Übersichtsarbeiten - OUP 01/2021

Ätiologie und Klassifikation der Ellenbogensteife

Maximilian Kerschbaum, Christian Pfeifer

Zusammenfassung:
Neben vielen intrinsischen Ursachen können auch extrinsische Auslöser eine Ellenbogensteife verursachen. Eine zentrale Rolle für die Entstehung einer Ellenbogensteife nimmt die Gelenkkapsel ein. Neben einer ätiologischen Einteilung kann eine Ellenbogensteife auch nach pathomorphologischen und funktionellen Aspekten klassifiziert werden. Eine genaue Analyse und Klassifikation der Ellenbogensteife ist für eine Therapieplanung unabdingbar.

Schlüsselwörter:
Ellenbogensteife, Gelenkkontraktur, Klassifikationssystem

Zitierweise:
Kerschbaum M, Pfeifer C: Ätiologie und Klassifikation der Ellenbogensteife.
OUP 2021; 10: 004–007 DOI 10.3238/oup.2021.0004–0007

Abstract: Next to intrinsic causes, extrinsic triggers can also cause elbow stiffness. The joint capsule plays a central role in the development of elbow stiffness. Besides an etiological classification, an elbow stiffness can also be classified according to pathomorphological and functional aspects. A precise analysis and classification of the elbow stiffness is essential for therapy planning.

Keywords: elbow stiffness, joint contracture, classification system

Citation: Kerschbaum M, Pfeifer C: Etiology and classification of elbow stiffness.
OUP 2021; 10: 004–007 DOI 10.3238/oup.2021.0004–0007

Maximilian Kerschbaum, Christian Pfeifer: Klinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinkum Regensburg

Definition und Ätiologie der Ellenbogensteife

Normales Bewegungsausmaß und Definition Ellenbogensteife

Ein gesundes Ellenbogengelenk hat einen Bewegungsumfang von 145°-0°-0° bei Flexion/Extension und 90°-0-90° bei Supination/Pronation. Bewegungseinschränkungen des Ellenbogengelenkes können dabei massive Folgen für das tägliche Leben der Patienten haben. Während Morrey et al. 1981 einen funktionellen Bogen von 100° (130°-30° Flexion-Extension; 50°-50° Supination-Pronation) als ausreichend zur Verrichtung von Alltagsaktivitäten beschrieben hat [13], haben sich seither die funktionellen Ansprüche an den Bewegungsumfang des Ellenbogengelenkes massiv verändert bzw. erhöht. So benötigt man beispielsweise für das Telefonieren mit einem Mobiltelefon einen funktionellen Bogen von 130° oder für die Bedienung einer Computermaus 65° Pronation [15]. Ab wann eine Bewegungseinschränkung des Ellenbogengelenkes als pathologisch zur Bewältigung des Alltags definiert werden kann, hängt daher in erheblichem Maße von den funktionellen Ansprüchen des Patienten und den Kompensationsmöglichkeiten, insbesondere durch das Schultergelenk, ab. Beugedefizite schränken dabei die Ellenbogenfunktion im täglichen Leben deutlich mehr ein als Streckdefizite [13].

Klinisch wird von einem steifen Ellenbogen ab einem Streckdefizit von über 30° und einer Beugefähigkeit von unter 120° gesprochen [17].

Die exakte Ableitung einer Therapiekonsequenz muss jedoch immer individuell in Zusammenschau mit den funktionellen Ansprüchen des Patienten an sein Ellenbogengelenk erfolgen.

Ätiologie der Ellenbogensteife

Ein sehr breites Ursachenspektrum kann eine Ellenbogensteife hervorrufen. Sämtliche Veränderungen an den knöchernen Anteilen, den Ligamenten und den umgebenden Strukturen (Muskulatur, Sehnen, Kapsel) kommen dabei ursächlich in Betracht. In Anlehnung an Stehle & Gohlke [16] werden traumatische, degenerative und eigenständige Ursachen unterschieden (Abb. 1). Zentral für die Pathogenese einer Ellenbogensteife sind, neben der Ausbildung heterotoper Ossifikationen, Veränderungen der Gelenkkapsel.

Weichteilkontrakturen/
Kapselkontraktur:

Neben narbigen Veränderungen der Haut und Kontrakturen der umgebenden Muskulatur (z.B. M. brachialis) nach Operationen oder Traumata, hat die Gelenkkapsel für die Pathogenese einer Ellenbogensteife eine entscheidende Rolle. Sowohl auf zellulärer Ebene, als auch im Aufbau der extrazellulären Matrix unterscheiden sich kontrakte Ellenbogengelenkkapseln von normalen Kontrollgruppen. Kontrakte Ellenbogenkapseln sind dicker und zeigen einen höheren Anteil desorganisierter Kollagen I, III und V Fasern [6]. Der Kollagenquervernetzungsgrad ist dabei erhöht, während der Wasseranteil durch eine verminderte Expression an Proteoglykanen erniedrigt ist [2]. Auf zellulärer Ebene zeigt sich eine absolute und relative Zunahme an Myofibroblasten, welche eine Schlüsselposition in der Pathogenese der Ellenbogensteife einnehmen [5, 9]. Diese Zellgruppe zeichnet sich durch die Produktion kontraktiler Proteine (?-SMA) aus und kann so zur Kollagenkontraktion beitragen [5]. Die kapsuläre Myofibroblastenanzahl korreliert dabei direkt mit dem klinischen Grad der Bewegungseinschränkung [8]. Die Differenzierung von mesenchymalen Stammzellen und Fibroblasten in Myofibroblasten unterliegt einem komplexen Regulationskreislauf mit verschiedensten chemischen und mechanischen Signalgebern. So können ein Trauma, eine Operation, Immobilisation oder eine Instabilität eine inflammatorische Kaskade mit Ausschüttung von Substanz P verursachen, welches im Anschluss durch eine Mastzelldegranulation die Myofibroblastendifferenzierung stimuliert und schlussendlich in einer Kapselkontraktur mündet. Verschiedenste Botenstoffe können dabei stimulierend oder inhibierend auf diese Signalkaskade einwirken [5].

Heterotope Ossifikationen:

Heterotope Ossifikationen können entweder als Folge lokaler Ellenbogentraumata oder als systemische Begleitreaktion bei schweren Schädel-Hirn-Traumata, Rückenmarksverletzungen oder Verbrennungen entstehen [1, 4, 7]. In Abhängigkeit von der Ellenbogenverletzungsentität variiert dabei die Inzidenz enorm. So findet man heterotope Ossifikationen bei singulären Radiusköpfchenfrakturen in bis zu 11 % der Fälle, während bei schwer instabilen Verletzungen des Ellenbogengelenks Inzidenzen von bis zu 36 % beobachtet werden können [4]. Ossifikationen, welche als Begleitreaktion von schweren neurologischen Verletzungen auftreten, zeigen dabei eine deutlich schlechtere Prognose nach Exzision als lokal entstandene heterotope Ossifikationen [3].

Klassifikation der
Ellenbogensteife

Zur Beurteilung einer Ellenbogensteife steht eine Vielzahl an Klassifikationssystemen zur Verfügung. Neben der bereits oben erwähnten Einteilung nach den zugrundeliegenden Ursachen [16], beschreiben andere Klassifikationssysteme die pathoanatomischen Veränderungen [12, 14] oder das Ausmaß der Bewegungseinschränkung [11]. Das Einteilungssystem nach Jupiter berücksichtigt sowohl pathoanatomische als auch funktionelle Aspekte, um einfache von komplexen Ellenbogensteifen zu unterscheiden [10].

  • Klassifikation nach Kay [14] Anhand der involvierten Strukturen wird die Typeneinteilung wie in Tabelle 1 getroffen (Tab. 1).
  • Klassifikation nach Morrey [12] Dieses rein pathomorphologische Klassifikationssystem ist klinisch weit verbreitet und unterscheidet extrinsische, intrinsische und Mischursachen der Ellenbogensteife (Tab. 2).
  • Klassifikation nach Mansat & Morrey [11] Die Einteilung nach Mansat & Morrey unterscheidet je nach Bewegungseinschränkung minimale Kontrakturen (Bewegungsumfang über 90°), mäßige Bewegungseinschränkungen (61°–90°), schwere (31°–60°) und sehr schwere Bewegungseinschränkungen (unter 31°). Neben der Beschreibung des Bewegungsumfanges geht in die Gesamtbeurteilung zusätzlich die Richtung der Bewegungseinschränkung ein: „functional arc“ (Extension ? 30° und Flexion ? 130°); Extensionskontraktur (Extension ? 30° und Flexion < 130°); Flexionskontraktur (Extension > 30° und Flexion ? 130°) und kombinierte Kontraktur (Extension > 30° und Flexion < 130°) (Abb. 2).
  • Klassifikation nach Jupiter [10] Dieses Klassifikationssystem vereint klinische, pathomorpholgische und funktionelle Aspekte und unterscheidet eine einfache von einer komplexen Ellenbogensteife (Tab. 3).
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