Übersichtsarbeiten - OUP 12/2014

10 Gebote für eine gelingende Kommunikation mit chronischen Schmerzpatienten

P. Albert1, D. Tuffner1, P. Mattenklodt1

Zusammenfassung: Die Behandlung chronischer Schmerzen kann sowohl für den Patienten als auch für den Behandler eine frustrierende Erfahrung darstellen. Ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis und eine gelingende Kommunikation sind daher entscheidend für einen erfolgreichen Behandlungsprozess. Die Basis für eine zufriedenstellende Beziehung stellt die wertschätzende, empathische Grundhaltung und ein klares Rollenverständnis des Behandlers dem Patienten gegenüber dar, sowie der Einsatz unterstützender Kommunikationsstrategien aus den Bereichen der „Motivierenden Gesprächsführung (MI)“, der Partizipativen Entscheidungsfindung (PEF)“ sowie der Achtsamkeit.

Schlüsselwörter: chronischer Schmerz, Arzt-Patienten-Kommunikation, motivierende Gesprächsführung, Partizipative Entscheidungsfindung, Achtsamkeit

Zitierweise
Albert P, Tuffner D, Mattenklodt P. 10 Gebote für eine gelingende Kommunikation mit chronischen Schmerzpatienten.
OUP 2014; 12: 576–580 DOI 10.3238/oup.2014.0576–0580

Summary: The treatment of chronic pain can be a frustrating experience for both, doctors and patients. A trusting doctor-patient-relationship and a beneficial communication therefore can be crucial for a successful treatment process. An empathetic, appreciative attitude and clarity regarding the personal role perception in relationship to the patient as well as supportive communication strategies from the areas of motivational interviewing, shared decision making and mindfulness constitute the foundation for a gratifying relationship.

Keywords: chronic pain, doctor-patient-relationship, motivational interviewing, shared decision making, mindfulness

Citation
Albert P, Tuffner D, Mattenklodt P. 10 commandments to facilitate successful communication with patients suffering from chronic pain
OUP 2014; 12: 576–580 DOI 10.3238/oup.2014.0576–0580

Der Behandlungserfolg bei chronischen Krankheiten kann auch von einer gelungenen Arzt-Patienten-Kommunikation abhängen [1, 2]. Häufig endet jedoch die Arzt-Patient-Interaktion im Fall von nicht-spezifischen, funktionellen oder somatoformen Körperbeschwerden in einem negativen Teufelskreis aus Hoffnung, Enttäuschung und dem Gefühl, nicht verstanden zu werden aufseiten des Patienten sowie den daraus resultierenden negativen Konsequenzen („sich ausgesaugt fühlen“, Druck durch große Erwartungen, Stress und negative Gefühle) für den Behandler [3]. Nicht selten führt die zunehmende emotionale Distanz schließlich zum Abbruch der Behandlungsbeziehung und dem Wechsel des Behandlers („doctor hopping“).

Die im Folgenden ausgeführten „10 Gebote“ für eine gelingende Kommunikation mit Menschen, die unter einer chronischen Schmerzstörung leiden, erheben keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit oder Vollständigkeit, sondern möchten Anregungen bieten, die eigenen Erfahrungen mit Kommunikationsprozessen zu reflektieren und zu hinterfragen.

1. Zweifle nicht an den Schmerzangaben deines Patienten

Wertschätzung und Empathie sind die Grundlagen der gemeinsamen Arbeit. Gerade wenn die Beschwerdepräsentation des Patienten sehr emotional, dramatisierend und bildlich erfolgt, kann dies zunächst Skepsis und Widerstand beim Behandler hervorrufen. Häufig wir jedoch übersehen, dass es sich hierbei um Verdeutlichungstendenzen handeln kann, die daraus entstanden sind, dass sich der Patient in früheren Behandlungssituationen nicht gehört, verstanden und wahrgenommen fühlte [4]. In der Hoffnung, sein Leid verständlich zu machen, versucht der Patient, es immer deutlicher und demonstrativer zu schildern, wodurch die Skepsis beim Behandler entsprechend wächst. Dieser negative Aufschaukelungsprozess [5] kann zuletzt zum Abbruch der Arzt-Patienten-Interaktion sowie zu Frustration und Enttäuschung auf beiden Seiten führen. Hilfreicher kann es sein, die Beschwerdeschilderung des Patienten als Ausdruck seines Leidens in seiner Gesamtheit und nicht allein der Schmerzwahrnehmung zu sehen und den Patienten in diesem Leid ernst zu nehmen.

2. Beachte: Patienten sind nicht unmotiviert, sondern ambivalent

Immer wieder erscheinen Patienten vermeintlich nicht willens, die zu einer Verbesserung ihrer Schmerzproblematik nötigen Lebensstilveränderungen (z.B. regelmäßiges körperliches Training, Stressreduktion, Durchführung von Entspannungsübungen etc.) umzusetzen. Vorschläge zu Lebensstilveränderungen werden häufig mit „ja, aber …“ Argumenten abgewehrt oder schlicht nicht umgesetzt. Eine pauschale Interpretation eines solchen Verhaltens als mangelnde Motivation oder sekundären Krankheitsgewinn droht die Motivation des Behandlers zu schwächen und kann in eine therapeutische Sackgasse führen. Hilfreicher ist es, sich bewusst zu machen, dass Menschen in aller Regel sowohl Argumente für als auch gegen eine Veränderung in sich tragen, also eine innere Ambivalenz aufweisen. Ändert eine Person Risikoverhaltensweisen nicht, bedeutet dies nicht, dass derjenige per se unmotiviert ist, sondern lediglich, dass aktuell die Anteile überwiegen, die gegen eine Veränderung sprechen. Beratungskonzepte wie die „Motivierende Gesprächsführung“ nach Miller und Rollnick, die sich mit der Stärkung von Veränderungsmotivation beschäftigt, bieten Strategien an, diese Ambivalenz zugunsten einer Veränderung zu beeinflussen. [6, 7]. Dies kann dadurch geschehen, dass Patienten angeregt werden, selbst über die Vorteile einer Veränderung oder über die Nachteile des Status quo zu sprechen. Das Aufzählen der Vorteile einer Verhaltensänderung durch den Behandler erhöht hingegen oft den Widerstand. Erst wenn wir wissen, welche Kräfte und Motive dem Veränderungswunsch entgegenstehen, können wir dem Patienten helfen, diese Hürde zu überwinden. (Abb. 1).

3. Betrachte das Verhalten des chronischen Schmerzpatienten als eine normale Reaktion auf eine unnormale Situation

Eccleston [8] plädiert dafür, das Verhalten chronischer Schmerzpatienten zu entpathologisieren. Das Verhalten von Menschen mit chronischen Schmerzen ist zwar möglicherweise dysfunktional, jedoch in der Regel kein Ausdruck einer psychischen Störung. Statt eines „anormalen Verhaltens in einer normalen Situation“ ist es vielmehr als normale und subjektiv logisch nachvollziehbare Reaktion auf eine außergewöhnliche Situation zu verstehen. Auch wenn der chronische Schmerz seine Warnfunktion verloren hat, werden die in uns Menschen evolutionsbiologisch angelegten Denk- und Handlungsmuster zur Schadensbekämpfung bei Schmerzen jedes Mal aufs Neue aktiviert, was den Patienten in seinem Wunsch nach Diagnostik und Ursachenbehebung verharren lässt.

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