Übersichtsarbeiten - OUP 01/2024

Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) in der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST)

Daniela Michalke

Zusammenfassung:
Die Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) ist trotz der sehr kontroversen Ergebnisse in verschiedensten klinischen Studien ein häufig genutztes Therapieverfahren in der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST). Ein großer Vorteil dieses Verfahrens für die Patientinnen und Patienten ist die Möglichkeit, die Häufigkeit der Anwendungen sowie die Intensität der Therapie selbst zu bestimmen und somit aktiv an der Therapie mitwirken zu können. Auch gibt es bei der Anwendung der TENS nur wenige Kontraindikationen und kaum Nebenwirkungen. Durch Reizung der Aß-Fasern in der Peripherie wird die segmentale Schmerzhemmung in Gang gesetzt und die Schmerzweiterleitung gehemmt.
Die Ergebnisse der in den letzten Jahren publizierten klinischen Studien in Bezug auf die Wirkung von TENS im schmerztherapeutischen Setting sind jedoch äußerst kontrovers. Auch in der von uns durchgeführten klinischen Studie zum Thema zeigen sich deutliche Unterschiede in den Behandlungsergebnissen. Zusammenfassend ist jedoch zu erkennen, dass auch wenn der schmerzlindernde Effekt im Rahmen der TENS-Therapie nicht bei allen Patientinnen und Patienten zu beobachten ist, dennoch ein großer Teil vom Einsatz der TENS profitiert.

Schlüsselwörter:
Transkutane elektrische Nervenstimulation; interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie; Schmerzreduktion; Therapiezufriedenheit

Zitierweise:
Michalke D: Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) in der interdisziplinären
multimodalen Schmerztherapie (IMST)
OUP 2024; 13: 30–36
DOI 10.53180/oup.2024.030-036

Summary: Despite the very controversial results in various clinical studies, transcutaneous electrical nerve stimulation (TENS) is a frequently used therapy method in interdisciplinary multimodal pain therapy (IMST).
A great advantage of this procedure for the patient is the possibility to determine the frequency of the applications and the intensity of the therapy themselves and thus to be able to actively participate in the therapy. There are also only a few contraindications and hardly any side effects when using TENS. By stimulating the Aß fibers in the periphery, segmental pain inhibition is set in motion and pain transmission is inhibited. However, the results of the clinical studies published in recent years regarding the effect of TENS in the pain therapy setting are extremely controversial. Our clinical study on the subject also shows clear differences in the treatment results. In summary, however, it can be seen that even if the pain-relieving effect of TENS therapy cannot be
observed in all patients, a large proportion still benefit from the use of TENS.

Keywords: Transcutaneous electrical nerve stimulation; interdisciplinary multimodal pain therapy;
pain reduction; therapy satisfaction

Citation: Michalke D: Transcutaneous electrical nerve stimulation (TENS) in interdisciplinary multimodal pain therapy (IMST)
OUP 2024; 13: 30–36. DOI 10.53180/oup.2024.030-036

Schön Klinik Bad Staffelstein, Fachzentrum Orthopädie

Einleitung

Geschichte der TENS

Bereits im alten Ägypten, vor ca. 4500 Jahren, wurde elektrischer Strom zur Schmerzlinderung verwendet. Berichten zufolge wurden Zitterrochen, die Stromstöße geringer Intensität abgaben, auf schmerzende Körperstellen gelegt [10]. Im Jahr 1850 wurde in den USA erstmals elektrische Lokalanästhesie angewandt [10].

In den 1960er Jahren wurde intensive Schmerzforschung betrieben. Den Durchbruch brachte eine Publikation über die Gate-Control-Theorie, entworfen von den Schmerzforschern Prof. Patrick Wall und Prof. Ronald Melzack. Diese Theorie besagt, dass ein „Schmerztor“ mit Input aus A?- und C-Fasern dadurch beeinflusst werden kann, indem man Nerven mit höherem Durchmesser, Aß-Fasern, in der Peripherie reizt [6, 10].

Die ersten handlichen Taschenstimulatoren zur Anwendung in der Schmerztherapie wurden ebenfalls in den 1960er Jahren entwickelt und Mitte der 1970er Jahre wurde TENS erstmals in Deutschland eingeführt [10]. Eine Anerkennung als kassenärztliche Leistung erfolgte hierzulande im Jahr 1987 [10].

Schmerzleitung

Die Schmerzweiterleitung erfolgt durch Reizung von A?- und C-Fasern, welche diesen Reiz zum Hinterhorn des Rückenmarks weiterleiten. Daraufhin erfolgt ein Umschalten auf zentrale Neurone der Lamina I und II und die Weiterleitung über den Tractus spinothalamicus bis zur Formatio reticularis, dem Thalamus, dem limbischen System und dem sensorischen Cortex, wo die Information verarbeitet wird und der Schmerz empfunden wird. Man nennt dies auch aufsteigende Schmerzbahn [4, 12].

Schmerzhemmung

Bei der Schmerzhemmung, oder auch absteigenden Schmerzbahn, wird zwischen einer deszendierenden und einer segmentalen Schmerzhemmung unterschieden. Die deszendierende Schmerzhemmung verläuft vom periaquäduktalen Grau zu Projektionsneuronen im Hinterhorn des Rückenmarks und hemmt dort nozizeptive Impulse. Eine Aktivierung dieser Schmerzhemmung erfolgt z.B. über Opioide, trizyklische Antidepressiva und Spinal Cord Stimulation. Als Neurotransmitter fungieren u.a. Serotonin und Noradrenalin.

Bei der segmentalen Schmerzhemmung reduzieren hemmende Interneurone die Übertragung nozizeptiver Impulse im Hinterhorn. Dies geschieht über die Reizung der Aß-Fasern. Als Neurotransmitter fungieren hier u.a. GABA, Glycin, Enkephalin und Dynorphin.

Eben diese Aß-Fasern werden durch die Anwendung des TENS-Gerätes in der Peripherie gereizt. Aber auch andere Therapieformen, wie z.B. die Akupunktur oder die Kryotherapie stimulieren diese [1, 4, 6, 10, 12].

Anwendung

Der große Vorteil der Anwendung eines TENS-Gerätes besteht darin, dass die Patientinnen und Patienten selbst bestimmen können, an welchen Körperregionen, in welcher Häufigkeit und in welcher Intensität TENS angewendet wird.

Bis auf einige wenige Kontraindikationen, die beachtet werden müssen (z.B. Anwendung auf nicht intakter Haut, Stimulation im Bereich der Augen, über dem Sinus caroticus oder therapierbaren Tumoren, Epilepsie …), ist die Anwendung des TENS-Gerätes ungefährlich und nahezu nebenwirkungsfrei. Gelegentlich kann es allerdings zu Schmerzverstärkungen, Erythem, Juckreiz im Bereich der Elektroden und vasovagalen Reaktionen kommen [1, 3, 4, 12].

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