Übersichtsarbeiten - OUP 06/2013

Höchstleistung ohne Kreuzband
3 Wege nach dem Riss3 ways after rupture

F. Diemer1, V. Sutor1

Fußball ist eine der Sportarten, bei denen Risse des Vorderen Kreuzbandes sehr häufig vorkommen. Fast alle Verletzten werden operiert. Frank Diemer und Volker Sutor hinterfragen dieses pauschale Vorgehen und beschreiben, wie die Schweden mit Kreuzbandverletzungen umgehen: Erst trainieren – und danach pro oder kontra OP entscheiden.

Schlüsselwörter: Vorderes Kreuzband, Riss, Kreuzbandverletzungen, Operation

 

Zitierweise

Diemer F, Sutor V: Drei Wege nach dem Riss – Höchstleistung ohne Kreuzband. physiopraxis 2012; 10 (05): 40–43.
DOI: 10.1055/s-0032–1314916

A lot of injuries within football are ruptures of the anterior cruciate ligament. Most of the injured athletes are treated surgically. Frank Diemer and Volker Sutor questioned this general kind of therapy and describe, how Swedish medicals treat injuries of the cruciate ligament: exercise first and then decide pro or contra operation.

Keywords: anterior cruciate ligament, rupture, cruciate ligament trauma, operation

 

Citation

Diemer F, Sutor V: Drei Wege nach dem Riss – Höchstleistung ohne Kreuzband. physiopraxis 2012; 10 (05): 40–43.
DOI: 10.1055/s-0032–1314916

Für hochaktive junge Sportler spricht man derzeit nach Riss des Vorderen Kreuzbandes (VKB) fast selbstverständlich eine Operationsempfehlung aus, wenn diese wieder in ihrer Sportart partizipieren wollen. Häufige Begründung: Ohne OP entwickelt sich schnell eine Arthrose im Kniegelenk. An einem hieb- und stichfesten Beleg, dass dieses Vorgehen besser ist, mangelt es jedoch.

Denn schenkt man den zahlreichen Studien zur Vorderen Kreuzbandplastik Beachtung, stellt man fest, dass sich bislang keine klare Tendenz pro oder kontra OP abzeichnet. Delince und Kollegen konnten in einer aktuell publizierten Übersichtsarbeit [5] hinsichtlich der Degeneration des Kniegelenks ebenso wenig einen Unterschied zwischen operierten und nicht operierten Patienten feststellen wie Kessler und Kollegen 4 Jahre zuvor [16]. Und auch bei der Frage nach der Rückkehr in den Leistungssport ist man von einer wissenschaftlich fundierten Empfehlung noch einiges entfernt: In manchen Untersuchungen, etwa der von Myklebust und seinem Team [20], kehren konservativ versorgte Sportler nicht nur genauso schnell auf das Spielfeld zurück wie die operierten, sondern sogar schneller. Dagegen stehen andere Quellen, die zu einem gegensätzlichen Ergebnis kommen [19]. Eine Pattsituation also. Entsprechend hat auch die Cochrane-Collaboration vermerkt, dass weitere gut designte Studien notwendig sind, um Licht in dieses Dunkel zu bringen [17].

Operationszahl
länderabhängig

Diese gegensätzlichen Ergebnisse führen auf der Welt zu genauso gegensätzlichen Vorgehensweisen. In den Vereinigten Staaten beispielsweise werden pro Jahr circa 200.000 Transplantate eingebaut. In Schweden sind es dagegen nur rund 3.000. Das Argument „Bevölkerungsstärke“ zählt dabei nicht: Denn selbst wenn man diese Daten um den Einwohnerfaktor bereinigt, verbleibt ein dickes Operationsplus für Nordamerika. In Deutschland liegen die Zahlen in Relation zur Bevölkerungsstärke sogar noch höher als in den USA [21]. Woran mag das liegen? Sind schwedische Kniegelenke vielleicht grundsätzlich anders beschaffen als deutsche oder amerikanische? Brauchen Schweden das Vordere Kreuzband gar weniger dringend? Wohl eher nicht. Der Grund für diese Differenz sind recht sicher die schwedischen Rahmenbedingungen. Deren Autoren sprechen nämlich keine klare Empfehlung „operieren“ oder „konservativ“ aus, sondern stellen beide Möglichkeiten gleichberechtigt gegenüber und wägen sie in einem klinischen Entscheidungsprozess ab. Dieses im Folgenden vorgestellte Vorgehen während des Entscheidungsprozesses beschrieben Fitzgerald und sein Team bereits vor 12 Jahren [8].

Stufe 1: Relevante
Verletzungen ausschließen

Zunächst muss geklärt werden, ob eine isolierte Vordere Kreuzbandruptur vorliegt oder auch weitere Verletzungen an Kniebinnenstrukturen. Nach Moksnes [18] und Hurd [13] gelten folgende Begleitverletzungen als relevant und damit als mögliche Indikation für eine OP:

 

  • „Full thickness“-Knorpelschaden, also ein Knorpelschaden, der bis zur subchondralen Platte reicht,
  • symptomatische Meniskusverletzung mit deutlichem Funktionsverlust des Gewebes (z.B. Verlust eines Hinterhorns, der Schmerz und Schwellung bei Gewichtsbelastung verursacht).

Es ist also keineswegs so, dass alle Mikrotraumen an anderen passiven Strukturen des Kniegelenks automatisch eine klinisch relevante Begleitverletzung sind und unbedingt eine Rekonstruktion des Vorderen Kreuzbandes nach sich ziehen würden. Entscheidend ist vielmehr das Ausmaß der Traumatisierung.

Stufe 2:
Konservativ therapieren

Haben Patienten ein isoliertes Trauma, folgt zunächst ein konservativer Behandlungsversuch: mit passiven Maßnahmen wie Physikalischer und Manueller Therapie sowie mit aktiven Interventionen, beispielsweise Trainingstherapie. Die Länge dieser Phase, für die 3–6 Monate veranschlagt wird, orientiert sich am Patienten. Der Reizzustand seines Kniegelenks und seine individuelle Adaptionsfähigkeit bestimmen die Progression. Laut Fitzgerald und seinen Co-Autoren [8] sowie Moksnes und seinem Team [18] sollten die Patienten nach dieser Phase folgende Ziele erreicht haben:

  • Volles Bewegungsausmaß
  • Reizfreies Gelenk (kein Schmerz und keine Schwellung)
  • Patient kann auf dem betroffenen Bein 10 Sprünge auf der Stelle ausführen
  • M. quadriceps femoris hat mindestens 70 % des Maximalkraftwerts der gesunden Seite.

Stufe 3: Erstes Assessment durchführen

Patienten, welche die oben beschriebenen Ziele nicht erreichen, erhalten entweder weiter Therapie oder werden operiert. Diejenigen, die sie erreichen, absolvieren danach eine Batterie aus subjektiven und objektiven Tests. Zunächst beurteilen die Patienten die eigene Kniegelenkfunktion mittels einer Global Rating Scale und füllen dann einen der anerkannten Fragebögen aus, zum Beispiel den Knee Outcome Survey (KOS). Dazu dokumentieren die Patienten die Zahl relevanter Giving-Way-Episoden, also diejenigen, die 24 bis 48 Stunden Schmerz und Schwellung zur Folge haben. Zusätzlich erheben Physiotherapeuten leistungsphysiologische Daten, etwa anhand verschiedener Sprungtests [22]. Da einzelne Daten alleine nicht aussagekräftig sind [11, 15], muss immer die ganze Testbatterie durchgeführt werden. Ein gutes Ergebnis besteht bei folgenden Werten:

  • Global Rating Scale: > 60 %
  • Knee Outcome Survey (KOS): > 80 %
  • Relevante Giving-way-Episoden: ? 1
  • Sprungtests: > 80 im Seitenvergleich.

Stufe 4: In Subgruppe
einteilen

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