Informationen aus der Gesellschaft - OUP 01/2013

Interview mit dem Kongresspräsidenten

Frage: Sehr geehrter Herr Dr. Locher, Sie wollen als Kongresspräsident der 61. Jahrestagung der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen auch sensible Themen ansprechen. Um welche Themen geht es?

Dr. Locher: Es geht um die zukünftige Abbildung der konservativen Orthopädie an den Weiterbildungsstätten und in der fachärztlichen Versorgungslandschaft, die Umgestaltung der assistenzärztlichen Geschlechterverteilung und der damit verbundenen erheblichen Problematik in der Gestaltung der familiären, klinik-technischen und weiterbildungsrelevanten Belange. Es geht um die prekäre politische Situation im Hinblick auf den Fortbestand der freiberuflichen Fachärztlichkeit und ihre versorgungstechnischen Konsequenzen, insbesondere die wohnortnahe, hochqualifizierte medizinische Versorgung, d.h. auch um die speziell im orthopädisch/unfallchirurgischen Bereich dramatisch verschlechterte Honorarsituation im GKV-Bereich. Und es geht nicht zuletzt um die Wissenschaftlichkeit einiger medizinischer Therapie- und Diagnoseverfahren, gerne auch als individuelle Gesundheitsleistungen bezeichnet, die im Randbereich ärztlicher Versorgung gezwungenermaßen einen immer breiteren Raum einnehmen.

Ausgangspunkt aller Gedanken war die dramatische Veränderung der zivilisatorischen Lebensumstände unter Eingriff der schnell sich wandelnden Medienlandschaft und der globalen Kommunikation. Ich glaube, wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung und sind gehalten, uns möglichst schnell bewusst zu werden, welche Dimension hier angestoßen ist.

 

Frage: Gibt es Neuerungen und Innovationen auf dem Kongress?

Dr. Locher: Kurzschaftprothesen an der Hüfte und minimalinvasiver Zugang sind im Kommen, Indikationen für Knieteilprothesen werden präzisiert, Prozessoptimierung für Implantation und perioperatives Management werden notwendigerweise stark befördert, für periprothetische und periimplantäre Frakturen gibt es neue, erfolgversprechende Plattensysteme, mit denen Komplikationen verringert werden können. Rheumatische Erkrankungen werden verstärkt Bestandteil des Basisfacharztes, Biologicals werden zur neuen Herausforderung auch für Orthopäden und Unfallchirurgen. Synovektomien sind rückläufig. Funktionelle Störungen werden als Krankheit erkannt und erfordern Standardisierung der konservativen Therapie, Translationale Forschung wird Bestandteil der Schmerztherapie und bestimmt das mechanismenorientierte therapeutische Vorgehen, Untergruppenbildung beim „nichtspezifischen Kreuzschmerz“ wird zur brennenden Frage vor den Trägern der Versorgungssysteme und Ansätze zur Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz müssen präzisiert werden. Berufliche Reintegration nach erfolgreicher OP, (MBOR) wird Standard in der Rehabilitation, Qualitätssicherungsinitiativen mit Routinedaten finden Eingang in den Klinikalltag, Orthopädische Chirurgie verlagert sich in erheblichem Ausmaß weg von den Kliniken in fachärztliche Gemeinschaftspraxen und medizinische Versorgungszentren.

Orthopädie/Unfallchirurgie wird weiblich! Orthopädie und Unfallchirurgie sind gehalten, einen konsentierten Vorschlag zur WBO Novelle 2017 zu unterbreiten und der Primärzugang zum Patienten durch Physiotherapeuten, „Osteopathen“ und andere Berufsgruppen steht “ante portas“. Also jede Menge Motive, beim Kongress dabei zu sein!

 

Frage: Wo sehen Sie die fachlichen Highlights?

Dr. Locher: Die Sitzung Translationale Forschung am Freitag vormittag betritt umfangreich Neuland betreffend die neurophysiologische und schmerztherapeutische Grundlagenforschung und ihre klinischen Anwendungsmöglichkeiten.

 

Frage: Die Verleihung des Nachwuchsförderpreises gehört zum festen Bestandteil der VSOU-Jahrestagung. Sind Sie bezüglich der Nachwuchsfrage im Fach Orthopädie und Unfallchirurgie besorgt?

Dr. Locher: Ohne pessimistisch sein zu wollen: Es mehren sich in jüngerer Vergangenheit die Stimmen der Chefärzte weiterbildender Kliniken, dass die Besetzung der Assistentenstellen schwierig geworden sei. Insbesondere im Bereich der konservativen Orthopädie bestehen hier substanzielle Defizite, die nur schwer auszugleichen sind. Insofern ja, ich mache mir wirklich Sorgen um den qualifizierten Nachwuchs im Fach Orthopädie und Unfallchirurgie. Das hat viele Ursachen, vor allem inhaltliche, weiterbildungstechnische, genderspezifische, honorarpolitische, europapolitische und familien- und partnerschaftstechnische und nicht zuletzt lebensphilosophische. Genügend Gründe, die zu Sorge Anlass geben, aber auch Angriffspunkte zur Problemlösung.

 

Frage: Was trägt die VSOU dazu bei, um den Nachwuchs zu begeistern?

Dr. Locher: Die VSOU gestaltet Kongresse, die die ganze Breite unseres Faches in höchstgradiger, wissenschaftlicher Qualität für alle vorstellbaren Berufsgruppen im Umkreis Orthopädie und Unfallchirurgie in praktisch umsetzbare Weise immer aktuell abbilden. Darüber hinaus verstand und versteht die VSOU es blendend, die Faszination und die Vielfalt der ärztlichen Möglichkeiten innerhalb der Orthopädie und Unfallchirurgie spürbar zu machen, was in einem speziellen Umfeld, wie es Baden Baden im beginnenden Frühling und mit seinen multiplen kulturellen Verflechtungen aller Lebensbereiche bieten kann, bestens gelingt.

Besonders hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang wieder auf das spezielle Assistenten-Programm, das den besonderen Interessen der jungen Kolleginnen und Kollegen Rechnung trägt.

 

Frage: Welches ist Ihr ganz persönliches Lieblingsthema auf der 61. Jahrestagung?

Dr. Locher: Ich bin wahrscheinlich ein Orthopäde, den einfach alles interessiert, aber wenn Sie mich so fragen, ist es „low back pain“ und „translational research“. Begriffe, die ich auch gerne in Englisch verwende, weil es ein weltweites Phänomen von großer Tragweite und bemerkenswerter Kryptizität ist, das auch im übrigen Europa zunehmend in den Focus rückt. Als Mitherausgeber der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz habe ich tiefe Einblicke gewinnen können und komme zum Ergebnis: eine multidimensionale Herausforderung.

 

Frage: Die Frühjahrestagung ist für ihr erlesenes Rahmenprogramm bekannt. Was bieten Sie Ihren Gästen dieses Jahr?

Dr. Locher: Bei der Eröffnungsfeier im Bénazet-Saal des Kurhauses haben wir das Vergnügen, einem Schlagzeugensemble der Zürcher Hochschule der Künste zu lauschen. Speziell orthopädisch ausgerichtet wird ein „High heel Kurs“ für die Damen und ein Pilates-Kurs sein, ein Seminar über Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ im „Belle Epoque“ nimmt das Thema Zeit und Veränderung auf. Johannes Brahms, der lange in Baden-Baden gewohnt und gewirkt hat, ist „eine Stunde ernste Musik zur Nacht“ gewidmet. Das „Get together“ im Kurhaus ist wieder in den Räumen im oberen Umgang mit Speisen, Getränken und Musik angesiedelt und wieder bauen wir auf die Anziehungskraft des großen Festabends im Bénazet Saal, wo ein festliches Diner, Tanz und eine kleine Performance als Überraschung aufwarten.

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