Arzt und Recht - OUP 09/2014

Mediation in Arzthaftungsfällen*

Dr. med. Volker M. Seib

Der Vorwurf eines Behandlungsfehlers verletzt den Arzt meist zutiefst. Es kann zu einer antikommunikativen Polarisierung zwischen den Beteiligten kommen. Hier soll ein Mediationsverfahren zu einer außergerichtlichen Konfliktlösung und einer nachhaltigen inneren Befriedigung von Patient und Arzt führen. Der Verfasser stellt das Verfahren und seine Vorteile dar.

Patientensicherheit ist zu einem Begriff geworden, der in der Öffentlichkeit und nachfolgend in der Politik zunehmend Beachtung findet1. Dabei scheint der Eindruck die Oberhand zu gewinnen, Patientensicherheit sei vor allem durch Ärzte gefährdet und die Einrichtungen, die sie leiten. Der Arzt tritt jedoch bereits bevor er seine Ausbildung beginnt mit der festen Absicht an, die Gesundheit des Patienten zu fördern oder wiederherzustellen, Leben zu verlängern. Sein dringlichstes Ziel, gefördert durch Studium und Weiterbildung, ist die Patientensicherheit gerade nicht zu gefährden.

Ökonomisierung der ärztlichen Arbeit hindert ihn, und er ist gezwungen, einen inneren Schutzmantel aufzubauen, um selbst gesund zu bleiben, weiterleben zu können. In steigender Erkenntnis letztendlicher Ohnmacht und andererseits dem Gefühl des Ausgewähltseins bei eigener Gesundheit, hat er beständig mit seinen Ängsten zu kämpfen, besonders bei invasiver Behandlung Fehler zu begehen2. Tritt nun der Fall ein, dass er nachhaltig eines ärztlichen Fehlers beschuldigt wird, vielleicht schuldig geworden ist, wird er — ein- oder uneingestanden — zutiefst verletzt, und es tritt eine antikommunikative Polarisierung zwischen den Beteiligten ein, die aufgrund unterschiedlicher Ebenen und andersgearteter emotionaler Berührung oft unüberbrückbar scheint.

Bislang werden die dann folgenden Entscheidungen durch Schachern der Versicherungen (mit Konsequenzen) oder durch Gerichtsurteile (mit öffentlichen Konsequenzen) getroffen. Auf der Suche nach gemeinsamem Verständnis und nach Lösungen des Problems, auf der Suche nach einer nachhaltigen inneren Befriedigung des betroffenen Patienten und gleichzeitig einer inneren Befriedigung des angeschuldigten Arztes — er muss schlicht unbeschadet, d.h. weitgehend unbedenklich weiterarbeiten können —, bietet sich als außergerichtliche Konfliktlösung in Arzthaftungsfällen ein Mediationsverfahren an. Das Mediationsgesetz spricht in § 1 Abs. 1 von einem „vertraulichen und strukturierten Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konfliktes anstreben“3.

Der Gesetzgeber hat damit der Tatsache Rechnung getragen, dass sich aus der Menge der alternativen Streitbeilegungsmethoden allgemein der Mechanismus der Mediation als der populärste herausgestellt hat4.

In Arzthaftungsfällen hat das Wort „freiwillig“ einen eigenartigen Klang. Aus der Erfahrung des Verfassers heraus liegt jedoch aus Gründen des „Menschseins“ möglicherweise die weitaus größere Problematik in der geforderten Eigenverantwortung. Die Zustimmung zu einer verfassten Einigung als Ergebnis eines Mediationsverfahrens ist aber keine Entscheidung von außen, derer man sich schicksalhaft zu ergeben hat oder ergeben darf.

Im Unterschied zum Gerichtsverfahren bzw. Schiedsgerichtsverfahren fällt der Mediator (in der Regel und zur ordnungsgemäßen Verfassung der erzielten Einigung ein Jurist) kein Urteil und trifft keine Entscheidung. Er agiert als Katalysator. Er hält das Gespräch im Fluss. Er überwacht die Fairness. Er unterstützt die Parteien, eine Lösung zu beiderseitigen Vorteilen zu finden. Es werden keine Beweise erhoben, es gibt keine Darlegungs- und Beweislast, es gibt kein verspätetes Vorbringen und es ergeht kein Urteil.

Die Vorteile sind zunächst folgende:

Vertraulichkeit
Die Öffentlichkeit erfährt weder vom Gegenstand des Konfliktes noch von dessen Ausgang. Ein Rufschaden droht nicht, Erkrankungen und Gebrechen werden nicht bekannt.

Zufriedenheit und Zukunftsorientierung
Mediation wird im Allgemeinen als fair, rational und verständlich empfunden. Dies führt zu hoher und nachhaltiger Akzeptanz des Ergebnisses und damit geringer seelischer Belastung in der Zukunft. Auch die Kommunikation zwischen Versicherer und Versichertem wird häufig verbessert5.

Schnelligkeit
Die Abwicklung unterliegt nicht dem bekannten Stau bei den Gerichten. Auch sehr umfangreiche Verfahren können in der Regel innerhalb eines Tages endgültig beendet werden6. Die Terminierung kann kurzfristig über elektronische Medien erfolgen und die Beibringung der notwendigen Unterlagen wird, da beide Parteien dem Mediationsverfahren zugestimmt haben, rasch vonstattengehen (s.u.). Der Konflikt kann endgültig beigelegt werden.

Kostengünstigkeit
Nicht nur aus Gründen der Schnelligkeit, sondern auch durch Einsparung an Gebühren und Honoraren sowie reduziertem Personaleinsatz bei den Versicherern, entsteht Kostenersparnis (Informationen zu den Verfahrenskosten beim Verfasser).

Konfliktbezogenheit
Gutachter- bzw. Schlichtungskommissionen im Arzthaftungsrecht verfehlen nicht selten ihr Ziel, nämlich die Befriedung des Arzt-Patienten-Streits. Das schriftliche Verfahren ohne Arzt-Patienten-Kontakt sowie die weitgehende Reduktion auf die Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens eines Behandlungsfehlers löst den eigentlichen Konflikt nicht. Der Eindruck einer geschlossenen Front der Interessenvertreter wird eher verstärkt. Hier leistet die Mediation als „mündliches Verfahren“ der in der Öffentlichkeit geforderten Entwicklung einer „Fehlerkultur“ und nachfolgend einer verbesserten und verschlankten „Streitkultur“ Vorschub. Lösungen außerhalb rechtlicher Ansprüche, wie etwa Wertschätzung oder Entschuldigung und Gewährung geldwerter Vorteile sind möglich.

Der Verfasser arbeitet in Gemeinschaft mit mehreren juristischen Kreisen an einem weiterführenden Modell der Mediation im Arzthaftungsrecht. Dies erscheint dann zielführend, wenn die Anschuldigungen deutlich Substanz aufweisen, eine Haftung dem Grunde nach möglich oder wahrscheinlich ist, die Gewissheit oder gar der Umfang jedoch nicht auf der Hand liegen.

Das Modell beruht auf einem Allparteiengutachten, welches der Sachverständige während des Verfahrens präsent vertritt. Der medizinische Sachverstand und dessen emotionslose Deutung und Auslegung — ggf. innerhalb der kollegialen Diskussion im Angesicht des Betroffenen — steht den Parteien dadurch permanent und unverzüglich zur Verfügung. Gegengutachten erübrigen sich.

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