Übersichtsarbeiten - OUP 11/2016

Prospektive Untersuchung zur Therapiebedürftigkeit von Osteoporosepatienten im Hinblick auf die DVO-Leitlinie 2014

Katja Reinboth1, Jürgen Heisel1, Thomas Drabiniok1, Christian Herwarth1

Zusammenfassung: Fragestellung: Am 13.11.2014 wurde die DVO-Leitlinie 2014 verabschiedet. Als Neuerung gegenüber der Leitlinie 2009 ergab sich erstmals für den behandelnden Arzt für gewisse Konstellationen eine individuelle Therapieentscheidung. In einer prospektiv angelegten Studie wurde die Reliabilität der Therapieentscheidung nach der DVO-Leitlinie 2014 untersucht.

Material und Methodik: Es wurde die Befundung der gleichen osteologischen Daten von insgesamt 215 Patienten durch 2 voneinander unabhängige Untersucher durchgeführt. Deren Therapieentscheidungen und Nachsorgeempfehlungen wurden anschließend statistisch ausgewertet.

Ergebnisse: Die Übereinstimmung der therapiebedürftigen Patienten betrug 92 %. Bei der Angabe der empfohlenen Wirkstoffgruppe gab es jedoch nur in 63,8 % eine Übereinstimmung. Bei 5 Patienten wurde eine Therapienotwendigkeit formuliert, die nach den Leitlinien 2009 keine Therapieindikation aufgewiesen hätte.

Fazit: Die neue Leitlinie 2014 kann als valides Instrument zur Bestimmung der Therapiebedürftigkeit von Patienten angesehen werden, nicht jedoch für die Wahl der Wirkstoffgruppe. Die neue individuelle Entscheidungsmöglichkeit wurde in der hier vorgelegten Studie nur in 2,3 % aller Fälle genutzt, erlaubt also in Einzelfällen eine dem klinischen Bild angepasste Behandlungsmöglichkeit.

Schlüsselworte: DVO-Leitlinie 2014, Osteoporose, Osteoporose-Therapie, DXA-Messung

Zitierweise

Reinboth K, Heisel J, Drabiniok T, Herwarth C: Prospektive Untersuchung zur Therapiebedürftigkeit von Osteoporosepatienten im Hinblick auf die DVO-Leitlinie 2014.
OUP 2016; 11:652–656000 DOI 10.3238/oup.2016.0652–0656

Purpose: For prophylaxis, diagnosis and therapy of osteoporosis, the DVO-guideline was adopted in November 13th, 2014. As an innovation compared to the 2009 guideline, an individual therapy decision is possible under certain conditions. In this prospective study we examined the reliability of the therapy decision in respect of the new DVO-guidelines 2014.

Material and Methods: The same osteological data of 215 patients were presented to 2 independent investigators with osteological experience. Their treatment decisions and follow-up recommendations were evaluated statistically.

Results: The congruance of therapy decision was 92 %, but the congruance of the drug choice was only 63.8 %. Concerning 5 patients, a need for therapy was formulated, that would not have had a recommendation using the guidelines of 2009.

Conclusion: The new guideline of 2014 is a valid instrument for determining the need for therapy of osteoporosis patients, but not for the choice of drug. The new possibility of individual therapy decision was used in only 2.3 % of all cases.

Keywords: DVO-guideline 2014, osteoporosis, osteoporosis treatment, DXA-check

Citation

Reinboth K, Heisel J, Drabiniok T, Herwarth C: Prospective study
concerning the need for treatment of osteoporosis patients in view of the DVO-guideline 2014.
OUP 2016; 11:652–656000 DOI 10.3238/oup.2016.0652–0656

Einleitende Vorbemerkungen

Aufgrund des demografischen Wandels und der damit verbundenen Überalterung unserer Gesellschaft ist eine zunehmende Prävalenz der Osteoporose zu verzeichnen. Dies bringt enorme Folgen für das Individuum und wachsende Kosten für die Gesellschaft mit sich.

Bei der Osteoporose handelt es sich um eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige Knochenmasse und eine mikroarchitektonische Verschlechterung des Knochengewebes charakterisiert ist [3]. Die Folge ist ein Anstieg der Knochenfragilität mit der Neigung zu Frakturen. Die häufigste Frakturlokalisation ist der Wirbelkörper (Abb. 1). Dem hingegen stellt die Fraktur des proximalen Femurs (Abb. 2) sicherlich die folgenschwerste Komplikation dar [1, 9].

Das klinische Bild der Osteoporose wird geprägt von einem charakteristischen Habitus mit zunehmender Kyphosierung der Brustwirbelsäule, Größenabnahme durch Rumpfverkürzung, vorgewölbtem Abdomen und dem Auftreten typischer Hautfalten vom Rücken zu den Flanken (sog. Tannenbaumphänomen; Abb. 3) [1]. Laut Berichten der Krankenkassen sind in Deutschland aktuell 6–8 Millionen Menschen davon betroffen. Etwa 500.000 Frakturen sind jährlich auf Osteoporose zurückzuführen [7].

Insgesamt gehen Experten davon aus, dass nur 17 % der betroffenen Patienten eine leitlinienkonforme Behandlung erhalten [5]. Hinzu kommt eine schlechte Therapietreue der Patienten, insbesondere bei den am häufigsten verordneten oralen Bisphosphonaten [5]. Insgesamt kann also von einer durchaus ungenügenden medizinischen Versorgung der Patienten mit Osteoporose in Deutschland gesprochen werden. Zur Verbesserung der Situation könnte sicherlich die optimierte Kommunikation zwischen Akuthäusern, Rehabilitationseinrichtungen und niedergelassenen Ärzten beitragen. Hierbei ist ein gemeinsames Regime notwendig. Ein wichtiges Instrument hierfür ist die vom DVO herausgegebene Leitlinie. Die ursprüngliche DVO-Leitlinie besteht seit 2003. Sie wurde regelmäßig aktualisiert. Die aktuelle Fassung ersetzte diejenige von 2009 und wurde am 13.11.2014 verabschiedet. Die Neuerungen wurden als Übersicht in Abbildung 4 zusammengefasst.

Fragestellung

Zur standardisierten Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose wurde am 13.11.2014 die DVO-Leitlinie 2014 verabschiedet (Abb. 4). Als Neuerung gegenüber der Leitlinie 2009 ergibt sich unter anderem im Falle von niedrig-traumatischen proximalen Femurfrakturen, Wirbelkörperfrakturen und einer bestehenden oder geplanten Kortikoidtherapie eine fallabhängige Indikation für die medikamentöse Therapie bei einem T-Score > –2,0. Daraus resultiert erstmals für den therapierenden Arzt eine individuelle Therapieentscheidung. Vorteile für Patienten ergeben sich in vielen Fällen. Die mit der neuen Leitlinie einhergehende Entscheidungsfreiheit könnte jedoch, insbesondere bei osteologisch weniger erfahrenen Kollegen, auch zu einer Unsicherheit in der Bewertung der Behandlungsbedürftigkeit führen.

Die hier vorgelegte Arbeit soll dazu dienen, die Reliabilität der Therapieentscheidung nach der DVO-Leitlinie 2014 zu untersuchen durch Befundung der gleichen osteologischen Daten von insgesamt 215 Patienten durch 2 voneinander unabhängige Untersucher.

Material und Methodik

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