Übersichtsarbeiten - OUP 11/2014

Schontechniken für Gelenke und Wirbelsäule beim alpinen Skifahren

C. Schönle1, T. Jöllenbeck2, W. Kuchler3

Zusammenfassung: Während bei früheren Skitechniken (enge Skiführung, Hüftknick, Körperdrehung und Knierotation) Bodenreaktionskräfte (BRK) und damit Belastungen der Beingelenke vom 4–6-fachen Körpergewicht (KG) auftraten, sind heute bei taillierten Ski und Carvingtechnik selbst bei Rennläufern nur noch Kräfte vom 2–4-fachen KG messbar. Wird gezielt eine dosierte Fahrweise mit Carvingtechniken (Schontechnik) durchgeführt, sinkt die BRK unter das Körpergewicht und ist niedriger als beim Gehen mit Skischuhen.
Werden dabei beide Ski belastet, kann die Hüftbelastung
weiter reduziert werden. Bleibt das Kniegelenk des Außenskis gestreckt, kann die retropatellare Belastung reduziert werden. Ein aufrechter Oberkörper mit schmerzlindernder Neutralhaltung kann Rückenschmerzen beim Skifahren lindern. Orthesen und Korsetts können dabei die Gelenk- und Wirbelsäulenstabilität unterstützen. Skifahren mit einer Endoprothese des Hüftgelenks ist erlaubt, aber nach Implantation einer Knie-Endoprothese sollte das Skifahren aufgegeben werden.

Schlüsselwörter: Carving Ski, Gelenkbelastung, Schontechnik

Zitierweise
Schönle C, Jöllenbeck T, Kuchler W: Schontechniken für Gelenke und Wirbelsäule beim alpinen Skifahren.
OUP 2014; 11: 544–553 DOI 10.3238/oup.2014.0544–0553

Summary: In previous skiing techniques (narrow ski position, hip bending, body rotation and knee rotation) ground reaction forces (GRF) – and thus the load upon the leg joints – increased up to 4–6-fold of body weight (BW). Today the parabolic shaped carving-ski and the modern carving technique produces only a load of 2–4-fold BW even in ski-racers. If performing a dosed carving technique (protecting style), the GRF decreases below the body weight and is lower than when walking in ski boots. When both legs (i.e. skis) are loaded equally, the load upon the hip can be further reduced. The retropatellar load can be diminished, if the knee joint of the outer ski remained stretched. An upright torso with a neutral posture can relieve the back pain while skiing. Orthoses and corsets can thereby support the joint and spinal stability. Skiing with an endoprosthesis of the hip joint is allowed, but after implantation of a knee endoprosthesis skiing should be abandoned.

Keywords: Carving skis, joint loading, load reducing ski technique

Citation
Schönle C, Jöllenbeck T, Kuchler W: Protecting style for joint and spine when skiing.
OUP 2014; 11: 544–553 DOI 10.3238/oup.2014.0544–0553

Alte und moderne Ski-Technik

Bemühungen, das Skifahren gelenkschonender zu gestalten und den natürlichen Bewegungen des Körpers anzugleichen, gibt es schon seit mehr als 40 Jahren [1–3]. Bei der „alten Skitechnik“ wurde eine Belastung gemessen, die auf flacherem Gelände etwa dem 5-fachen Körpergewicht (KG) entsprach; bei steileren Abfahrten stieg die Belastung auf das 4,1-fache (lange Schwünge, flacheres Gelände) bis zum 7,8-Fachen (kurze Schwünge, steiles Gelände) an. Vor allem in der Buckelpiste traten höhere Belastungen vom 8– bis 13-fachen KG auf [4]. Im Vergleich dazu erhöhte das Gehen die Gelenkkraft nur um das 2,5-fache, Laufen bei einer Geschwindigkeit von 12,6 km/h jedoch auf das 5,2-fache KG. Skilanglauf lag mit Werten vom 4,0-fachen KG für die klassische Technik und 4,6-fachen für Skaten unter diesen Werten [4]. Folglich wurde nur das kontrollierte, langsame Skilaufen alpin und Skilanglaufen als „sicher“ für Menschen mit einer Hüftendoprothese eingestuft [4].

Die althergebrachte „perfekte Skitechnik“, die auf eine enge Skiführung, eine intensive Arbeit aus den Kniegelenken (Kniekurbel), auf starke Vertikalbewegungen (Hoch- und Tiefentlastung), auf kurze enge Schwünge (Wedeln), auf Verdrehungen im Becken und Wirbelsäulenbereich (Gegendrehen, Antizipation, Rotation), und auf Knickbewegungen in Hüfte und Knie großen Wert legte, ist glücklicherweise durch eine moderne, freiere und dynamischere Fahrweise (Carvingtechnik) abgelöst worden [5].

Immerhin erkannten Skifahrer schon vor über 100 Jahren (Sondre A. Norheim 1860, Mathias Zdarsky 1897, Carl J. Luther 1916) die Vorteile der „bogigen Wirkung der Skikante“. Diese Erkenntnisse wurden 1982 und 1991 von den Firmen Kneissl und Elan als „taillierter Ski“ umgesetzt.

Mit diesen neuen, kurzen und taillierten Skiern ist es möglich, die Ski im gesamten Kurvenverlauf auf der Kante zu führen [6]. Das aktive Drehen der Ski – resultierend aus einer intensiven Verdrehung der Beingelenke und der Wirbelsäule – ist nun nicht mehr notwendig.

Standen früher Merkmale wie „Außenskibelastung“ und „Vertikalbewegung“ im Vordergrund sind heute Technikparameter wie „beidbeiniges Fahren“ und „ständiger Bodenkontakt“ gefragt. Vor allem die „beidbeinige Belastung“ – möglichst über den gesamten Schwungverlauf – hat sich in vielen Leistungsbereichen als Technikkriterium etabliert (Abb. 1): Durch synchrones Belasten von Innen- und Außenski gleitet der Ski am schnellsten und entfaltet die geringste Bremswirkung. Zugleich werden die hohen Bodenreaktionskräfte (BRK) auf beide Beine verteilt. Es hat sich allerdings gezeigt, dass es sich hierbei um gravierende Technikumstellungen handelt, die gerade von älteren Athleten nur schwer umsetzbar sind [7].

Während die alten Ski Kurvenradien von 40–80 m erlaubten, können mit den deutlich stärker taillierten Carvingski Radien zwischen 11 und 25 m erreicht werden [8]. Die Verkleinerung des Schwungradius führt zu höheren, auf den Skifahrer einwirkenden Kräften. Während bei einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 32 km/h eine Verkleinerung des Radius von 25 auf 15 m am Schwungende nur zu einer Erhöhung der Belastung um 270 N (vom 1,18-fachen auf 1,48-faches KG, Skifahrer 92 kg) führt, ruft eine weitere Verkleinerung des Radius von 15 auf 11 m bereits eine Erhöhung um weitere 690 N (2,25-faches KG) hervor (Werte aus [8] abgelesen und berechnet). Wird die Fahrtgeschwindigkeit nur leicht erhöht, steigen die Kräfte bereits deutlich [8].

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