Übersichtsarbeiten - OUP 12/2014

10 Gebote für eine gelingende Kommunikation mit chronischen Schmerzpatienten

4. Kläre dein eigenes

Rollenverständnis

Um als Behandler das eigene Rollenverständnis in der Beziehung zu Patienten mit chronischen Schmerzen zu definieren, ist es sinnvoll sich folgende Fragen zu stellen: „Wer will ich für diesen Patienten sein: Heiler? Berater? Begleiter?“ Häufig besteht die Schwierigkeit darin, die richtige Balance zwischen Autonomie und Fürsorge zu finden. Patienten mit einem hohen Autonomiebedürfnis vermitteln Behandlern oft das Gefühl, nur „Erfüllungsgehilfen“ zu sein. Patienten mit einem ausgeprägten Fürsorge-Bedürfnis werden häufig hingegen als passiv und wenig eigenverantwortlich erlebt. Umgekehrt kann auch das eigene Rollenverständnis Einfluss auf das Verhalten des Patienten haben. Hier bewähren sich die Grundsätze der „Partizipativen Entscheidungsfindung“ [9], deren Grundprinzip lautet, dem Patienten alle wichtigen Informationen zur Verfügung zu stellen, Empfehlungen auszusprechen und ihn dann dabei zu unterstützen, eine eigene Entscheidung zu treffen.

5. Sei dir deiner eigenen Standpunkte bewusst und stehe zu ihnen

Unnötig ausgedehnte oder wiederholte somatische Diagnostik kann das Chronifizierungsrisiko bei chronischen Schmerzen ebenso erhöhen wie die Anwendung invasiver oder passiver Therapien. Dennoch werden solche Maßnahmen immer wieder veranlasst – nicht selten entgegen den eigenen Grundüberzeugungen des Behandlers. Der erlebte Druck vonseiten des Patienten [10], die gefühlte Hilflosigkeit im Angesicht einer schwer zu behandelnden chronischen Krankheit [11], die Angst davor, eine behandelbare somatische Erkrankung zu übersehen, oder auch der Wunsch nach rechtlicher Absicherung [12] können Gründe hierfür sein. Es kann Druck in Behandlungssituationen reduzieren, wenn der Behandler über eine klare Entscheidungsmatrix verfügt (Beispiel: „Unter welchen Bedingungen verordne ich Massagen?“, „Unter welchen Voraussetzungen veranlasse ich ein MRT?“). Hier ist es wichtig, sich die eigenen Standpunkte bezüglich der Behandlung bewusst zu machen und diese dem Patienten klar zu kommunizieren. Auch wenn Patienten, die eine bildgebende Diagnostik erhalten, mit dem Behandler zunächst zufriedener sind [13], so wünschen sich Patienten jedoch vorrangig, dass Ihr Arzt ihnen auch unangenehme Dinge, die ihre Erkrankung betreffen, direkt mitteilt [14]. Ziel sollte es also primär sein, ein hohes Maß an Transparenz in Bezug auf diagnostische und therapeutische Entscheidungen anzustreben.

6. Verwende frühzeitig das

bio-psycho-soziale Schmerzmodell

Ein plausibles bio-psycho-soziales Erklärungsmodell ist hilfreich für einen eigenverantwortlichen Umgang mit den Schmerzen und sollte möglichst frühzeitig im Behandlungsverlauf mit dem Patienten erarbeitet werden. Ein Paradigmenwechsel von der Organ- zur Psychopathologie erst „wenn nichts mehr geht“ ist für den Patienten oft nicht nachvollziehbar [15] und kann dazu führen, dass beim Patienten das Gefühl entsteht, man unterstelle ihm, er bilde sich die Schmerzen nur ein. Dies kann zu einem Bruch in der Arzt-Patienten-Beziehung führen. Daher bietet es sich an, schon frühzeitig und regelhaft auch psychische Faktoren und Verhaltenseinflüsse sowie Einflussfaktoren aus dem Umfeld zu erfragen und die Sichtweise des Patienten dadurch entsprechend zu erweitern. Dabei sind nicht nur Risikofaktoren und Auslöser (z.B. psychosoziale Stressoren in zeitlicher Nähe zum Schmerzbeginn) für das Schmerzgeschehen relevant. Gerade auch psychosoziale Schmerzfolgen (z.B. sozialer Rückzug, übermäßiges Schonverhalten durch Bewegungsangst, Depressivität) sind oft von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Schmerzen („Teufelskreis chronischer Schmerzen“). In der Behandlung sollten dann sowohl somatische als auch psychosoziale Faktoren parallel berücksichtigt und mögliche Handlungskonsequenzen aus beiden Bereichen abgeleitet werden. (Abb. 2)

7. Vereinbare explizite, realistische Ziele und erarbeite mit
deinem Patienten zusammen einen Therapieplan

Im Behandlungsverlauf ist es wichtig, explizit über Ziele zu sprechen und diese konkret zu vereinbaren. Was wünscht der Patient? Was kann ich anbieten? Was ist realistisch (z.B. Schmerzlinderung statt Schmerzfreiheit)? Bei der gemeinsamen Erarbeitung von Zielen ist darauf zu achten, dass diese mit dem Alltagsleben des Patienten vereinbar sind. Sollte sich herausstellen, dass Ziele nicht wie vereinbart vom Patienten umgesetzt werden konnten, ist es sinnvoll, zunächst nach Hürden und Hindernissen bzw. möglichen Ambivalenzen zu fragen und gemeinsam nach Lösungen dafür zu suchen. Als Alternative können erste kleine Schritte in Richtung des angestrebten Ziels angeboten werden, die zunächst zwar nicht den maximalen Effekt erzielen, dem Patienten aber helfen, eine neue Gewohnheit im Sinne der erforderlichen Lebensstilveränderung aufzubauen [16] (z.B. 10 Minuten Spazierengehen statt mehrmaligem Gerätetraining pro Woche, ggf. unterstützt durch einen Schrittzähler). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den Patienten darin zu unterstützen, passendere Varianten der erforderlichen Lebensstilveränderung zu finden („In welcher Form könnten Sie sich vorstellen, mehr Bewegung in Ihr Leben zu bringen?“)

8. Sieh emotionale Reaktionen des Patienten als Chance, nicht als Störung

Emotionale Reaktionen des Patienten können bei Behandlern Stress und Überforderungsgefühle auslösen. Tatsächlich sind Emotionen aber ein Chance, die Beziehung zu verbessern und in der Behandlung auf bedeutsame Themen zu kommen. Sie können sich im Gespräch verbal und nonverbal äußern. In diesem Fall bietet sich die Chance, mögliche Ängste, Widerstände oder Unzufriedenheit des Patienten zu erforschen und damit Schwierigkeiten im Behandlungsverlauf vorzubeugen. Das NURSE-Modell, ein Akronym für Naming/Understanding/Respecting/Supporting/Explo- ring, benennt einige einfache Strategien, um Gefühlsreaktionen eines Patienten aufzugreifen und therapeutisch nutzbar zu machen [17]. Die einfachste Strategie stellt dabei das Benennen (naming) der beim Patienten wahrgenommenen Gefühle dar („Sie sind jetzt enttäuscht.“). Auch das Erkunden („Exploring“) ist eine gute Möglichkeit, für den Patienten bedeutsame Themen und Aspekte anzusprechen („Was macht Sie gerade traurig?“). (Abb. 3)

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