106–108 DOI 10.3238/oup.2015.0106–0108

In den 90er Jahren zeigten sich trotz einer sachgerechten Versorgung „kleiner“, aber auch komplexer Handverletzungen weiterhin langwierige Heilverfahren und Dauerschäden in rentenberechtigendem Ausmaß. Es wurden Defizite in der postoperativen Rehabilitation von Handverletzungen sichtbar. Aus diesem Grund wurde 2001 im BG-Klinikum Bergmannstrost Halle/Saale in der Klinik für Plastische und Handchirurgie das Konzept der speziellen handtherapeutischen Rehabilitation etabliert und seitdem stetig weiterentwickelt [1]. Aktuell besteht eine Kapazität für die Behandlung von 30 Patienten. Im Jahr 2015 wurden über 370 Patienten in der Handrehabilitation betreut. Hiervon konnten 68 % in ihre letzte Tätigkeit reintegriert werden.

Multimodales und
interdisziplinäres Konzept

Das Ziel der speziellen handtherapeutischen Rehabilitation besteht in der Wiedererlangung der Funktionsfähigkeit für das alltägliche Leben und die zuletzt ausgeübte Tätigkeit. Hierbei wird eine berufliche und soziale Reintegration angestrebt. Sollte dies nicht möglich sein, so werden weiter Leistungen zur Teilhabe speziell am Arbeitsleben gebahnt.

In einem interdisziplinären Behandlungskonzept unter fachärztlicher handchirurgischer Leitung kann noch notwendige Diagnostik erfolgen. Die multimodalen Therapieansätze und Testverfahren sowie der Übergang in die berufliche Wiedereingliederung werden hierbei vereint. Hierzu wird eine medizinische und berufsorientierte Rehabilitation angeboten. Die meisten Therapeuten haben die Zusatzbezeichnung des Handtherapeuten erworben [2].

Organisation der
Handrehabilitation

Medizinische Rehabilitation

Zur medizinische Rehabilitation werden sowohl Patienten zur frühfunktionellen Behandlung, aktiv ohne Belastung, unter Umständen auch kurz postoperativ, als auch mit Vollbelastung aufgenommen. Diese Form der Rehabilitation ist zunächst für 3 Wochen geplant. Verlängerungen sind möglich.

Am Aufnahmetag erfolgen die ausführliche klinische Untersuchung des Patienten und die Aufnahmebefundung durch Physio- und Ergotherapeuten. Zudem werden erste Bewegungs- und Kraftmessungen durchgeführt. Alle Werte werden in den von der DGUV vorgegebenen Messblättern festgehalten, die im Verlauf der Rehabilitation verglichen werden können.

In der Woche erfolgen 5,5 Therapietage (Montagmorgen bis Samstagmittag). Neben täglicher physio- und ergotherapeutischer Einzeltherapie findet auch Werkstatttraining unter ergotherapeutischer Leitung statt. Zur allgemeinen Kräftigung und Beseitigung muskulärer Dysbalancen im Schultergürtel- und Wirbelsäulenbereich werden aus dem sporttherapeutischen Bereich die medizinische Trainingstherapie (MTT), allgemeiner Sport und Schwimmen mit hinzugenommen. Hinzu kommen semiaktive Anwendungen wie z.B. manuelle Therapie und Vojta-Therapie sowie passive Maßnahmen, z.B. Fango, Massagen, Narbenmassagen und Lymphdrainagen zur Anwendung. Es kann das komplette therapeutische Spektrum einer vollwertigen Rehabilitationseinrichtung abgebildet werden. Zusätzlich werden bei Bedarf Hilfsmittel und Trainingsgeräte (z.B. Digiflexgeräte, Kompressionshandschuhe) ausgetestet und angepasst. Hinzu kommt eine Schienenbehandlung als dynamische oder statische Variante, die für den Patienten individuell angefertigt werden. Die Festlegung der jeweils notwendigen Therapien erfolgt durch den betreuenden Handchirurgen.

Zur Aufnahme erfolgt eine obligatorische psychologische Erstvorstellung. Hier können neben der psychischen Stabilisierung, Unfallverarbeitung und der Vermittlung von Entspannungsverfahren auch unfallabhängige und unfallunabhängige Störungen abgegrenzt werden. Falls notwendig, können konsiliarisch weitere Fachdisziplinen einbezogen werden.

In der wöchentlichen interdisziplinären Visite erfolgt die regelmäßige objektive Befundevaluation mit Physio- und Ergotherapeuten, Schmerztherapeuten, Psychologen und der Mitarbeiterin des DGUV-Servicezentrums. Hierzu werden wöchentlich Bewegungsumfänge gemessen. Die Kraftentwicklung wird mit unserem computergestützten Jamar-Dynamometer eruiert. Dabei werden sowohl grobe als auch feine Griffformen ermittelt
(Abb. 1).

Das Rehabilitationsprogramm kann sowohl ambulant als auch stationär absolviert werden. Bei Letzterem erfolgt die Unterbringung in Ein- bis Zwei-Bettwohneinheiten im Patientenhotel in unmittelbarer Nähe der Klinik.

Zur weiterführenden Diagnostik können neben Röntgen, CT, MRT auch eine 3-Phasen-Szintigrafie und Thermografien zeitnah erfolgen. Konsiliarisch bietet das Handfunktionslabor die Fußdruckmessung und 3D-Oberflächenmessung für alle Fachabteilungen des BG-Klinikums Bergmannstrost an.

Berufsorientierte
handtherapeutische Rehabilitation

Die Dauer der berufsorientierten handtherapeutischen Rehabilitation ist vorerst auf 2 Wochen ausgelegt. Im Rahmen des berufsorientierenden Trainings erfolgt eine Aufbelastung des Patienten berufsbezogen unter ärztlicher Leitung, in der ersten Woche 2 Stunden, in der zweiten Woche 4 Stunden pro Tag. Weitere Hilfsmittel wie Handgelenkbandagen oder Orthesen können angepasst werden. Unter arbeitstherapeutischer Kontrolle können neue Bewegungsmuster erlernt werden.

Zu Beginn und am Ende erfolgt eine Evaluation des Leistungsspektrums durch ein EFL-Screening. Somit kann eine Aussage zum positiven und negativen Leistungsbild getroffen werden.

DGUV Servicezentrum

Im BG-Klinikum Bergmannstrost ist die BG in Vertretung direkt in die Einrichtung integriert. Die Mitarbeiterinnen des DGUV-Servicezentrums sorgen für die optimale Steuerung des Heilverlaufs. Dies beginnt direkt nach der operativen Versorgung und endet mit der Reintegration des Patienten.

Dadurch wird die Mitverantwortung für die Durchführung, Sicherung, Überwachung und Entwicklung der Betreuungsqualität im Rahmen der medizinischen Rehabilitation wahrgenommen. Es erfolgt die Beratung und ggf. Einleitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, sowie ergänzende Leistungen, ggf. in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen (Sozialdienst usw.). Hierdurch wird die fachgerechte Durchführung einer Patienten- und Kostenträger-bezogenen BG-Beratung (Einzelmaßnahmen) sowie zielorientierte Koordination und Steuerung von Behandlungsmaßnahmen im Rahmen des stationären Aufenthalts und bei Entlassung insbesondere im Reha-Bereich gesichert.

Behandlung
von CRPS-Patienten

Das Chronisch Regionale Schmerzsyndrom (chronic regional pain syndrom – CRPS) stellt ein komplexes, mannigfaltiges Krankheitsbild dar und benötigt ein ebenso breites Behandlungsspektrum. Neben schmerzadaptierten rehabilitativen Maßnahmen werden Psychologen und Schmerztherapeuten engmaschig in das Behandlungsregime eingebunden. Hier kommen topische Therapien, z.B. durch Schmerzpflaster oder Radikalfänger, aber auch systemische medikamentöse Therapien, z.B. Prednisolon-Stoßtherapie und eine Schmerzmedikation, entsprechend dem WHO-Stufenschema, zur Anwendung. Bei schweren Verläufen kann kurzfristig eine stationäre Übernahme in die schmerztherapeutische Klinik des Hauses erfolgen.

Standardisierte Berichterstattung und ICD-F

Eine standardisierte Berichterstattung ergeht nach 3 Wochen an den Kostenträger. Hier wird neben der Entwicklung der Bewegungs- und Kraftwerte auch die weitere bildgebende Diagnostik, Fotodokumentation und konsiliarische Befundung aufgezeigt.

Im Rahmen der Handrehabilitation wird bereits seit vielen Jahren nach dem Ampelprinzip der ICD-F gearbeitet. Mehrere Faktoren beeinflussen den Heilverlauf und den Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit. Dazu zählen die klinische, psychologische und schmerztherapeutische Beurteilung und die berufliche Evaluation. Alle müssen in einer Behandlung des Patienten berücksichtigt werden. Im Ampelprinzip wird jeder Faktor ständig bewertet. Rot bedeutet, hier besteht noch Handlungsbedarf; grün bedeutet, dieser Faktor stellt kein Hindernis zur sozialen und beruflichen Reintegration dar. Dies sichert eine optimale Steuerung des Heilverfahrens.

Alles für die Hand aus einer Hand

Neben der medizinischen und berufsorientierten Rehabilitation werden Fahrtrainingseinheiten aller Fahrzeugtypen, Arbeitstherapie und arbeitstherapeutische Testungen sowie EFL-Testungen durchgeführt.

Nach Entlassung des Patienten erfolgt die handchirurgische Weiterbetreuung bei Arbeits- und Belastungserprobungen und weiteren ambulanten Nachkontrollen bis hin zum Abschluss des Heilverfahrens und ggf. eine Begutachtung. Zusätzlich ist die Möglichkeit zur stationären Heilverlaufskontrolle sowie Arbeitsplatzbegehung gegeben. Zudem wurden die Armprothesenanpassungen- und -austestungen standardisiert.

Handrehabilitation –
ein integriertes
Rehaverfahren im KUV

Die spezielle handtherapeutische Rehabilitation des BG-Klinikums Bergmannstrost sichert nach einer Handverletzung durch ein individuell auf den Patienten abgestimmtes intensives physio-, ergo sowie trainingstherapeutisches Komplexprogramm einen ununterbrochenen Behandlungsverlauf. Dies erfolgt unter fachärztlicher handchirurgischer Leitung. Das multimodale, interdisziplinäre Behandlungskonzept ermöglicht eine allumfassende fachkundige Betreuung des Patienten aus einer Hand. Eine Betreuung von der Akutversorgung bis zur beruflichen und sozialen Reintegration ist möglich. Durch eine Integration der Rehabilitation in eine Klinik der Maximalversorgung kann ein Optimum der Patientenversorgung in allen Bereichen erreicht werden. Das komplette Spektrum der Anforderungen des KUV im Heilverfahren kann abgebildet werden. Somit ist eine schnellstmögliche Rückführung des Patienten in das Alltags- und Berufsleben gewährleistet. Eine Minderung der Erwerbsunfähigkeit und Reduktion der ökonomischen Belastung ist hierdurch möglich.

 

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. Nicole Drummer

BG-Kliniken Bergmannstrost

Plastische und Handchirurgie

06112 Halle

nicole.drummer@bergmannstrost.com

Literatur

1. Steen M. Die „kleine“ Handverletzung im BGlichen Heilverfahren. TraumaBerufskrankh 2004; 6: 90–94

2. Steen M. Spezielle handtherapeutische Rehabilitation. Trauma Berufskrankh 2005; 7 [Suppl 1]: S247–S252

Fussnoten

1 BG-Kliniken Bergmannstrost, Plastische und Handchirurgie, Halle

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