Übersichtsarbeiten - OUP 04/2017

Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Primäroperation in der Hüftendoprothetik?

zusätzliche Literatur finden Sie unter diesem Link

Klaus-Peter Günther1, Jens Goronzy1, Maik Stiehler1, Albrecht Hartmann1, Anne Postler1

Zusammenfassung: Die Wahl des richtigen Operationszeitpunkts in der Arthrose-bedingten primären Hüftendoprothetik wird von vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Dazu gehören der Schweregrad von Gelenkveränderungen, die Stärke der vom Patienten empfundenen Probleme und Beschwerden (Schmerz, Einschränkung von Funktion und gesundheitsbezogener Lebensqualität), seine Gesamtsituation (z.B. soziodemografische, Persönlichkeitsmerkmale, Komorbidität) und auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Es ist oft versucht worden, diese Faktoren in Algorithmen zu integrieren, die als Prognose für das Behandlungsergebnis und damit vielleicht auch als Entscheidungshilfe für die Bestimmung des bestmöglichen Operationszeitpunkts dienen könnten. Dennoch gibt es bislang keine international gültigen Empfehlungen zur Indikationsstellung in der Hüftendoprothetik, die alle relevanten Kriterien einbeziehen. Vermutlich ist dies eine der Ursachen für den auch weltweit relativ großen Unterschied in der regionalen Verteilung dieser Eingriffe.

Schlüsselwörter: Koxarthrose, Endoprothese, Operationsindikation, Komorbiditäten

Zitierweise
Günther KP, Goronzy J, Stiehler M, Hartmann A, Postler A: Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Primäroperation in der Hüftendoprothetik?
OUP 2017; 4: 189–194 DOI 10.3238/oup.2017.0189–0194

Summary: Many different factors have an impact on the selection of an appropriate timing for primary hip replacement in osteoarthritis. Among them are the severity of structural joint damage, the impact of patient-related problems (i.e. pain, functional impairment, health-related quality-of-life changes) and the patients’ overall situation (sociodemographics, mental health, comorbidity) as well as societal framework conditions. Several attempts exist to develop algorithms which may predict treatment results and can support decision making. However, no generally accepted international recommendation is available sufficiently integrating the described criteria. This may be one of the reasons for the observed, relatively large regional variation in hip replacement rates.

Keywords: hip osteoarthritis, hip arthroplasty, surgical
indication, comorbidity

 

 

 

Zitierweise
Günther KP, Goronzy J, Stiehler M, Hartmann A, Postler A:
Appropriate timing for primary hip replacement in osteoarthritis.
OUP 2017; 4: 189–194 DOI 10.3238/oup.2017.0189–0194

Der endoprothetische Gelenkersatz des Hüftgelenks (Hüft-TEP) ist ein effektives Verfahren zur Behandlung der fortgeschrittenen Koxarthrose und gehört zu den häufigsten elektiven Eingriffen in Deutschland [2]. Aufgrund des im internationalen Vergleich relativ hohen Durchschnittsalters unserer Bevölkerung liegt die Implantationsfrequenz nach absoluten Zahlen zwar relativ hoch, bewegt sich aber nach entsprechender Altersadjustierung im mittleren Bereich vergleichbarer Nachbarländer [9]. Dennoch zeigt sich sowohl in Deutschland als auch anderen Industrienationen eine erhebliche Varianz der Versorgungsdichte mit beträchtlichen regionalen Unterschieden in den Eingriffszahlen [40]. Es ist anzunehmen, dass auch eine uneinheitliche Indikationsstellung zu dieser Situation beiträgt. Derzeit gibt es keine wissenschaftlich fundierten, an Patientenzielen ausgerichteten und unter den verschiedenen Interessengruppen im Gesundheitswesen konsentierten Indikationskriterien für die Hüft-TEP-Versorgung bei Koxarthrose. Die im internationalen Bereich verfügbaren Empfehlungen sind teils veraltet und können nicht auf Deutschland übertragen werden.

Im Folgenden soll deshalb versucht werden, eine Übersicht zu geben, welche Faktoren die Indikationsstellung für den Hüftgelenkersatz beeinflussen und damit für die Wahl des „richtigen“ Operationszeitpunkts eine Rolle spielen. Dabei ist es wichtig, sich zunächst ein Bild davon zu machen, welche Rahmenbedingungen das Behandlungsergebnis und damit auch die Entscheidungsfindung zum Eingriff prägen. Dabei setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass neben vom Behandler direkt steuerbaren Einflüssen (peri- und postoperative Maßnahmen, Implantatwahl, Zugang etc.) insbesondere die Patientenperspektive von Bedeutung ist. Die wichtigsten Faktoren auf Patientenseite können vom Modell der „International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)“ [6] zusammengefasst und auf die Koxarthrose übertragen werden:

Funktionsfähigkeit und Behinderung in

körperlichen Bereichen: Integrität oder Störung in Körperfunktion (z.B. Gehen, Hüftbeugung) oder Körperstruktur (z.B. Schädigungsgrad des Hüftgelenks)

Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe): Beeinträchtigung z.B. in Mobilität, eigene Versorgung oder Pflege von Angehörigen, berufliche Tätigkeit, soziale Beziehungen

Kontextfaktoren

Umweltfaktoren: äußere Einflüsse auf Funktion und Behinderung durch z.B. Heil- und Hilfsmittel, persönliche Kontakte und Zuwendungen, Gesundheitssystem

personenbezogene Faktoren: krankheitsunabhängige Persönlichkeitsmerkmale wie z.B. Alter und Geschlecht, Bildung und Beruf, andere Erkrankungen, allgemeine Leistungsfähigkeit.

Wenn man sich mit der in den vergangenen Jahren publizierten Literatur zu den verschiedenen Einflussfaktoren auseinandersetzt, wird offenkundig, dass der Schädigungsgrad eines arthrotischen Gelenks und selbst die gestörte Körperfunktion oft weniger bedeutsam sind als personenbezogene und Umweltfaktoren.

Schädigungsgrad
des Hüftgelenks

In Deutschland stellt der Arthrosegrad im Röntgenbild einen zentralen Parameter für die Indikationskriterien der externen Qualitätssicherung für Hüft- und Knie-TEP dar. Vor dem Hintergrund einer relativ schwachen Korrelation des röntgenologischen Schweregrads von Arthrosen und klinischen Beschwerden besteht allerdings Einigkeit, dass nur der röntgenologisch nachgewiesene Strukturschaden per se ein Indikationskriterium für die Hüftendoprothetik sein sollte, und es wird im Allgemeinen auf eine vom Schweregrad abhängige Priorisierung verzichtet. Es gibt zwar Einzeluntersuchungen, die ein besseres Patienten-relevantes Ergebnis beim höheren Arthrosegrad berichten [26], aber bei der internationalen Steuerung von Wartelisten bzw. Entwicklung von Appropriateness-Kriterien spielt der Arthrosegrad keine Rolle. In eigenen Untersuchungen zur Prioritätensetzung von Indikationskriterien bei Zuweisern und Operateuren konnte ebenfalls gezeigt werden, dass der röntgenologische Schweregrad einer Koxarthrose allenfalls von nachrangiger Bedeutung ist [7, 11].

Beim Vorliegen einer avaskulären Hüftkopfnekrose (AVN) weisen Patienten auch bei massivster Gelenkdestruktion häufig noch nicht die klassischen Arthrosemerkmale auf. Auch hier spielt deshalb der Schweregrad degenerativer Veränderungen für die Entscheidung zur TEP keine Rolle – was allerdings zu Problemen in der Indikationsgüte bei externer Qualitätssicherung führt.

Zusammengefasst ist in den allermeisten Empfehlungen zur Indikationsstellung für eine Hüft-TEP zwar der Nachweis eines Gelenkschadens (Arthrose bzw. Hüftkopfnekrose) gefordert, aber der Schweregrad degenerativer Veränderungen spielt für die Wahl des Zeitpunkts keine Rolle.

Gelenkbezogene Probleme und Beschwerden
des Patienten

In der Einschätzung sowohl der Erkrankungsschwere als auch des Behandlungsergebnisses nach künstlichem Gelenkersatz werden die tradierten Bewertungsverfahren (Arthrosegrad, Bewegungsumfänge, Implantat-bezogene Merkmale) zunehmend durch sogenannte „Patienten-relevante Outcomes“ (im Englischen auch patient-reported outcomes (PROs) oder patient-reported outcome measures (PROMs) ergänzt, zu denen in erster Linie Lebensqualität, Funktion und Zufriedenheit gehören. Auch in der Indikationsstellung bzw. Wahl des Zeitpunkts gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Untersuchungen, die diesen Dimensionen einen großen Stellenwert einräumen.

Stellvertretend sollen nur eine bereits ältere Metaanalyse [48] und 2 neuere Kohortenstudien zitiert werden [33, 17, 23], die einen klaren Zusammenhang zwischen präoperativer Algofunktion bzw. Lebensqualitätseinschränkung und dem postoperativen Ergebnis sehen: In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass Patienten mit einem schlechteren präoperativen Ausgangszustand zwar insgesamt mehr vom Eingriff profitieren, aber ein etwas schlechteres Endergebnis erreichen als Patienten mit präoperativ besserer Ausgangssituation. Dies bedeutet, dass vorbestehende relevante Funktionsstörungen nach dem Gelenkersatz nicht immer komplett behebbar sind und sich evtl. auch in einer nicht optimal wiederherstellbaren Lebensqualität bemerkbar machen.

Gelenkbezogene Probleme und Beschwerden haben damit tatsächlich für die Wahl des richtigen Operationszeitpunkt eine große Bedeutung: Eine frühe Operation (bei noch guter Algofunktion und Lebensqualität) bringt zwar insgesamt weniger Verbesserung, lässt aber postoperativ ein relativ gutes Ergebnis erwarten. Dagegen ist die späte Operation (bei deutlich eingeschränkter Algofunktion und Lebensqualität) zwar mit einem relativ hohen Operationsgewinn verbunden, wirkt sich aber in einem etwas schlechteren Gesamtergebnis aus. Die daraus resultierende Wahl des richtigen Zeitpunkts ist in Abbildung 1 zusammengefasst.

Arthrose-unabhängige
Patientenmerkmale

Es gibt eine Vielzahl von Kontextfaktoren auf Patientenseite, die sowohl den Verlauf als auch das Behandlungsergebnis bei degenerativen Gelenkerkrankungen beeinflussen. Eine Auswahl ist in Tab. 1 dargestellt und nur einige wenige können in diesem Rahmen detaillierter erläutert werden.

Demografische Faktoren

Es gibt mittlerweile eine Reihe von Untersuchungen, die sich mit der Frage befassen, welchen Einfluss nicht nur Alter und Geschlecht, sondern auch Familienstand, Ausbildung und Einkommen sowie die Wohnsituation auf den Zugang zu operativen Eingriffen und deren Ergebnis hat.

Alter: Insgesamt scheint postoperativ sowohl eine bessere Funktionskapazität und höhere Lebensqualität als auch Zufriedenheit bei jüngeren Patienten erreichbar zu sein als im höheren Lebensalter [8, 24, 30, 33, 34, 37, 39, 42]. Es gibt allerdings auch davon abweichende Beobachtungen. In einer großen englischen Kohortenstudie zeigten Judge et al. [23] 5 Jahre postoperativ die besten Oxford-Hip-Score-Werte in der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren sowie schlechtere Resultate nicht nur bei älteren Patienten, sondern auch bei Patienten unter dem 60. Lebensjahr. Die Einschätzung, dass junge wie auch alte Patienten eine schlechtere funktionelle Prognose als die mittlere Altersgruppe haben, wird auch von Young et al. [48] geteilt. Die Auswertung von insgesamt 2553 eigenen Patienten im „Dresdner Hüftregister“ über die ersten 6 postoperativen Monate zeigte anhand dokumentierter WOMAC- und EQ-5D-Scores keinen relevanten Unterschied zwischen den Lebensdekaden [15]. Mit längerer Beobachtungsdauer können sich zwar noch Differenzierungen ergeben, aber auch eine andere große Kohortenstudie zeigte ebenfalls keinen Einfluss des Lebensalters auf die Behandlungszufriedenheit [17]. Insgesamt ist also die Datenlage bezüglich der erwartbaren patientenbezogenen Behandlungsergebnisse zwar heterogen, aber mit höherem Lebensalter zeigen sich nachteilige Tendenzen. Dies mag mit dafür verantwortlich sein, dass auch Zuweiser bei älteren Patienten die Operationsindikation insgesamt etwas zurückhaltender stellen [45].

Neben Algofunktion und Patientenzufriedenheit muss aber bei endoprothetischen Eingriffen auch die Wahrscheinlichkeit operativer Revisionseingriffe im Langzeitverlauf berücksichtigt werden. Diesbezüglich ist das jüngere Lebensalter definitiv ein Risikofaktor [20, 36, 39]. Nach einer Meta-Analyse von Prokopetz et al. [36) ist die Ursache dafür das insgesamt erhöhte Risiko aseptischer Lockerungen in dieser Altersgruppe, während instabilitätsbedingte Revisionseingriffe seltener im jüngeren als im höheren Lebensalter auftreten.

Geschlecht: Zur Abhängigkeit des Operationsergebnisses vom Geschlecht des Patienten gibt es sehr unterschiedliche Aussagen: Neben einzelnen Hinweisen auf ein besseres Erholungspotenzial beim weiblichen Geschlecht hinsichtlich Algofunktion und Lebensqualität im postoperativen Verlauf [22, 49] wird in den meisten Untersuchungen über ein tendenziell schlechteres Ergebnis bei Frauen berichtet [8, 26, 37, 39]. Dies mag auch dadurch bedingt sein, dass Frauen zum Zeitpunkt der Operation eher unter mehr Beschwerden und Beeinträchtigungen leiden als Männer bzw. bei ihnen der endoprothetische Gelenkersatz möglicherweise später als bei Männern durchgeführt wird [28, 42]. Deshalb sehen einzelne Autoren auch hinsichtlich des relativen Gewinns keine relevanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern und gehen davon aus, dass Frauen sowohl hinsichtlich der funktionellen Verbesserung [23] als auch der Zufriedenheit mit dem Behandlungsergebnis [17, 34] gleiche Ergebnisse wie Männer aufweisen.

Während sich die Datenlage hinsichtlich patientenbezogener Ergebnisse also auch beim Geschlecht zwar insgesamt uneinheitlich, aber mit leicht nachteiligen Effekten für Frauen zeigt, sind sie bei den Risikofaktoren für operative Revisionseingriffe gegenüber Männern eindeutig im Vorteil. Nach den Ergebnissen von 2 systematischen Reviews [36, 39] ist das Revisionsrisiko beim männlichen Geschlecht um das 3- bis 5-fache gegenüber dem weiblichen Geschlecht erhöht.

Weitere soziodemografische Faktoren mit Einfluss auf das Behandlungsergebnis sind Familienstand, schulische und berufliche Ausbildung, Einkommen und Wohnsituation. Im „Dresdner Hüftregister“ [41] konnten wir nachweisen, dass Alleinstehende und Verwitwete, Patienten mit kürzerer schulischer Ausbildungsdauer und nicht-selbständig Beschäftigte höhere Risiken für ein schlechtes postoperatives Outcome zumindest im kurzfristigen postoperativen Verlauf zeigen. Gleiches gilt für Patienten mit Erwerbsunfähigkeitsrente, deren Algofunktion gegenüber vollzeitig Beschäftigten schlechtere Durchschnittswerte aufwies. Auch andere Untersuchungen im europäischen Raum weisen einen Zusammenhang zwischen längerer Schulbildung und positivem Outcome auf [5, 12]. Insgesamt ist die Korrelation von sozioökonomischem Status und post-operativem Outcome bekannt [22, 32] und es wird angenommen, dass Patienten mit sozialer Deprivation mehr Begleiterkrankungen aufweisen, über stärkere Beschwerden zum Zeitpunkt der Operation klagen und eine geringere Zufriedenheit mit dem Behandlungsergebnis aufweisen als sozial besser gestellte Patienten [5].

Komorbidität

Es gibt eine Vielzahl möglicher Begleiterkrankungen, die das Behandlungsergebnis nach Hüftendoprothese beeinflussen können (Tab. 1) und die deshalb bei der Indikationsstellung zu berücksichtigen sind. Zu den wichtigsten gehören

Übergewicht und Adipositas: Zwar schneiden nach den mittlerweile vorliegenden Daten übergewichtige und adipöse Patienten hinsichtlich Funktion und Lebensqualität nach Hüft-TEP nicht grundsätzlich schlechter ab als normalgewichtige Patienten [27, 44], es muss aber bei Adipositas mit einer höheren Rate an spezifischen operations-bedingten Komplikationen gerechnet werden. Dazu gehören v.a. periprothetische Infektionen und möglicherweise auch gehäuft zu beobachtende Implantat-Fehllagen und daraus resultierende Instabilitäten. In einem systematischen Review haben Haverkamp et al. [18] errechnet, dass das Risiko für postoperative Infekte und Instabilität bei Patienten mit einem Body-Mass-Index von mehr als 30kg/m2 um etwa das Doppelte gegenüber Normalgewichtigen erhöht ist. Gleiches gilt nach ihren Ergebnissen für Implantatlockerung und Thrombosen. Stiehler et al. [44] haben die Ergebnisse entsprechender Untersuchungen vor kurzem ausführlich zusammengefasst. Das bei der endoprothetischen Versorgung adipöser Patienten eindeutig erhöhtes Risikopotenzial führt im klinischen Alltag dazu, dass nicht wenige Operateure die Versorgung betroffener Patienten ablehnen. Dennoch muss im Auge behalten werden, dass der Zugewinn an Funktion und Lebensqualität die Operation unter entsprechender Aufklärung bei ausgeschöpfter konservativer Therapie rechtfertigt.

Diabetes mellitus: In Zusammenschau aller bisher publizierten Daten muss man von einer höheren Rate an Komplikationen beim Vorliegen eines Diabetes mellitus zum Zeitpunkt des Hüftgelenkersatzes ausgehen. Sowohl während des stationären Aufenthalts als auch im weiteren Verlauf ist die Rate an unerwünschten Behandlungsergebnissen erhöht [16, 31]. Einem systematischen Review zufolge [46] ist ein manifester Diabetes zum Operationszeitpunkt mit einem erhöhten Risiko von Wundinfektionen, Harn- und Atemwegsinfekten verbunden.

Kardiopulmonale Begleiterkrankungen: Grundsätzlich besteht mit zunehmendem Schweregrad systemischer Erkrankungen im kardiopulmonalen Bereich ein erhöhtes Operationsrisiko. Sowohl die Auswertung von Endoprothesenregistern [21] als auch weiterer Datenbanken [3, 4, 29] zeigt, dass nicht nur Mortalitätsraten, sondern auch Revisionsraten mit zunehmendem ASA-Schweregrad signifikant ansteigen bzw. Patienten-relevante Outcomes sich verschlechtern. Patienten mit obstruktiver Lungenerkrankung scheinen ein erhöhtes Risiko für thrombembolische Ereignisse peri- und postoperativ zu haben [29].

Auch zum Einfluss sonstiger Begleiterkrankungen (z.B. Koagulopathien, Gefäßerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, neurologische Erkrankungen, alle Erkrankungen mit einer Störung der Immunantwort) und eines Nikotin- und Alkoholabusus gibt es mittlerweile umfangreiche Untersuchungen, die ein erhöhtes Risikopotenzial zeigen. Vor dem Hintergrund insgesamt älter werdender Patienten ist auch die Frage von Bedeutung, welche Auswirkungen das Vorliegen multipler Begleiterkrankungen auf das postoperative Ergebnis hat. Nicht nur die postoperative Revisionsrate bei Patienten mit mehreren Begleiterkrankungen ist einem systematischen Review zufolge erhöht [36], sondern auch das Risiko nimmt zu, hinsichtlich einer Funktionsverbesserung nicht von einer TEP-Implantation zu profitieren [23].

Muskuloskelettale
Begleiterkrankungen

Einschränkungen der Funktionsfähigkeit und Behinderung können beim Koxarthrose-Patienten sowohl aus einem Befall des betroffenen Hüftgelenks allein resultieren, aber auch durch Probleme angrenzender Regionen mit beeinflusst sein. Dazu gehören das mittlerweile immer wieder zitierte „hip-spine-syndrome“ [10] mit Wechselwirkungen zwischen degenerativen Lendenwirbelsäulenproblemen und Koxarthrose, aber auch weitere Störungen an der gleichen Extremität. Nachweislich erhöht sich durch eine schmerzhafte Kniearthrose das Risiko für bleibende Beschwerden und Funktionseinschränkungen nach dem Hüftgelenkersatz [43] und auch bei gegenseitig manifester Hüftgelenkarthrose ist das Outcome beeinträchtigt. Dieser Situation trägt die bereits frühzeitige Einführung des „Charnley-Score“ Rechnung, der Patienten hinsichtlich muskuloskelettaler Beschwerden zusätzlich zum betroffenen Hüftgelenk kategorisiert.

Psychologische Faktoren

Hierbei handelt es sich um einen sehr spannenden und außerordentlich weitreichenden Bereich von Persönlichkeitsmerkmalen, bei denen mittlerweile ein Zusammenhang mit Erkrankungsverläufen und Behandlungsergebnissen nicht nur bei operativen Eingriffen generell, sondern auch beim Gelenkersatz nachgewiesen ist. Dazu gehören z.B. Depressivität, fehlender Optimismus und die sog. „Typ-D-Persönlichkeit“ mit einer grundsätzlichen Tendenz, häufig negative Emotionen zu erleben sowie gleichzeitig den Ausdruck von Emotionen in sozialen Interaktionen zu unterdrücken. Für die Typ-D-Persönlichkeit sowie für Patienten mit vermindertem Optimismus konnten wir in einer eigenen Untersuchung sowohl 3 als auch 6 Monate postoperativ einen geringeren Funktionszuwachs und eine geringere Lebensqualität als in der Kontrollgruppe nachweisen [1]. Gleiches zeigte sich für Depressivität, und in anderen Arbeiten [47, 35] wird bestätigt, dass sich Depressivität nachteilig auf das postoperative Ergebnis beim Hüftgelenkersatz auswirken kann.

In einem kürzlich erschienen Review haben wir umfangreiche Literatur ausgeführt, nach der sich auch die präoperative Erwartungshaltung auf das Behandlungsergebnis auswirken kann [13]. Dies ist nicht nur durch allgemein sozial-kognitive Theorien des Gesundheitsverhaltens belegt, sondern scheint sich auch konkret an Studien im Bereich der Hüftendoprothetik [17, 25, 42] zu zeigen. Allerdings gibt es auch Publikationen, die keinen Einfluss der Erwartungshaltung auf das postoperative Outcome sehen [14]. Die methodische Qualität der entsprechenden Arbeiten ist jedoch unzureichend und es wäre deshalb wichtig, gezielte Analysen in diesem wichtigen Bereich durchzuführen.

Gesellschaftliche
Rahmenbedingungen

Aus vielen internationalen Diskussionen um die „Wartelisten“-Thematik bei endoprothetischen Eingriffen ist bekannt, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Finanzierung von Krankenversicherungen, gesamtwirtschaftliche Situation, Zugangsmöglichkeiten zu medizinischer Technologie und Versorgung insgesamt, etc.) eine sehr große Rolle für die Indikationsstellung zum Gelenkersatz und damit auch für die Wahl des Operationszeitpunkts spielen. Für Deutschland ist nicht auszuschließen, dass regionale Unterschiede in Versorgungsraten ebenfalls durch einzelne gesellschaftliche Faktoren beeinflusst sind [40]. Allerdings gibt es hierzulande bislang keine relevante Wartelisten-Problematik, und eingeschränkte Zugangsmöglichkeiten zumindest für die Endoprothetik stehen deshalb nicht im Fokus der Diskussion. Im Gegenteil ist in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Medien und von der Gesundheitspolitik eine Tendenz zur Überversorgung postuliert worden, die allerdings mittlerweile durch entsprechende Nachberechnungen korrigiert ist [9]. Damit kann davon ausgegangen werden, dass aktuell gesellschaftliche Rahmenbedingungen in Deutschland für die Wahl des Operationszeitpunkts, wenn überhaupt, eher eine untergeordnete Rolle spielen.

Vorbehandlung

Der Zeitpunkt zur Entscheidung hinsichtlich eines Gelenkersatzes wird auch vom Erfolg bzw. der fehlenden Wirksamkeit einer konservativen Behandlung beeinflusst. Es gibt zwar keine dezidierten Angaben, wie lange welche Vorbehandlung durchgeführt werden muss, bevor die Indikationsstellung zur Operation erfolgt, aber sie sollte nachweislich versucht worden sein. Dazu gehören gemäß verfügbarer Leitlinien die medikamentöse Behandlung (v.a. NSAR und Analgetika) und nicht-medikamentöse Maßnahmen (v.a. Beratung, Reduktion bzw. Anpassung der Belastung, Physiotherapie). Im Verlauf von Patientenberatung und „shared-decision-making“ hinsichtlich der Wahl eines möglichen operativen Eingriffs ist sowohl die Aufklärung über verfügbare Alternativen als auch die gemeinsame Einschätzung ihres Erfolgs ein wichtiger Baustein der Entscheidungsfindung.

Stellenwert von Risikostratifikation und präoperativer Intervention – wann ist der günstigste Zeitpunkt für die Operation?

In jüngster Zeit wird – vor allem im angloamerikanischen Sprachraum – vermehrt versucht, Algorithmen zu entwickeln, mit denen sich der konkrete Einfluss präaoperativer Ausgangsbedingungen auf das Behandlungsergebnis nach dem Gelenkersatz vorhersagen lässt. Dabei scheint insbesondere die Erfassung von Risikofaktoren interessant, von denen bekannt ist, dass sie mit dem Auftreten von Komplikationen im Zusammenhang stehen. Anhand weniger ausgewählter Beispiele sollen diese auch als „Risikostratifikation“ bezeichneten Verfahren bzw. zugrundeliegenden Algorithmen erläutert werden, da sie Hoffnungen wecken, damit den „günstigsten Operationszeitpunkt“ für einen individuellen Patienten vorhersagen zu können.

Gossec et al. [11] haben in einer großen internationalen Querschnittstudie versucht, Schwellenwerte der präoperativen Algofunktion (WOMAC-Score) zu entwickeln, die als Vorhersageparameter für die Entscheidung zum Gelenkersatz fungieren. Aufgrund einer schlechten Sensitivität bzw. Spezifität sind diese jedoch nicht verwertbar. Ein von Hawker et al. [19] entwickelter Algorithmus basiert auf den Prädiktoren präoperative Algofunktion (WOMAC), Komorbidität, Anzahl schmerzhafter Hüft- und Kniegelenke sowie zugrundeliegende Erkrankungsart (Arthrose bzw. Rheumatoid Arthritis). Aus dem entsprechenden Rechenmodell kann zwar keine Angabe zum idealen Zeitpunkt des Eingriffs entnommen werden, aber auch hier zeigt sich, dass die präoperative Algofunktion eine große Bedeutung für das postoperativ erreichbare Ergebnis hat. Allerdings weisen hier Pateinten mit einem präoperativ schlechten Funktionsstatus die besten Ergebnisse auf. In eine von Judge et al. [26] entwickelte Entscheidungsmatrix gehen neben den genannten Faktoren noch zusätzlich Patientenalter und Geschlecht sowie der röntgenologische Schweregrad ein. Die Autorengruppe kommt zum Schluss, dass hinsichtlich der präoperativen Algofunktion weder zu früh noch zu spät die Indikation gestellt werden sollte, aber die detaillierten Algorithmen weisen keine ausreichende Sensitivität bzw. Spezifität für eine tatsächliche klinische Nutzung und Festlegung des Operationszeitpunkts auf.

Zusammenfassend kommen sowohl die genannten als auch zusätzlich in der Literatur verfügbare Untersuchungen letztendlich zu dem Schluss, dass mit den entwickelten Instrumenten zwar eine Schärfung des Bewusstseins für die Bedeutung einzelner Risikofaktoren möglich ist, aber noch keine klinisch praktikable Anwendbarkeit gesehen wird.

Modifizierbarkeit
von Risikofaktoren

Vor dem Hintergrund der in den oben genannten Abschnitten diskutierten Risikofaktoren für ein schlechtes Behandlungsergebnis sollte weniger die Frage gestellt werden, ob deshalb Operationen abzulehnen sind, sondern vielmehr, ob diese Risikofaktoren durch eine präoperative Intervention modifiziert werden können und sich damit der Ausgangszustand für einen Eingriff verbessern lässt. In der bereits zitierten Übersichtsarbeit zum Einfluss von Adipositas [44] haben wir für diesen wichtigen Risikofaktor publizierte Literatur bzgl. einer präoperativen Modifizierbarkeit und ihre Auswirkung auf das Komplikationsprofil zusammengefasst. Danach sind die Interventionsmöglichkeiten begrenzt, da nur bei einem geringen Teil der Patienten eine effektive präoperative Gewichtsabnahme gelingt und selbst diese postoperativ nicht zwingend zu einem reduzierten Komplikationsprofil führt. Für andere Risikofaktoren (Diabetes mellitus, kardiopulmonale Vorerkrankung) ist der Stellenwert einer präoperativen Intervention allerdings belegt und deshalb muss zwingend eine optimale präoperative Einstellung gefordert werden. Gleiches gilt für prä- und perioperative Nikotinkarenz und die Behandlung mit immunsuppressiven Medikamenten (z.B. Chemotherapie bei malignen Erkrankungen oder Biological-Therapie bei Rheumatoider Arthritis). Bei den genannten Konditionen sollte deshalb die Wahl des Operationszeitpunkts immer eine bestmögliche Einstellung bzw. Vorbereitung des Patienten berücksichtigen. Demografische Faktoren sind dagegen in der Regel nicht beeinflussbar und auch hinsichtlich psychologischer Faktoren ist unbekannt, ob es hier sinnvolle Interventionsmöglichkeiten gibt. Deshalb sollten zumindest internistische Begleiterkrankungen sowie auch muskuloskelettale Begleiterkrankungen (degenerative Wirbelsäulenerkrankungen, etc.) bestmöglich vorbehandelt sein.

Schlussfolgerung
und Ausblick

Während das röntgenologische Arthrosestadium nur ein allenfalls schwacher Prädiktor für das Behandlungsergebnis ist, haben gelenkbezogene Probleme und Beschwerden (vor allem Algofunktion und Lebensqualität) sowie Arthrose-unabhängige Patientenmerkmale (demografische Faktoren, Komorbidität und psychologische Faktoren) mehr oder minder großen Einfluss auf das Behandlungsergebnis. Das Zusammenspiel ist in Abbildung 1 dargestellt: Die Entscheidung zum „richtigen“ Operationszeitpunkt sollte sich in erster Linie an gelenkbezogenen Beschwerden und Problemen orientieren, bei denen weder die zu frühe noch die zu späte Intervention günstig ist. Der sich daraus ergebende ideale Zeitpunkt ist individuell sehr unterschiedlich und wird ggf. durch das Vorhandensein weiterer Faktoren (z.B. Begleiterkrankungen und die Frage, ob sie modifizierbar sind oder nicht) beeinflusst. Derzeit erlaubt kein Algorithmus die Ermittlung des „richtigen“ Operationszeitpunkts, aber mit zunehmend besserer Datenlage hinsichtlich des Einflusses von Kofaktoren auf Behandlungsergebnisse sind bessere Instrumente in der Zukunft zu erwarten. Dennoch bleibt die Entscheidung immer eine sehr individuelle und ist im gemeinsamen Gespräch mit dem Patienten abzuwägen („shared decision making“), denn Operationsindikationen werden sich nie normieren lassen.

Abschließend soll noch ein weiterer Aspekt angesprochen werden, der in der notwendigen Diskussion um den geeigneten Operationszeitpunkt nach unserer Einschätzung auch eine Rolle spielt: Im klinischen Alltag spielen die genannten Risikofaktoren vermutlich eine größere Rolle bei der Entscheidungsfindung für oder gegen einen Gelenkersatz, als dies allgemeinhin angenommen wird. Mit zunehmender Transparenz von Behandlungsergebnissen und deren Eingang in Benchmarking- und Ranglisten-Aktivitäten ist nicht nur hierzulande eine beginnende Selektion „Risiko-armer“ Patienten in manchen Einrichtungen zu beobachten.

Um eine künftig drohende Zunahme dieser ökonomisch verstehbaren, aber ethisch höchst fragwürdigen Tendenz zu vermeiden, muss neben der bestmöglichen präoperativen Vorbereitung von Patienten eine verstärkte Berücksichtigung solcher Risiken nicht nur in Vergütungssystemen, sondern auch bei der vergleichenden Erfassung von Ergebnisqualität erfolgen.

 

Interessenkonflikt: Keine angegeben

 

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther

UniversitätsCentrum für Orthopädie
& Unfallchirurgie

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Medizinische Fakultät der Technischen Universität Dresden

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

klaus-peter.guenther@uniklinikum-dresden.de

 

Literatur

1. Balck F, Lippmann M, Jeszenszky C, Günther KP, Kirschner S: The Influence of Optimism on Functionality after Total Hip Replacement Surgery. J Health Psychol 2015 Jan 20. pii: 1359105314566256. [Epub ahead of print]

2. Bleß H, Kip M (Hrsg.): Weißbuch Gelenkersatz. Versorgungssituation endoprothetischer Hüft- und Knieoperationen in Deutschland. Springer 2016

3. Bozic KJ, Lau E, Kurtz S et al.: Patient-related risk factors for periprosthetic joint infection and postoperative mortality following total hip arthroplasty in Medicare patients. J Bone Joint Surg Am 2012; 94: 794–800

4. Bozic KJ, Lau E, Ong K et al.: Risk factors for early revision after primary total hip arthroplasty in Medicare patients. Clin Orthop Relat Res 2014; 472: 449–54

Fussnoten

1 UniversitätsCentrum für Orthopädie & Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Medizinische Fakultät der Technischen Universität Dresden

 

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