Übersichtsarbeiten - OUP 03/2017

Operative Therapieoptionen degenerativer Erkrankungen der Lendenwirbelsäule

Sebastian Weckbach1, A. Reinke 2, Heiko Reichel1, Tugrul Kocak1

Zusammenfassung: Degenerative Veränderungen der
Lendenwirbelsäule stellen eine zunehmende Herausforderung aufgrund einer alternden Gesellschaft dar. Nach Ausschöpfung von konservativen Therapieverfahren stehen bewegungserhaltende versus fusionierende Therapieoptionen zur Verfügung. Vorliegender Artikel soll eine Übersicht über chirurgische Therapieoptionen bei degenerativen Erkrankungen der Lendenwirbelsäule geben. Neben den klassischen Fusionsoperationen wird auf bewegungserhaltende Optionen wie Dekompression, interspinöse Implantate und semirigide Implantate sowie auf in der täglichen Praxis nicht angewendete Verfahren, z.B. Facettengelenkersatz und Nucleus pulposus Ersatzverfahren eingegangen.

Schlüsselwörter: degenerative Lendenwirbelsäule, chirurgische Therapieoptionen, Fusion, Bewegungserhaltung

Zitierweise
Weckbach S, Reichel H, Kocak T: Operative Therapieoptionen degenerativer Erkrankungen der Lendenwirbelsäule.
OUP 2017; 3: 125–129 DOI 10.3238/oup.2017.0125–0129

Summary: Degenerative changes of the lumbar spine are an increasing challenge due to an aging society. Segment-preserving versus segment-fusion therapeutic options are to be discussed in conditions of persisting pain under conservative treatment. This article is intended to provide an overview of surgical therapeutic options in degenerative pathologies of the lumbar spine. In addition to fusion procedures, segment preserving techniques as decompression, interspinous implants and semirigid implants as well as experimental procedures like facet joint replacement and nucleus pulposus
replacement are outlined.

Keywords: degenerative lumbar spine, surgical options, fusion, motion preserving options

Citation
Weckbach S, Reichel H, Kocak T: Surgical strategies in degenerative lumbar spine diseases .
OUP 2017; 3: 125–129 DOI 10.3238/oup.2017.0125–0129

Hintergrund

Aufgrund des fortschreitenden Alterungsprozesses unserer Gesellschaft stellen Rückenschmerzen eine zunehmende medizinische und auch sozioökonomische Herausforderung für Therapeuten und Gesundheitssystem dar. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule führen neben Schmerzen auch zu motorischen oder sensiblen Defiziten. Die Lebenszeitprävalenz von Rückenschmerzen in Industriestaaten beträgt ca. 80 % [1]. Im Rahmen einer aktuellen weltweiten Untersuchung zeigte sich der Rückenschmerz als größter Faktor für ein Leben mit Behinderung [2]. Die Kosten werden auf mehr als 50 Milliarden US-Dollar geschätzt [3].

Parallel dazu steigt der Anspruch der Gesellschaft auf ein schmerzfreies oder schmerzarmes Leben drastisch.

Im Rahmen dieses Artikels soll eine Übersicht über die operativen Therapiestrategien bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule gegeben werden. Prinzipiell existieren stabilisierende und bewegungserhaltende OP-Verfahren, welche nach Ausschöpfung von konservativen Therapien zur Anwendung kommen. Bei der operativen Behandlung von Patienten mit degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule ist eine differenzierte, individuell abgestimmte Behandlungsstrategie unter dem Gesichtspunkt der essenziellen Dualität von Stabilität und Bewegung der Wirbelsäule notwendig.

Therapieoptionen

Fusionierende Operationsverfahren

Die Fusionsoperation hat in der degenerativen Wirbelsäulenchirurgie einen hohen Stellenwert. Diese klassischen Fusionsoperationen werden über einen anterioren Zugang (ALIF: anterior lumbar interbody fusion), einen posterioren Zugang (PLIF: posterior lumbar interbody fusion, TLIF-transforaminal lumbar interbody fusion) oder einen lateralen Zugang (XLIF: extreme lateral lumbar interbody fusion, OLIF: oblique lumbar interbody fusion, LLIF: lateral lumbar interbody fusion) durchgeführt.

Die Indikation zu einer Fusionsoperation wird anhand mehrerer Kriterien wie Anamnese, klinischer Untersuchung und bildmorphologischer Befunde gestellt. Typischerweise werden Patienten mit einer kurzstreckigen Fusion bei Vorliegen von Cobb-Winkeln unter 30° und einer milden rotatorischen Subluxation von mehr als 2 mm versorgt. Abbildung 1 zeigt exemplarisch eine monosegmentale Fusion in TLIF-Technik bei segmentaler Instabilität, Spinalkanalstenose und Facettengelenkzyste.

Langstreckige Fusionsoperationen der Lendenwirbelsäule, also Fusion bis aufs Os sacrum oder die untere Brustwirbelsäule, sind bei multietageren Pathologien und zu erwartendem Progress der Krümmung zur besseren Korrektur des Profils indiziert. Exemplarisch ist in Abbildung 2 eine Aufrichtungs-Spondylodese bei lumbaler De-novo-Skoliose aufgezeigt. Typischerweise sind dies Patienten mit Krümmungen über einen Cobb-Winkel von 45° und einer lateralen Subluxation von mehr als 2 mm in Kombination mit einer koronaren und sagittalen Imbalance [4].

Hinsichtlich der posterioren Instrumentationen existieren offene und minimalinvasive Methoden, die je nach zu adressierender Pathologie und Präferenz des Chirurgen gewählt werden können. Da bei diesen Patienten sehr häufig eine Osteoporose vorliegt, existieren mehrere Möglichkeiten zur Verbesserung der Verankerung des Schrauben-Stab-Systems [5]. Optionen sind die Implantation von Pedikelschrauben in einen vorher zementaugmentierten Wirbelkörper, Zementaugmentation durch kanülierte Pedikelschraubensysteme oder expandierbare Pedikelschrauben.

Die spinale Fusionsoperation stellt bei degenerativen Veränderungen nach wie vor den Goldstandard aufgrund einer hohen Erfolgsrate dar. Jedoch müssen die diesem Verfahren zuzuschreibenden Komplikationen wie Anschluss-Segmentdegenerationen mit bis zu 80 % nach 30 Jahren und 1434 % nach 510 Jahren [6–8] beachtet werden. Deshalb werden bewegungserhaltende Vorgehen immer wieder diskutiert.

Bewegungserhaltende
Operationsverfahren

Dekompression

Eine Dekompression der neuronalen Strukturen ist bei Patienten mit degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule indiziert, die unter einer Claudicatio spinalis oder einer radikulären Symptomatik leiden, welche ohne einen nennenswerten Rückenschmerz auftritt und bei welcher ein Progress der Deformität nicht zu erwarten ist. Die Deformität sollte einen Cobb-Winkel von unter 30°, eine laterale Subluxation weniger als 2 mm und ein normales sagittales und koronares Profil aufweisen. Hierbei ist im Normalfall ein posteriores Vorgehen entweder über eine erweiterte interlaminäre Fensterung und Over-the-top-Dekompression, eine Hemilaminektomie oder eine Laminektomie indiziert. Nach unserer Auffassung sollte bei einem primären Eingriff eine selektive erweiterte interlaminäre Fensterung und Over-the-top-Dekompression durchgeführt werden (Abb. 3). Andere Zugänge wie ventrale indirekte Dekompressionen oder endoskopische transforaminale Verfahren können im Einzelfall angewendet werden. Auch hier hängt das gewählte Verfahren in großem Maße von der Erfahrung und Präferenz des behandelnden Chirurgen ab. Sollte im Bereich der Lendenwirbelsäule aufgrund anatomischer Verhältnisse, wie z.B. beim eng angelegten Spinalkanal, zur Dekompression eine Laminektomie notwendig sein, ist eine additive Verwendung einer dorsalen Instrumentierung empfohlen.

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