Übersichtsarbeiten - OUP 02/2014

Orthetische Versorgung von Rückenpatienten – ein Überblick

J. Glotz1, J. Weigel1

Zusammenfassung: Orthetische Wirbelsäulen-Versorgungen werden seit der ersten Stunde unseres Orthopädietechniker-Handwerks hergestellt, was auch an unserer alten Berufsbezeichnung „Orthopädiemechaniker und Bandagist“ erkennbar ist, die sich auch auf die Herstellung von Rumpf-Bandagierungen bezog. Im 19. Jahrhundert bestand der Korsettbau aus individuell hergestellten Konstruktionen, die mit Stahlschienen und starkem Textil deformierte Wirbelsäulen aufrichteten (Abb. 1).

Durch den medizinischen und technischen Fortschritt sind heute schnelle und funktionelle Lösungen für nahezu jede Situation möglich (Abb. 2). Die festen Textilien wurden teils durch elastische 3D-Gesticke ersetzt, unter denen nachweislich keine Muskel-Athrophie stattfindet. Die Stahlschienen wurden gegen dynamische Rückenpelotten getauscht, die sogar einen Zuwachs der Rumpfmuskulatur fördern [1].

Schlüsselwörter: Wirbelsäulenorthese, Hilfsmittelverzeichnis,
biomechanische Funktionsweise, Konstruktionsmerkmale,
Verordnungsleitfaden, Sensomotorik, Kompressionsdruck,
Sonderanfertigung

 

Zitierweise

Glotz J, Weigel J: Orthetische Versorgung von Rückenpatienten – ein Überblick.
OUP 2014; 2: 074–077. DOI 10.3238/oup.2014.0074–0077

Abstract: Spinal orthotics have been made from the first hours in our handcraft, a fact which shows in the former job title „Orthotist and Bandagist“, corresponding to the manufacturing of bandages. In the 19th century braces were individually made constructions, which straightened the deformed spine with steelbars and strong textile.

Due to medical and technical progress, today fast and functional solutions are possible in nearly every situation. Strong textiles have been replaced partly by elastic 3D knitted fabric, as there is no muscle-athrophy under them. The steelbars have been replaced by dynamic back pelotts, they even stimulate the muscle growth [1].

Keywords: spinal brace, L-Code index, biomechanical function, construction features, prescription directory, sensomotoric,
compression force, custom-made

 

Citation

Glotz J, Weigel J: Orthosis for back patients – an overview.
OUP 2014; 2: 074–077. DOI 10.3238/oup.2014.0074–0077

Möchte man die Vielfältigkeit an Orthesen systematisch einteilen, bieten sich 2 Möglichkeiten an.

1. Einteilung laut Hilfsmittelverzeichnis (HMV)

In dieser Liste werden Orthesen (Produktgruppe 23) dem Anwendungsort am Körper, dann der Produkt-Untergruppe (z.B. Mobilisation, Stabilisation, etc.) und zuletzt ihrer Produktart zugewiesen, in der die Orthesen nach biomechanischer Funktionsweise (z.B. Lumbalstütze, Überbrückung, Flexion) und Konstruktionsmerkmale (z.B. in Hosenform, mit Pelotte, mit Zugelementen) gruppiert werden (s. Tab. 1).

Mit Hilfe dieser Gliederung lässt sich der Anwendungszweck von Orthesen unterschiedlicher Hersteller vergleichen, denn alle müssen die grundlegenden Anforderungen erfüllen, um gelistet zu werden.

Durch die gegebene Fülle an orthetischen Produkten kann diese „Produktliste“ nur wenig Verordnungssicherheit geben. Die zweite Einteilungs-Möglichkeit nach Indikationen bietet daher deutlich mehr Praxisnähe mit Versorgungsbeispielen.

2. Einteilung nach Indikation

Die Anbieter von anpassbaren Fertigorthesen bieten Verordnungsleitfäden, die eine Zuordnung der richtigen Orthese zur vorliegenden Indikation einfach ermöglichen.

Indikationen

  • Lumbalsyndrom,
  • konservativ nach Prolaps,
  • muskuläre Dysfunktion.

S. Abbildung 3.

Wirkung

Eine elastische Bandage baut einen zirkulären Kompressionsdruck auf. Der Kompressionsdruck wird durch eine Pelotte verstärkt, hieraus ergibt sich eine höhere Wirkung auf die Gewebestruktur am Rumpf. Durch das Tragen einer Bandage wird neben einem Massageeffekt, auch die 3-dimensionale Wahrnehmung gesteigert. Somit wird auch die Sensomotorik verbessert und das Ansteuern der Muskeln erfolgt präziser.

Indikationen

  • Wirbelgleiten,
  • Wirbelgelenksyndrom/Arthrose,
  • lumbale Spinalkanalstenosen (konservativ, post OP),
  • bei Wirbelkörperbrüchen der Lendenwirbelsäule,
  • nach Bandscheibenvorfall,
  • Osteoporose.

S. Abbildung 4.

Wirkung

Dieses Beispiel zeigt Mobilisierungsorthesen, die dem Therapieverlauf anpassbar sind:

  • Stufe 1 (Stabilisierungsphase): Zur Sicherung der Wirbelsäule nach einer Operation oder zu Beginn einer nicht operativen Behandlung wird die Orthese zusammen mit Schale verwendet.
  • Stufe 2 (Mobilisierungsphase): Bei beginnender Mobilisierung mit fortschreitendem Heilungsprozess wird die Schale entfernt und die Grundbandage im zu versorgenden Lenden-/Kreuzbein-Bereich durch die Korsettstäbe und eine Rückenkassette verstärkt.
  • Stufe 3 (Aktivitätsphase): Mit zunehmender Aktivität der Patienten werden die Aluminiumstäbe aus der Rückenkassette entfernt und so die externe Stützwirkung verringert.

Wirbelkörperfrakturen

In den 70er Jahren bis zum Jahrtausendwechsel wurden Hyperextensionsorthesen im 3-Punkt-Prinzip bei allen Arten von Wirbelfrakturen eingesetzt. Heute teilt sich diese Grund-Indikation in 2 verschiedene Versorgungsarten auf.

a) Indikation osteoporosebedingte Wirbelkörperfraktur

  • Osteoporotische Wirbelkörperfraktur der Brust und/oder Lendenwirbelsäule,
  • juveniler Morbus Scheuermann,
  • Rundrücken mit chronischem Rückenschmerz.

S. Abbildungen 5–6.

Wirkung

Diese Indikationen lassen sich optimal mit sogenannten Rucksack-Orthesen therapieren. Die Körperlastmitte wird mit dem Leibteil und den Schultergurten nach hinten geführt, durch diese Aufrichtung werden das betroffene wie auch die benachbarten Segmente entlastet. Patienten fühlen sich durch die gerade Haltung sicherer und das Sturzrisiko wird signifikant reduziert [1], was bei Osteoporose-Patienten durch ihre systematische Erkrankung und dem damit einhergehenden Frakturrisiko der Gelenke von hoher Wichtigkeit ist.

b) Indikation traumatische Wirbelkörperfrakturen

  • Stabile Wirbelkörperfrakturen der unteren BWS und der obere LWS (Th10-L2).

S. Abbildung 7.

Wirkung

Temporärer Einsatz zu Inklinationsverhinderung. Durch die 3-Punkte-Abstützung (frontal Symphyse und Sternum, dorsal paravertebral als Gegenhalt) wird die WS im Frakturbereich immobilisiert. Eine begleitende physiotherapeutische Behandlung und eine stundenweise Abschulung wird empfohlen.

Sonderanfertigungen nach Maß oder Gipsabdruck

Sie kommen dann in Frage, wenn es um Dauerversorgungen geht (z.B. Skoliosekorsett), die Passform oder Funktion von Serienprodukten nicht gegeben ist oder sonstige Besonderheiten (z.B. Stoma-Ausgang) vorliegen, die mit Serienprodukten nicht zum optimalen Ergebnis führen, s. Abbildungen 8–9.

Korrespondenzadresse

Vital-Zentrum Glotz GmbH

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