Übersichtsarbeiten - OUP 11/2016

Operative Strategien bei Mehretagenfrakturen des Femurs

Christian von Rüden1,2°, Christian Hierholzer3°, Alexander Woltmann1, Mario Morgenstern4, Volker Bühren1, Jan Friederichs1

Zusammenfassung: Hüftgelenknahe Hochrasanztraumata können zu Mehretagenfrakturen des Femurs mit hüftgelenknaher Fraktur und Schaftfraktur führen. Unterschiedliche Implantate stehen zur Frakturstabilisierung zur Verfügung und können kombiniert werden.

Stellt die distale Fraktur die „führende“ Frakturkomponente dar, bietet sich die sog. Miss-a-nail-Technik mit Zugschraubenosteosynthese für die proximale Fraktur und antegrader Marknagelosteosynthese für die Schaftfraktur oder eine Kombination aus Zugschrauben proximal und retrograder Marknagel- bzw. Plattenosteosynthese am Schaft in klassischer Technik zweier nicht überlappender Implantate an. Eine Alternative stellt im Einzelfall die Dynamische Hüftschraube kombiniert mit der retrograden Marknagel- oder Plattenosteosynthese in der sog. Rendezvous-Technik dar.

Stellt die proximale Fraktur die „führende“ Komponente dar, wird die Stabilisierung mit einem sog. All-in-one Device wie dem langen cephalomedullären Nagel empfohlen.

Die Wahl des operativen Therapiekonzepts stellt aufgrund des Unfallmechanismus, des komplexen Frakturmusters und des Gesamtzustands des Patienten stets eine individuelle Therapieentscheidung dar.

Schlüsselwörter: Femur, Mehretagenfraktur, Schenkelhalsfraktur, trochantäre Fraktur, Femurschaftfraktur, Dynamische Hüftschraube, Marknagel, Zugschraube

Zitierweise

von Rüden C, Hierholzer C, Woltmann A, Morgenstern M, Bühren V, Friederichs J: Operative Strategien bei Mehretagenfrakturen des Femurs. OUP 2016; 11: 640–644 DOI 10.3238/oup.2016.0640–0644

Summary: High-energy trauma of the hip and lower extremities might result in multi-level femoral fractures with both, a proximal and a shaft fracture component. Different implants are available to stabilize the fractures and could be combined: When the distal fracture is identified to be the “leading” fracture component, the so called miss-a-nail technique including screw fixation for the proximal fracture and an antegrade intramedullary nailing for the shaft fracture, or a combination of screw fixation and retrograde nailing or plate fixation as a classical method is possible. Alternatively, in special cases a dynamic hip screw can be combined with a retrograde nail or locking plate osteosynthesis (rendezvous technique).

When the proximal fracture is identified to be the “leading” component, fracture fixation with a so called all-in-one device such as the long cephalomedullary nail is recommended.

When deciding on the surgical treatment concept, the trauma mechanism, the fracture configuration, and the patient’s general condition need to be taken into consideration carefully.

Keywords: femur, multi-level fracture, femoral neck fracture, trochanteric fracture, femoral shaft fracture, dynamic hip screw, intramedullary nail, lag screw

Citation

von Rüden C, Hierholzer C, Woltmann A, Morgenstern M, Bühren V, Friederichs J: Operative strategies for multi-level femoral fractures. OUP 2016; 11: 640–644 DOI 10.3238/oup.2016.0640–0644

Einleitung

Das gleichzeitige Auftreten ipsilateraler Frakturen des proximalen Femurs und des Femurschafts ist selten und tritt vor allem infolge von Hochenergietraumata im Rahmen einer Polytraumatisierung hauptsächlich bei männlichen Patienten in der 4. Lebensdekade auf. Bei weniger als 10 % aller Femurschaftfrakturen wird eine gleichzeitig vorhandene proximale Femurfraktur festgestellt (Abb. 1) [1].

In den wenigen bisher zur Verfügung stehenden Literaturstellen werden diese Verletzungen als komplexe Femurfrakturen bezeichnet und es wird berichtet, dass in bis zu einem Viertel der Fälle offene Frakturen vorlagen [2]. Die Inzidenz von Begleitverletzungen ist ebenfalls hoch. Bei bis zur Hälfte der Patienten wurde eine Verletzung des ipsilateralen Kniegelenks festgestellt. Interessanterweise wurde eine hohe Rate übersehener proximaler Femurfrakturen in bis zu einem Drittel der Fälle verzögert diagnostiziert [3].

Unterschiedliche Behandlungskonzepte sind für dieses komplexe Verletzungsmuster beschrieben worden [4]. Die operative Therapie ist technisch herausfordernd und mit einer hohen Komplikationsrate behaftet.

Methodik

Im Folgenden werden die verschiedenen Behandlungskonzepte für die operative Stabilisierung von Mehretagenfrakturen des Femurs vorgestellt.

Kombination der Implantate
(klassische Technik)

Die klassische Fixierungstechnik beinhaltet die Schraubenosteosynthese der proximalen Fraktur (nicht oder wenig dislozierte mediale Schenkelhalsfrakturen) mit 3 – optional kanülierten – 6,5 mm Zugschrauben [5]. Die Schraubenfixierung kann mit retrograder oder antegrader Marknagelosteosynthese zur Fixierung der Femurschaftfraktur kombiniert werden [6]. Die konventionelle antegrade Marknagelosteosynthese ist der Goldstandard für Frakturen des 3. und 4. Schaftfünftels und kann mit der Schraubenosteosynthese für die Fixierung der Schenkelhalsfraktur in der sog. Miss-a-nail-Technik als einzeitiges Verfahren durchgeführt werden (Abb. 2). Dabei geht die antegrade Marknagelosteosynthese der Schraubenfixation der proximalen Fraktur voraus.

Bei wenig dislozierten Schenkelhalsfrakturen kann die Behandlung mit der Osteosynthese der Schenkelhalsfraktur begonnen werden. Dabei sichern Zugschrauben die Schenkelhalsfraktur und verhindern somit die sekundäre Frakturdislokation. Dieses Verfahren erfordert die retrograde Marknagelosteosynthese der Femurschaftfraktur (Abb. 3).

Die retrograde Marknagelosteosynthese bietet sich insbesondere bei distalen Femurschaftfrakturen an, die in das Kniegelenk hineinziehen, und bei Schaftfrakturen des 4. und 5. Schaftfünftels unabhängig vom Typ der proximalen Osteosynthese (Zugschrauben oder DHS) [7].

Indikationen für die Anwendung der DHS umfassen Schenkelhals- und stabile pertrochantäre Frakturen mit intakter medialer Abstützung, wobei hier zur Vermeidung der Rotation des Femurkopfs grundsätzlich eine Antirotationsschraube eingesetzt werden sollte. Bei dislozierten und undislozierten Schenkelhalsfrakturen ist die DHS der Schraubenfixation gegenüber insbesondere dann vorteilhaft, wenn die Frakturlinie relativ lateral oder sogar basozervikal liegt.

Alternativ kann zur Fixierung der Femurschaftfraktur auch eine winkelstabile Plattenosteosynthese angewendet werden [8]. Diese kann auch mit der DHS kombiniert werden, vorausgesetzt, es sind mindestens 3–4 Plattenlöcher distal der DHS im proximalen Schaftbereich verfügbar.

Frakturstabilisierung mittels
All-in-one-Device

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