Übersichtsarbeiten - OUP 04/2017

Rehabilitation nach Hüftendoprothese – was gibt es Neues?

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Christian Dynybil1

Zusammenfassung: Nach Einführung von Fast-track-Chirurgie-Konzepten, welche zeitlich der Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf eine fallpauschalisierte Vergütung folgten, sieht sich die medizinische Rehabilitation mit neuen Aufgaben konfrontiert, die ohne Anpassung der Klinikstruktur und der Prozessabläufe nicht ausreichend bewältigt werden können. Patienten werden zunehmend in einem Zustand aus dem Akutkrankenhaus verlegt, in dem sie früher noch nicht als geeignet für die Rehabilitation gegolten hätten. Die in den Akutkliniken bereits eingeleiteten Fast-track-Chirurgie-Konzepte sind aus der Sicht der medizinischen Rehabilitation weitestgehend noch in der Entwicklungs- bzw. Einführungsphase und berücksichtigen bei weitem noch nicht die neu in Inhalt bzw. Umfang verlagerten Aufgaben [72, 74, 79].

Schlüsselwörter: Patientenerwartung, Fast-track-Chirurgie,
Rehabilitation

Zitierweise
Dynybil C: Rehabilitation nach Hüftendoprothese. Was gibt es Neues? OUP 2017; 4: 220–227 DOI 10.3238/oup.2017.0220–0227

Summary: Since the introduction of fast-track-surgery concepts, which chronologically followed the change to a new hospital reimbursement system based on diagnosis related group (DRG) flat rates, rehabilitation clinics are confronted with new challenges, that cannot be managed without adaption of the clinic structure and process sequences. Patients are transferred to the rehabilitation clinic more and more in an inappropriate state of health, concerning the patient`s potential for rehabilitation in accordance to socio-medical guidelines. From rehabilitation clinics’ perspective fast-track-surgery concepts are still in a development and introduction phase, respectively. Up to now, they do not prevent the devolution of originally acute hospital associated functions to rehabilitation clinics.

Keywords: patient expectations, fast-track surgery, rehabilitation

 

 

Citation
Dynybil C: Rehabilitation following total hip replacement – what‘s new? OUP 2017; 4: 220–227 DOI 10.3238/oup.2017.0220–0227

Einleitung

Patientenerwartung, Fast-track-Chirurgie, Rehabilitation: In den letzten 10–15 Jahren hat sich in der Versorgung der Patienten nach Hüftgelenkersatz in Deutschland ein deutlicher Wandel vollzogen. Für die Rehabilitation stellte die Einführungen der sogenannten Fast-track-Chirurgie, welche zeitlich der Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf eine fallpauschalisierte Vergütung folgte, die in der Konsequenz wohl bedeutendste Neuerung dar. Die Absicht der Fast-track-Chirurgie nach schnellerer Heilung und Krankenhausentlassung stimmt grundsätzlich mit den Interessen der Patienten und deren Erwartungen überein. Die flächendeckende, inhaltliche Umsetzung hat sich in Deutschland jedoch noch nicht durchgesetzt, auch wenn in Bezug auf die sinkende Krankenhausverweildauer überwiegend so gehandelt wird, als ob dies der Fall wäre. In diesem Artikel werden die Neuerungen im Bereich der Rehabilitation nach endoprothetischer Versorgung des Hüftgelenks und deren Vorboten unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Ergebnisse dargestellt.

Patientenerwartung

Die Hüftendoprothetik galt in den 1960er Jahren unter Sir John Charnley noch als Mobilität-erhaltendes Verfahren für ältere Patienten mit geringen Ansprüchen an das neue Hüftgelenk. Dieses Anspruchsverhalten hat sich vor allem von Seiten der Patienten mittlerweile deutlich geändert. Diese erwarten, mit ihrem „neuen Hüftgelenk“ möglichst schnell wieder ihren gewohnten Tätigkeiten in Beruf und Freizeit nachgehen zu können.

Hudack et al. berichteten bereits, dass sich die Patientenzufriedenheit so lange nicht einstellen werde, bis der Patient seine ursprünglichen Ziele erreicht habe, wegen der er sich auf die Operation einließ [1]. Der Wunsch des Patienten, möglichst rasch seine persönlichen Ziele zu erreichen, heißt gleichzeitig auch, das Krankenhaus zügig zu verlassen.

In der Regel ist dieser Wunsch dann umsetzbar, wenn sich der Patient in der Lage fühlt, sein Ziel auch nach eigener Einschätzung erreichen und den Weg dorthin kontrollieren zu können [2, 3].

Diese sich bereits präoperativ manifestierenden Erwartungen und Wahrnehmungen sind mit dem Streben nach „Selbstwirksamkeit“ vereinbar; ein Begriff, der in der kognitiven Psychologie die Überzeugung einer Person beschreibt, Situationen und Herausforderungen bewältigen zu können. Eine wesentliche Grundlage für eine postoperativ schnellere Regeneration und letztendlich Entlassungsfähigkeit des Patienten ist neben der Minimierung der operativen Integritätsverletzung von Körperstrukturen und Beeinträchtigung physiologischer Abläufe somit auch die Berücksichtigung kognitiver Heilungsprozesse mit Unterstützung des Selbstwirksamkeitsempfindens. Letzteres wird insbesondere im Bereich der Akut- bzw. chirurgischen Medizin bislang unzureichend in die Behandlung einbezogen.

Die Bemühungen, den Krankenhausaufenthalt des Patienten zu verkürzen, wurden in den USA bereits in den 1980er Jahren durch die Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf ein Fallpauschalsystem (Medi-Care-DRG-Program USA) maßgeblich angetrieben. Die wesentlichen therapeutischen Meilensteine, die eine Verkürzung der Krankenhausverweildauer ermöglichten, waren die Anwendung der Regionalanästhesie, die Entwicklung von Rapid-Recovery-Protokollen anhand kontrollierter Verfahrensänderungen und die sogenannte minimalinvasive Chirurgie. Mit Einführung der fallpauschalisierten Vergütung 2004 wurden auch in Deutschland zusätzlich finanzielle Anreize zur Verkürzung der Verweildauer gesetzt (German Diagnosis Related Groups). Wie auch in den benachbarten, vor allem westeuropäischen Ländern wurden spezifische Behandlungskonzepte erstellt, die als rapid recovery, fast-track surgery oder fast-track rehab bezeichnet wurden. Obwohl bei diesen Bezeichnungen jeweils auf die Schnelligkeit der Verfahren hingewiesen wird, betonten Kehlet et al. bereits bei der Einführung dieser Verfahren, dass die Fast-track-Chirurgie nicht entwickelt wurde, um speziell den Krankenhausaufenthalt zu verkürzen, sondern vielmehr, um eine schmerz- und risikofreie Operation zu ermöglichen und den Heilungsverlauf zu beschleunigen [4, 5].

Die systematische Ein- und Durchführung von Fast-Track-Protokollen in den letzten 10 Jahren war im Wesentlichen auf die medizinischen Abläufe in deutschen Akut-Kliniken beschränkt, es stellte sich jedoch in vielerlei Hinsicht indirekt auch als einflussreichste Neuerung im Bereich der Reha-Kliniken bzw. bei der Anschlussrehabilitation nach endoprothetischer Hüftgelenkversorgung dar.

Patienten nach endoprothetischer Gelenkversorgung wurden in den letzten 10 Jahren zunehmend früher aus dem Akutkrankenhaus in die Rehabiliationsklinik verlegt, die ehemals Akutmedizin-assoziierten postoperativen Versorgungsaufgaben ebenfalls. Um die möglichen Ursachen des sich daraus ändernden Selbstbilds und der sich ebenfalls ändernden Aufgabenstruktur der eigentlichen Anschlussrehabilitation in eine Form der integrierten Versorgung eruieren zu können, ist ein kurzer Überblick über die aktuell geltenden Komponenten der Fast-track-Chirurgie, dem Stand der Wissenschaft sowie der beschriebenen Umsetzung in Deutschland hilfreich.

Fast-track-Chirurgie

Begründet mit der Durchführung von Fast-track-Chirurgie-Protokollen, kam es im letzten Jahrzehnt zu einer signifikanten Reduktion der stationären Verweildauer im Akutkrankenhaus nach endoprothetischer Hüftgelenkversorgung. Das als „fast-track surgery“ bzw. „fast-track rehabilitation“ bezeichnete Behandlungskonzept besteht nach derzeitigem Stand im Wesentlichen aus folgenden Komponenten [6]:

Minimalinvasive Chirurgie

Schmerztherapie

Patientenedukation

Rehabilitation/Physiotherapie.

Minimalinvasive Chirurgie

Es hat sich – orientiert am bisherigen Stand der Wissenschaft – weder in der minimalinvasiven Chirurgie der Hüftendoprothetik selbst noch im Vergleich des minimalinvasiven Zugangs zum jeweils konventionellen Zugang ein Verfahren bislang eindeutig durchsetzen können. Einigkeit besteht darin, dass sicher mit Hilfe ausreichender operativer Erfahrungen und geeignetem Instrumentarium das Weichteiltrauma reduziert wird und der Eingriff mit geringeren Schmerzen verbunden ist [6–23].

Überwiegend wird die minimalinvasive Hüftendoprothetik mit einer kürzeren Krankenhausverweildauer und geringeren Schmerzen, zumindest in der frühen postoperativen Phase, assoziiert [7, 12, 19].

Auch wenn ein minimalinvasiver Hautschnitt (? 10 cm) nicht einheitlich mit einer verbesserten Mobilität und Funktionsfähigkeit der operierten Hüfte assoziiert werden konnte, so gibt es jedoch Hinweise für einen psychischen Benefit durch einen kleineren Hautschnitt, welcher vom Patienten als eine geringere Beschädigung des eigenen Körpers wahrgenommen wird und der subjektiven Patientenerwartung näher kommt, wieder vollständig zu regenerieren [17, 18, 24, 25].

Schmerztherapie

Von den 4 wesentlichen Komponenten der Fast-track-Verfahren gilt die Optimierung der intraoperativen sowie perioperativen Schmerztherapie als bislang überzeugendste Komponente für das Erreichen einer hohen Patientenzufriedenheit. Das Ausmaß der Schmerzen korreliert auch nach eigener klinikinterner Auswertung signifikant proportional mit der Mobilität und Funktionsfähigkeit. Multimodale Schmerztherapieprotokolle sind im Rahmen der Fast-track-Verfahren betont darauf ausgerichtet, funktionsbeeinträchtigende Nebenwirkungen der Analgesie wie Atemdepression, Müdigkeit, Miktionsstörungen, Obstipationen, Übelkeit und Erbrechen zu minimieren, die in Art und Umfang der Schmerzmittel in Verbindung stehen [26–30].

Medikamentöse Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen sowie Benommenheit beeinflussen maßgeblich die Zufriedenheit der Patienten und ihrer Wahrnehmung, sich der Alltagsbelastung stellen zu können. Die Verminderung dieser Nebenwirkungen erhöht die Mobilität, Belastbarkeit und letztendlich auch die Rehabilitationsfähigkeit des Patienten und ermöglicht eine schnellere Genesung [23, 31, 32].

Eine präoperative bzw. präemptive Schmerztherapie hat sich als vorteilhaft auf die Krankenhausverweildauer erwiesen. Empfohlen wird z.B. eine Kombination aus Entzündungshemmern (favorisiert selektive Cox II-Hemmer), Antikonvulsiva (z.B. Lyrica 50 mg oder Gabapentin 600 mg) und Antiemetika (z.B. Scopolaminpflaster). Vereinzelt wird auch die Gabe von Opioiden (z.B. Oxycodon bis zu 20 mg) in Erwägung gezogen [6, 33, 34].

Husted et al. beschrieben jedoch, dass die präemptive Opioidgabe keinen Einfluss zumindest auf die Akutkrankenhausverweildauer habe [33].

Intraoperativ gilt die Empfehlung, Narkotika und Sedativa auf das notwendige Minimum zu reduzieren bzw. nach Möglichkeit regionale Anästhesieverfahren zu nutzen. Die Spinalanästhesie erwies sich gegenüber der Vollnarkose als vorteilhafter, da die Patienten weniger über Probleme wie Unwohlsein, Müdigkeit, Übelkeit oder Erbrechen klagten. Nachteilig kann nach Spinalanästhesie die bisweilen verlängerte Aufhebung der Motorik und Sensibilität in der betroffenen Extremität sein [6, 34–36].

Die intraoperative lokale Infiltrationsanalgesie zeigte einen überwiegend positiven Einfluss auf die Schmerzreduktion, Funktion, Übelkeit bzw. Erbrechen und die Krankenhausverweildauer [6, 34–36]. Im „Ersten Berliner Orthopädiereport“ wird berichtet, dass die Anwendung einer lokalen Infiltrationsanästhesie zu einer Verweildauerreduktion von 1,4 Tagen nach endoprothetischem Hüftgelenkersatz führte [37]. Lunn hingegen konnte keinen zusätzlichen Effekt der lokalen Infiltrationsanalgesie nach Hüftprothesenimplantat nachweisen [34]. Hinsichtlich der postoperativen Schmerztherapie zeichnet sich eine zunehmend einheitliche Empfehlung ab, auf Morphin, insbesondere Retard-Präparate, zu verzichten. Morphin-assoziierte Nebenwirkungen wie Übelkeit, Benommenheit und Obstipationen seien mitverantwortlich für eine Verzögerung der Entlassungsfähigkeit der Patienten [27].

Studienergebnisse unterstützen die postoperative Anwendung der Regionalanalgesie mittels Plexus-Lumbalis-Block, Psoas-Kompartment-Block bzw. Nervus-femoralis-/ Single-Dose-Ischia- ticus-Block [6, 33–36, 38–43]. Kritisch ist hingegen nach Regionalanästhesie die teils reduzierte muskuläre Kontrolle zu berücksichtigen, z.B. in Form der Quadricepsparese. Die damit verbundene erhöhte Sturzgefahr würde dann die angestrebte Frühmobilisation und schließlich die Entlassungsfähigkeit verzögern [42, 43]. Für die mittelfristige postoperative Schmerztherapie nach der Entlassung aus dem Akutkrankenhaus sind je nach Schmerzart (Nozizeptorschmerz, neuropathischer Schmerz, reflektorischer Schmerz), in der Regel WHO-Stufe-1-Schmerzmedikamente (favorisiert nichtsteroidale Antiphlogistika), ergänzt durch Antikonvulsiva (Gabapentin, Pregabalin), ausreichend. Bei mittelgradigen Schmerzspitzen nach visueller Analogskala bzw. numerischer Ratingskala sind außer einer eventuellen Dosisanpassung der WHO-Stufe-1-Analgetika WHO-Stufe-2-Morphine (z.B. Tilidin) ergänzend zu verordnen.

Patientenedukation

Die Patientenedukation bzw. die präoperative Vorbesprechung, z.B. durch entsprechend geschultes Klinikpersonal, ergab in Studien keine klare Evidenz bezogen auf den Heilungsverlauf, wurde aber bei Patienten mit starker präoperativer Ängstlichkeit oder unrealistischen Erwartungen als hilfreich bewertet [44, 45]. Hozack betonte, dass aus seiner Sicht das Wichtigste an der Patientenedukation die Teilnahme der Familie bzw. der Angehörigen sei, damit diese von Anfang an in den gesamten Prozess- bzw. Versorgungsablauf integriert werden, von der Vorbesprechung über den Transport bis hin zur Anpassung der häuslichen Einrichtung und poststationären Mobilisierung des Patienten. Ohne die Beteiligung der Familie bzw. Angehöriger würde nach seiner Erfahrung die Fast-track-Chirurgie nicht funktionieren [46].

Rehabilitation/Physiotherapie

Die zeitnahe, postoperative Mobilisation mittels Physiotherapie ist nach den Erkenntnissen der medizinischen Trainingslehre nachvollziehbar. Bislang konnte jedoch in Studien nicht eindeutig nachgewiesen werden, welches die optimale Form der Physiotherapie ist, wann sie beginnen sollte und über welchen Zeitraum [47, 48]. Einer der Gründe für die heterogene Studienlage wird darin vermutet, dass trotz allgemeiner Empfehlungen die physiotherapeutische Behandlung sehr uneinheitlich durchgeführt wird und die bisherigen Studien, insbesondere hinsichtlich des Langzeiterfolgs, daher nur unzureichend ausgewertet werden konnten. Bislang konnte durch ein intensiviertes physiotherapeutisches Trainingsprogramm ein allenfalls mittelfristig vorteilhafter Effekt hinsichtlich Bewegungsausmaß und Lebensqualität in den ersten 3–4 Monaten festgestellt werden [47–50].

Insgesamt zeigten Studien bessere Ergebnisse im Heilungsverlauf mit früherem Erreichen funktioneller Etappen bei folgenden Rahmenbedingungen:

Zeitpunkt: postoperativ frühestmöglicher Beginn der körperlichen Beübung zur Vermeidung einer Progredienz muskulärer bzw. funktioneller Defizite durch prolongierte körperliche Ruhigstellung [51–54]

Therapieinhalt: Übungen mit steigendem Widerstand (progressives Krafttraining), Durchführung eines spezifisch Muskel- und Funktionsdefizit-orientierten Trainings [51, 52, 55–57]

Therapieumfang: Auch wenn Lensen et al. keinen signifikanten Effekt durch Verdopplung der Physiotherapie feststellten, zumindest auf die Bewegungsausmaße nach Knie-TEP-Implantation bezogen, so konnte in mehreren Studien mittels intensivierter Physiotherapie im Vergleich zur Kontrollgruppe eine signifikante Verkürzung der Krankenhaus-Verweildauer und eine früheres Erreichen funktioneller Trainingsetappen bei der Alltagsstabilität festgestellt werden (Gehstrecke, Gehdauer, Treppensteigen, Koordination, Selbstwirksamkeit) [20, 58–61].

Übungsinhalte: Wenige (übersichtliche) anatomisch-funktionelle Übungsinhalte zeigten eine bessere Patienten-Compliance und ein schnelleres Erreichen funktioneller Zielinhalte, als ein für den Patienten unüberschaubares, überforderndes Therapieprogramm [62].

Informationsaustausch zwischen den Therapeuten: Eine detaillierte Übergabedokumentation der Reha-Übungsinhalte verbunden mit einer einheitlichen und in sich geschlossenen Fortführung des Therapieprogramms führte zu einem besseren Behandlungserfolg [62].

Eine präoperative physiotherapeutische Beübung ergab bislang keinen eindeutigen Vorteil in Bezug auf eine postoperativ schnellere Heilung und Verkürzung der stationären Behandlung [63].

Insgesamt beschreiben Studien mehrheitlich, dass eine frühe, intensivierte, multidisziplinäre Rehabilitation postoperativ vorteilhaft in Bezug auf schnellere Genesung, Verkürzung des Krankenhausaufenthalts und Verbesserung des Bewegungsumfangs nach endoprothetischer Gelenkversorgung ist. Einheitlich strukturierte Studien sind erforderlich, um auch die statistische Evidenz der Wirkung der physiotherapeutischen Behandlung auf den Behandlungserfolg nach endoprothetischer Gelenkversorgung nachreichen zu können [47, 64–68].

Auch wenn das Ziel der medizinischen Trainingstherapie ähnlich wie bei den operativen Eingriffen die Entwicklung neuer Methoden zur Beschleunigung des Heilungsverlaufs ist, so ist die völlig unterschiedliche Ausgangslage der beiden Therapieverfahren zu berücksichtigen. Bei der Operation handelt es sich primär um eine von außen herbeigeführte Verletzung von Körperstrukturen. Erst seit vergleichsweise wenigen Jahren hat man mittels Veränderungen in Material und Methodik damit begonnen, diesen „Fremdschaden“ mit der Absicht einer schnelleren Heilung zu reduzieren (minimalinvasive Chirurgie). Bei der konservativen Nachbehandlung handelt es sich primär um eine Aktivierung „innerer“, körperlicher sowie kognitiver, Potenziale. Diese inneren Heilungspotenziale unterliegen individuellen, genuinen Abläufen in Zeit und Ausmaß, die im Wesentlichen zu respektieren und nicht durch von außen zugefügte, verallgemeinerte aggressive Behandlungsmethoden zu gefährden sind. Eine von außen zugefügte Fast-track-Nachbehandlung, welche die naturgemäßen, biologischen, insbesondere zeitlichen Abläufe nicht berücksichtigt, wird ihr Ziel verfehlen. Darin liegt im Vergleich zur Fast-track-Chirurgie die wesentliche, naturgemäße Limitierung der Fast-track-Rehabilitation.

Bezogen auf die Wirkung der Fast-track-Chirurgie-Komponenten im Einzelnen liegt eine noch weitestgehend heterogene Studienlage vor. Am schlüssigsten lassen sich Erfolge der Fast-track-Chirurgie-Verfahren hinsichtlich einer schnelleren physischen Heilung und Selbstversorgungsfähigkeit des Patienten durch ein abgestimmtes Zusammenspiel der Fast-track-Therapieelemente aufeinander erklären. Berger berichtete, dass die genannten Fast-track-Therapiekomponenten alleine höchstens 20 % zur rascheren Heilung (rapid recovery) beitragen würden [6]. Erst durch die Synergie dieser Therapiekomponenten würde sich die volle Wirkung entfalten, gemäß der Erkenntnis Aristoteles: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ (Abb. 1).

Fast-track-Behandlung in Deutschland: Umsetzung, Wahrnehmung und
Auswirkungen des neuen
Behandlungskonzepts
auf die Rehabilitation

In der Außendarstellung wird die verkürzte Krankenhausverweildauer meist noch als nachteilig wahrgenommen. Die Umstellung von Pflegetagen auf das Fallpauschalsystem habe dazu geführt, dass es sich für die Kliniken nicht mehr lohne, Patienten länger als unbedingt nötig aufzunehmen [69].

Die Reha-Mediziner Greitemann und Heisel berichten, dass „Patienten zunehmend in einem Zustand aus dem Akutkrankenhaus verlegt werden, in dem sie früher noch nicht als geeignet für die Rehabilitation gegolten hätten“ [70, 71].

Die Durchführung von Fast-track-Therapieelementen nach endoprothetischer Hüftgelenkversorgung scheint mit der signifikanten Verkürzung der Krankenhausverweildauer seit 2003/2004 in Deutschland bislang nicht vergleichbar Schritt gehalten zu haben. Die Befragung von über 200 Operateuren und Anästhesisten zur medizinischen Versorgung in der elektiven Hüft-und Knieendoprothetik ergab, speziell im Hinblick auf die Wahrnehmung und Durchführung der Fast-track-Chirurgie, von Seiten der Akteure folgendes Bild für Deutschland [72]:

Bei der Verweildauerreduktion schreiben ca. 50 % der befragten Ärzte auch zukünftig ökonomischen Faktoren hohen Einfluss zu.

62 % der Operateure haben keine Entlassungskriterien nach Hüftgelenkersatz festgelegt. Die Entlassung erfolge weder nach qualitativen Standards noch nach einem speziellen Behandlungspfad. Dieser für die Verweildauer wichtigste Punkt finde demzufolge viel zu wenig Beachtung.

97 % der befragten Anästhesisten verwenden bei der Hüftendoprothetik standardmäßig Opiate für die Analgesie.

Der für eine erfolgreiche Abstimmung der Fast-track-Therapieelemente als essenziell bewertete prozessrelevante Informationsfluss zwischen Anästhesisten, Operateuren und Physiotherapeuten wird von rund 55 % der Befragten als nicht regelmäßig beschrieben (interdisziplinäre Abstimmung).

Als häufigstes Anästhesieverfahren bei Hüft-Operationen dominiert weiterhin die Allgemeinanästhesie (78 %).

Die lokale Infiltrationsanalgesie wird in der Hüft-und Knieendoprothetik nur von einer Minderheit genutzt (22 %).

In 93 % werden weiterhin Drainagen nach Hüftgelenkersatz gelegt und nach einem traditionell-festgelegten Zeitraum (76%) gezogen, in nur 9 % orientiert an der Drainagemenge, ohne wissenschaftlichen Beleg für deren Vorteil. Die Drainage stellt für den Patienten möglicherweise eine Behinderung in der Mobilität dar, erhöhte dessen Krankheitsempfinden und führt eventuell zu einer unnötigen Verlängerung der Krankenhausverweildauer.

Ca. 20 % der befragten Operateure verzichten auf ein perioperatives Blutmanagement (z.B. Bluttransfusion, Cell Saver, Tranexamsäure), welches postoperativ Einfluss auf Befinden, Müdigkeit oder Mobilisierbarkeit des Patienten haben kann.

Die Frühmobilisation nach Hüftendoprothetik findet in der Regel (61 %) erst einen Tag (13–24 Stunden) nach Hüftgelenkersatz statt.

In weniger als 30 % der befragten Kliniken steht die physiotherapeutische Mobilisation auch am Sonntag zur Verfügung (Therapielücke).

Nachuntersuchungen zur Kontrolle der eigenen Ergebnisqualität werden in ca. 30 % der befragten Akteure nicht genutzt.

Es scheint, dass die Etablierung und Durchführung von Fast-track-Therapieelementen der angestrebten Verkürzung der Krankenhausverweildauer folgt; wünschenswert wäre auch aus Sicht der Nachbehandler eine „gesündere“ umgekehrte Entwicklung. Die Senkung der Verweildauer sollte nur die Folge eines rascheren, qualitativ besseren Genesungsverlaufs und damit das Nebenprodukt einer verbesserten Versorgung und optimierter Prozesse sein [72].

Nichtsdestotrotz zeigen die Fast-track-Chirurgie bzw. die Einführung des Fallpauschalsystems Wirkung. Eigene Auswertungen in der Rehabilitationsklinik Saulgau ergaben, dass der Anteil von Patienten, die nach endoprothetischer Gelenkversorgung (Hüfte, Knie) unter 9 Tagen postoperativ in der Reha aufgenommen wurden, von rund 2 % (2003) signifikant auf rund 37 % (2016) gestiegen ist. Nach medizinischem Ermessen sollte davon auszugehen sein, dass die deutliche Verkürzung des Akutkrankenhausaufenthalts keine nachteiligen Auswirkungen auf den Rehabilitationszustand des Patienten haben sollte, da eine ausreichende Belastungsfähigkeit des Patienten im Einklang mit den Rehabilitationskriterien vor der Verlegung berücksichtigt wird.

Die Wahrnehmung der Reha-Mediziner stimmt jedoch mit dem Ergebnis der Befragung von Krankenhausärzten überein, dass in über 60 % der befragten Krankenhäuser keine definierten Entlassungskriterien vorlägen [72].

Die klare Definition von Entlassungskriterien aus dem Akutkrankenhaus stellt sich daher umso bedeutsamer dar, da es zumindest bezüglich der Rehabilitationsfähigkeit sozialmedizinisch definierte Vorgaben gibt. Diese dienen auch zur Abgrenzung einer Pflegebedürftigkeit des betroffenen Patienten und müssen vor Einleitung rehabilitativer Maßnahmen überprüft und berücksichtigt werden.

Als rehabilitationsfähig für eine Anschlussrehabilitation gelten nach sozialmedizinischer Bewertung:

reizfreie Wundverhältnisse ohne Anhaltspunkt für lokale Infektion

weitgehende Eigenständigkeit für die wichtigsten ADLs (activities of daily living), Barthel-Index von mindestens 65 Punkten

ausreichende und sichere Mobilität zumindest für kurze Wegstrecken auf Stationsebene (eventuell unter Zuhilfenahme von Gehstützen)

zumindest zufriedenstellendes Funktionsausmaß des operierten Gelenks (Hüfte: Extension/Flexion 0–0–80°)

ausreichende persönliche Motivation zur Rehabilitation

ausreichendes kognitives Zustandsbild (keine schwere Demenz, Verwirrtheit, Desorientierung)

Frührehabilitation des Rehabilitanden muss gewährleistet sein (z.B. selbständig essen, sich waschen und sich in der Einrichtung zumindest auf Stationsebene bewegen können) [71, 73].

Die bislang einzige Langzeitstudie, welche die Auswirkungen der Einführung der fallpauschalisierten Vergütung in deutschen Krankenhäuser, die Folgen der Fast-track-Chirurgie-Verfahren und zugleich der zunehmend kürzeren Krankenhausverweildauer auf die Rehabilitation darstellt, ist die REDIA-Studie (Rehabilitation and Diagnosis Related Groups-Studie).

In dem Beobachtungszeitraum der REDIA-Studie zwischen 2003 und 2011 wurden folgende Veränderungen beobachtet, welche die Reha-Einrichtungen nach endoprothetischer Versorgung der Hüfte ungeplant vor neue Herausforderungen stellten und zunehmend stellen:

Verkürzung der Verweildauer nach Hüftendoprothetik von 17,3 auf 12,5 Tage (p < 0,001)

Signifikante Verschlechterung des Patientenzustands bei Aufnahme in der Rehabilitationsklinik nach Hüft-TEP-Implantation (Staffelstein-Score von 80 auf 70; p < 0,01).

Als Folge der Verschlechterung des Patientenzustands stieg bei Reha-Patienten nach Hüft-TEP-Implantation der Anteil mit erhöhtem medizinischem Aufwand von 2 % auf 20%.

Die behandlungsbedürftigen Begleiterkrankungen stiegen zum Zeitpunkt der Aufnahme in der Reha-Einrichtung um 25 % (Wundheilungsstörungen, Hämatome).

C-reaktives Protein (CrP)-Entzündungswerte bei Hüft-TEP-Patienten waren bei Reha-Aufnahme 2011 im Vergleich zu 2003 mehr als doppelt so hoch (18,2 mg/dl vs. 8,9 mg/dl). Erhöhte CrP-Werte korrelierten signifikant mit vermehrten Schmerzen (p = 0,01).

Die Häufigkeit der Entfernung von Naht-/Klammermaterial in der Rehabilitation hat sich vervierfacht (DRV-Patienten) bzw. verachtfacht (GKV-Patienten)

Die Anzahl der Rückverlegungen in die Akutkrankenhäuser ist seit Beginn der REDIA-Studie um 35 % angestiegen.

Anstieg der Therapieleistungen in der orthopädischen Rehabilitation um 16,3 % (REDIA-I-Studie 2003/2004 = 2063 Minuten; REDIA-III-Studie 2009/2011 = 2401 Minuten).

Anstieg nicht-opioider Schmerzmittel bei orthopädischen Reha-Patienten von 4 % auf 29 %.

Die REDIA-Studie gilt ebenfalls als bislang einzige Langzeitstudie, die eine fundierte Aussage über Aufwandverschiebungen zwischen den Gesundheitssektoren zulässt. Eiff schlussfolgert aus den Ergebnissen der REDIA-Studie, dass ein Teil der im Akutkrankenhaus generierten Effizienzgewinne durch Verkürzung der Liegezeiten (Reduktion des Arzneimittelaufwands, Auslastungssteigerung) auf der Aufwandssteigerung im Rehabilitationsbereich beruht. Das gegenwärtige Anreizsystem bei Anschlussrehabilitations-Patienten führe aufgrund fehlender Ausgleichsmechanismen für verlagerte Aufwendungen aus dem Akutkrankenhaus in die Reha (zum Beispiel Wundversorgung, Diagnostik, Materialverbrauch, personelle Leistungen) zu einer Fehlallokation bei der Kompensation der Aufwandsverlagerung [74–76].

Neues in der Rehabilitation aus eigener Erfahrung

Planbarkeit

In der Rehabilitationsklinik Saulgau kam es im Beobachtungszeitraum zwischen 2003 und 2016 zu einer signifikanten Zunahme der Rehabilitanden, die nach einem Zeitraum von < 9 Tagen postoperativ aufgenommen wurden (2003: 2,40 %; 2016: 36,74 %; p < 0,001 ) (Abb. 2). Der Anteil an Patienten, die in weniger als 7 Tage postoperativ in unsere Rehabilitationsklinik verlegt wurden, hat sich zwischen 2010 und 2016 mehr als verzehnfacht (2010: 0,80 %; 2016: 9,56 %) (Abb. 3). Tendenziell zunehmend werden se it 2014 Patienten rund 5–6 Tage nach endoprothetischer Hüftgelenkversorgung verlegt. Im Zeitraum zwischen August 2014 und April 2016 mussten von 6227 Rehabilitanden 78 Rehabilitanden (1,3 %) innerhalb der ersten 15 Tage postoperativ (5.–14. Tag) aufgrund akuter medizinischer Indikationen in das primär behandelnde Krankenhaus zurück bzw. in das nächstgelegene Akutkrankenhaus verlegt werden. Damit entfielen 80,8 % der Verlegungen auf einen Zeitraum post Operation, zu dem sich die Rehabilitanden vor Einführung der fallpauschalisierten Vergütung noch im Akutkrankenhaus befunden hätten (2003: 17,41 Tage (SD = 5,16 Tage) und dort weiterführend diagnostiziert und versorgt worden wären [74].

Die Ursachen für einen vorzeitigen Abbruch der Rehabilitationsmaßnahmen waren vielfältig und betrafen diverse medizinische Fachbereiche. In rund 22 % der akutmedizinisch zu behandelnden Fälle handelte es sich um direkt mit der Operation assoziierte Komplikationen (Wundheilungsstörungen, periprothetische bzw. prothetische Komplikationen z.B. Fraktur, Lockerung, Infekt). In rund 78 % handelte es sich um nicht direkt mit der Prothese assoziierte Komplikationen (kardial, abdominell, pulmonal, psychogen, Sonstige).

Mit Einführung einer fallpauschalisierten Vergütung der Krankenhausfinanzierung bzw. geplanter Verkürzung der Krankenhausverweildauer häuften sich kurzfristige Absagen des in der Regel mehrere Wochen im Voraus vereinbarten Reha-Platzes von Seiten des Akutkrankenhauses.

Im Auswertungszeitraum August 2014 bis August 2015 (n = 3310) wurden 7,5 % der geplanten Anschlussrehabilitationen aufgrund nicht gegebener Verlegbarkeit des Patienten abgesagt (n = 249), was im Durchschnitt eine Absage pro Werktag bedeutete. 84,6 % der Absagen fanden in einem Zeitraum von unter 2 Tagen vor bzw. nach geplantem Reha-Aufnahmetag statt.

Zum Ärgernis anderer Akutkrankenhäuser bzw. der jeweiligen Operateure und Sozialdienste konnten derart kurzfristig freigewordene Reha-Betten nicht mehr rechtzeitig von anderen Bedürftigen genutzt werden. Dies führte gehäuft zu der unbefriedigenden Situation, dass vorhandene medizinische Ressourcen in der Rehabilitation nicht effizient genutzt werden konnten. Begleitend stellt die gehäufte Absage bzw. Verschiebung der Anschlussrehabilitation von Seiten des Akutkrankenhauses ein ökonomisches Problem für die Rehabilitationseinrichtungen mit schlechterer wirtschaftlicher Planbarkeit der Ressourcen dar.

Klinischer Verlauf
und Aufenthaltsdauer

Die Anschlussrehabilitation in der Rehabilitationsklinik Saulgau beginnt in der Regel als Direktverlegung aus dem Akutkrankenhaus, im Durchschnitt 9,7 Tage postoperativ (Standardabweichung ± 4,2 Tage; 2016). In eigener Studie wurden 200 Patienten nach primärer Hüftgelenkersatzoperation im Beobachtungszeitraum zwischen Dezember 2015 und April 2016 zu paraklinischen Parametern, alltagsrelevanten funktionellen Fähigkeiten, Schmerzempfinden und Selbstwirksamkeitswahrnehmung in Assoziation mit dem Aufnahmezeitpunkt in der Reha-Einrichtung untersucht.

Signifikante Ergebnisse zeigten sich in der Höhe des C-reaktiven Proteinwerts (CrP) und dem Aufnahmezeitpunkt. Je früher der Patient in die Rehabilitation verlegt wurde, desto höher war der CRP-Wert bei Aufnahme (r = –0,264; p < 0,001). Der CrP-Wert korrelierte wiederrum signifikant mit dem Ausmaß der Schmerzen im McGill-Schmerzfragebogen (r = 0,185; p = 0,01). Der bedeutendste Einflussfaktor auf die Funktionsfähigkeit und die Selbstwirksamkeitswahrnehmung schien das Ausmaß an Schmerzen zu sein. Starke Schmerzen im McGill-Schmerzfragebogen korrelierten signifikant mit einem schlechteren Abschneiden beim Time-up-and-go-Test (r = 0,234; p = 0,003), erhöhtem Zeitbedarf beim Stairs-Measures-Test (r = 0,37; p < 0,001), schlechterer Funktion im Merle d‘ Aubigne-Test (r = –0,623; p < 0,001) und einem geringeren Selbstwirksamkeitsempfinden bzw. einem geringeren Selbstvertrauen, mit dem neuen Hüftgelenk die Aufgaben des Alltags selbständig bewältigen zu können (r = –0,312; p < 0,001).

Sämtliche Parameter konnten mittels multimodaler Therapie unter ärztlicher Kontrolle im Wochenvergleich jeweils signifikant verbessert werden. Den größten Fortschritt, aufgrund eigener Kompetenzen mit dem Hüftgelenkersatz wieder gewünschte Handlungen erfolgreich selbst ausführen zu können (Selbstwirksamkeitsempfinden), verzeichneten die Rehabilitanden zwischen der 3. und 4. Reha-Woche (3. Reha-Woche: 12,9; 4. Reha-Woche:16,9; p < 0,001).

Eigene Erfahrungen und Studienergebnisse zeigten, dass der Reha-Patient üblicherweise die erste Reha-Woche benötigt, um sich insbesondere bei frühzeitigerer Verlegung aus dem Akutkrankenhaus physisch wie psychisch zu stabilisieren sowie Informationen und Anleitungen zu korrekten Bewegungsabläufen zu verarbeiten.

Im Laufe der zweiten Reha-Woche tritt häufig die sogenannte „Erstverschlechterung“ auf, in der die Reha-Patienten häufig nach progressiver muskulärer Belastung und spezifisch Defizit-orientiertem Training den sogenannten Muskelkater (Mikrotraumata und Entzündungen im Muskelgewebe) verspüren. Ab der dritten Reha-Woche tritt dann zusammen mit der muskulären Konsolidierung und Adaptation zunehmend eine Stabilisierung der Bewegungsabläufe ein. Reha-Patienten, mit denen eine vierte Woche durchgeführt wurde, zeigten auch nach der dritten Reha-Woche eine weitere signifikante Verbesserung in den Bereichen Schmerzreduktion und Bewegungsablauf mit deutlicher Harmonisierung des Gangbilds und Umstellung von Unterarmgehstützen auf Walking-Stöcke im 2-Punkt-Gang. Darüber hinaus zeigten die Auswertungen ebenfalls zwischen der dritten und vierten Reha-Woche eine signifikante Verbesserung in den alltagsrelevanten Bereichen wie Treppensteigfähigkeit (Stairs-Measures-Test; p < 0,001), komplexen Transferbewegungen (Time-up-and-Go-Test; p < 0,01) sowie insbesondere der Selbstwirksamkeit (p < 0,001).

Nach eigener Beobachtung dienen 2 Grundlagen an rehabilitativen Rahmenbedingungen einem bestmöglichen Heilungsverlauf nach Hüftgelenkersatz:

Eine vorübergehende Distanzierung aus häuslichem Umfeld bzw. von den häuslichen Pflichten, um konzentriert neue Bewegungs- und Verhaltensmuster zu entwickeln, mit täglichem Zugang zur medizinischen Trainingstherapie. Es wird davon ausgegangen, dass unter stressreduzierten Rahmenbedingungen, z.B. fernab von häuslichen bzw. Alltagsaufgaben, das Gehirn sich besser für neue Informationen öffnet, wodurch im Gegensatz zum Alltagsstress kognitive Voraussetzung geschaffen werden, neue Bewegungen und Verhaltensmuster leichter zu verinnerlichen und umzusetzen.

Die Respektierung eines mindestens 3-wöchigen Adaptationszeitraums des Reha-Patienten unter ärztlich-physiotherapeutischer Begleitung ab Hilfsmittel-Mobilität ist eine wichtige Grundlage zum Aufnehmen, Wiederholen und Stabilisieren neuer Bewegungs- und Verhaltensmuster. Eigene oben beschriebene Auswertungen zeigten, dass eine zufriedenstellende Alltagsbelastbarkeit, physisch wie kognitiv, bei den meisten Patienten erst nach mindestens 3 Wochen multimodaler, interdisziplinärer Nachsorge festzustellen war. In unserem Beobachtungszeitraum konnte bei sämtlichen untersuchten Parametern (Schmerz, Mobilität, Selbstwirksamkeit) jeweils noch bis zur fünften Reha-Woche eine signifikante Verbesserung erreicht werden.

Die Schwäche in unserer Untersuchung liegt darin, dass nicht eindeutig nachzuweisen ist, dass diese deutlichen Verbesserungen maßgeblich infolge unserer Rehabilitationsmaßnahmen eintraten bzw. nicht auch unabhängig von unserer spezifischen Nachsorge postoperativ in einem vergleichbaren Zeitraum aufgetreten wären. Studien beschreiben jedoch überwiegend, dass eine postoperative Trainingstherapie bzw. insbesondere eine intensivierte Trainingstherapie mittelfristig von Vorteil ist und den Patienten frühzeitiger zu seiner gewünschten Alltagsmobilität verhilft [20, 51–62].

In Anbetracht der nachweislich bis zum Ende der vierten Reha-Woche signifikanten Verbesserungen in Funktion, Schmerzreduktion, Alltagsstabilität und Selbstwirksamkeit erscheint eine vorzeitige Beendigung in Bezug auf Grundvoraussetzungen der Teilhabe an Beruf und Alltag kontraproduktiv.

Angesichts der nachgewiesenen Aufgabenverlagerung in die Rehabilitationseinrichtung, der Funktion der vorübergehenden Alltagsdistanzierung sowie der demografischen Entwicklung erscheinen darüber hinaus die Bestrebungen einer weiteren Verkürzung der Anschlussrehabilitation unter 3 Wochen ebenso medizinisch paradox wie die merkliche anteilige Reduktion stationärer Rehabilitationsmaßnahmen zu Gunsten der ambulanten Rehabilitation [77].

Auch wenn, wie eingangs erwähnt, die Patienten nachvollziehbar daran interessiert sind, nach einer Hüftgelenkersatzoperation möglichst rasch das Akutkrankenhaus zu verlassen, ist die stationäre Anschlussrehabilitation von ihren Rahmenbedingungen nicht mit der Hospitalisation im Akutkrankenhaus zu vergleichen. Die mit der Akutklinik assoziierten Probleme wie Schlafstörungen durch den Krankenhausbetrieb, Krankenhausinfektionen durch resistente Mikroorganismen und letztendlich auch Kosten stehen im Gegensatz zur stationären Rehabilitation mit vorübergehender Alltagsdistanzierung, Nutzung ortsspezifischer Heilmittel und einer Behandlungskombination aus Training und Erholung. Zumindest ergab unsere Befragung von Patienten (n = 100) mit primärer Hüftgelenkersatzoperation am Ende der dritten Reha-Woche, dass sich rund die Hälfte der befragten Rehabilitanden sogar eine Verlängerung der stationären Rehabilitationsbehandlung gewünscht hätte.

Aus Sicht der Volkswirtschaft und der sozialen Sicherungssysteme sind Einsparungen in Form einer Verkürzung der Reha-Dauer oder darin begründetem Ausweichen auf die in der Regel kostengünstigere ambulante Rehabilitation nicht nachvollziehbar. Durch die medizinische Rehabilitation bleiben der Volkswirtschaft nachweislich jährlich über 150.000 Arbeitskräfte erhalten, wodurch sich die Kosten der Rehabilitation aufgrund zusätzlicher Einnahmen (zusätzliche Lohnnebenkosten durch Reha-bedingte Erwerbstätigkeit) sowie Vermeidung von Rentenzahlung aufgrund eines späteren Renteneintritts mehr als amortisieren. Die medizinische Rehabilitation trägt mit einem positiven volkswirtschaftlichen Netto-Nutzen schon heute zum wirtschaftlichen Wachstum in Deutschland bei. Pro investiertem Euro in die medizinische Rehabilitation fließen 5 Euro in die Gesellschaft zurück. Um das Ziel einer höheren Rendite zu erreichen, wird empfohlen, den vorhandenen Rehabilitationsbedarf besser auszuschöpfen. Dafür ist eine bessere Zusammenarbeit der Leistungserbringer, Reha-Träger und politischen Entscheidungsträger notwendig, um z.B. das Genehmigungsverfahren und somit den Zugang zur medizinischen Rehabilitation zu erleichtern [78].

Empfehlungen

Zur Optimierung der an sich sinnvollen Fast-track-Chirurgie-Zielsetzung und der notwendigen Harmonisierung der Schnittstellen zwischen den beteiligten Akteuren krankenhausintern, aber auch zu den Nachbehandlern, sind folgende Maßnahmen erforderlich:

verbessertes Verständnis spezifischer präoperativer Risikofaktoren zur Entwicklung differenzierter, Patienten-orientierter Fast-track-Programme mit verbesserter Planbarkeit des Verlegungs-/Entlassungszeitpunkts

Festlegung und Einhaltung von Entlassungskriterien aus dem Akutkrankenhaus unter Berücksichtigung der Rehabilitationsfähigkeit des Patienten

Optimierung multimodaler, nicht-opioidaler Analgesie, insbesondere nach Entlassung aus der stationären Behandlung

Entwicklung bzw. Verbesserung weichteilschonender Operationstechniken

Sicherstellung bzw. Optimierung der Patientenedukation zur Gewährleistung eines möglichst einheitlichen Patienteninformationssystems im Zeitalter von „Dr. Internet“

Entwicklung und Vereinheitlichung rehabilitativer Nachsorgemaßnahmen mit Untersuchung des Mechanismus der langfristigen Muskeladaptation in Bezug auf Zeitpunkt, Inhalt sowie Umfang der Therapie und letztendlich überschaubarer Vermittlung der Übungsinhalte als Hilfe zur Selbsthilfe

Zur Bewältigung der neuen Aufgaben der medizinischen Rehabilitation: Berücksichtigung der Aufwandssteigerung im Rehabilitationsbereich durch Aufwandsverlagerung aus dem Akutkrankenhaus mit Anpassung der Rehaklinik-Struktur (personell wie materiell) und der Prozessabläufe bei kostendeckenden Tarifen.

Erst wenn Fast-Track-Behandlungspfade systematisch-interdisziplinär von A wie Aufnahme bis R wie Reha durchgeführt werden, kann sich die Synergie der einzelnen Komponenten vollständig entfalten.

 

Interessenkonflikt: keine angegeben

 

Korrespondenzadresse

Dr. med. Christian Dynybil

Rehabilitationsklinik Saulgau

Fachklinik für Orthopädie
und Unfallchirurgie (BGSW),

Waldburg-Zeil Kliniken

Siebenkreuzerweg 18

88348 Bad Saulgau

christian.dynybil@wz-kliniken.de

Fussnoten

1 Rehabilitationsklinik Saulgau, Fachklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie (BGSW), Waldburg-Zeil Kliniken (Chefarzt: Dr. med. C. Dynybil)

 

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