Übersichtsarbeiten - OUP 02/2015

Aktueller Stand der sonografischen Diagnostik kindlicher Hüftreifungsstörungen

1. Der Terminus „Limbus“ sollte heute nicht mehr verwendet werden [6]. Er ist nicht klar definiert:

Er wird einerseits für das Labrum, andererseits nur für das deformierte, hyaline Pfannendach verwendet. Manchmal sogar für beide Strukturen [6].

2. Eingeschlagenes Labrum und eingeschlagener Limbus: Das Labrum ist niemals eingeschlagen! Die Labrumspitze ist, wie histologische Untersuchungen zeigen [2], immer nach kranial gepresst. Dadurch, dass die Labrumbasis durch spezielle Fasern am hyalinen Pfannendach fixiert und daher besonders stabil ist, wird die Labrumbasis wallartig deformiert und erscheint optisch eingeschlagen und als Trennleiste. Wird der Limbus mit deformiertem hyalinem Pfannendach gleichgesetzt, ist dieser (dieses) auch nicht eingeschlagen, sondern vom luxierenden Hüftkopf nach kaudal gepresst!

Conclusio: Man sollte den Terminus „Limbus“ nicht mehr verwenden, sondern die anatomischen Bezeichnungen benützen (Labrum, hyalines Pfannendach). Beim Luxationsprozess wird das hyaline Pfannendach mehr oder weniger nach kranial (Typ III) oder nach kaudal (Typ IV) gepresst. Auch die Labrumspitze ist niemals eingeschlagen, lediglich die Labrumbasis kann nach kaudal gepresst sein. Daraus ergibt sich folgende therapeutische Konsequenz bei einer eventuell notwendigen offenen Einstellung:

Der „eingeschlagene Limbus“ (ganz gleich, was darunter verstanden wird) sollte niemals radiär eingekerbt oder gar reseziert werden: Durch diese veralteten Operationstechniken werden wesentliche Strukturen des Pfannendachs bleibend geschädigt und somit der Grundstein zur Präarthrose gelegt. Stattdessen kann Platz durch Resektion (oder Teilresektion) des verengten Kapselschlauchs, durch Entfernung der Lig. teres und des Lig. transversum, des Fettgewebes und der Resektion der Iliopsoassehne geschaffen werden (Abb. 7).

Untersuchungstechnik

Eine Untersuchung ohne Lagerungsschale und Schallkopfführung sollte heute nicht mehr durchgeführt werden. Die Präzision kann damit wesentlich gesteigert, Kippfehler vermieden werden. Die Untersuchung ist somit unabhängig vom Geschick und der Erfahrung des Untersuchers. Zuerst sollte immer der Unterrand des os ilium dargestellt werden, erst dann wird die Schnittebene durch Nachdrehen des Schallkopfs eingestellt, niemals in umgekehrte Reihenfolge. Bei Verwendung der Lagerungsschale und der Schallkopfführung stellen sich alle anderen bildwichtigen Strukturen entsprechend der Checklisten automatisch ein.

Diskussion und
Schlussfolgerungen

Die Ansprüche an den Hüftultraschall sind kontinuierlich in den letzten Jahren gestiegen. Leider wird die Methode nur allzu oft nach unten nivelliert. („Ich mach das immer so, ich habe Erfahrung, das macht man heute ganz anders“ etc.). Die steigenden Präzisionsansprüche haben auch zur Einführung der Checklisten geführt, die wiederum eine Qualitätskontrolle unter Einhaltung der Dokumentationsrichtlinien erlauben [7], aber auch dem Untersucher selbst eine Hilfestellung zur Überprüfung seiner Sonogramme ermöglichen. Die Ergebnisse des Sono-Screenings in den deutschsprachigen Ländern sind ausreichend dokumentiert und sprechen für sich: Die Operations-Raten sowie Kopfnekrosen und Behandlungskosten wurden deutlich gesenkt. Auch unnötige konservative Behandlungen aufgrund klinischer Untersuchungen konnten durch evidenz- (Bild-) basierte Therapien vermieden werden [8, 9, 10]. Wenn in angloamerikanischen Ländern die Hüftsonografie kontrovers diskutiert wird, liegt es daran, dass in diesen Ländern eine andere sonografische Technik verwendet wird [3, 4]: Die dynamische Untersuchungstechnik beschränkt sich auf die Diagnose der Instabilität, unterscheidet dabei aber nicht zwischen tatsächlicher Instabilität und harmloser „elastischer Federung“. Sie kennt keine Standardebene und auch nicht den Typ IIc. Somit kann das Präluxationsstadium nicht erkannt werden, womit es naturgemäß trotz Hüftsonografie zu Spätluxation kommt (Achtung: DDH = „Developmental …….“),. („hip sonography is not reliable“). Die fehlende Unterscheidung zwischen Typ IIa und Typ IIb führt zur Annahme der Überdiagnose und Übertherapie, weil Typ IIa von selbst „ausheilt“, obwohl es ja eine „Dysplasie“ sei. Der Begriff der physiologisch unreifen, aber altersentsprechenden Hüfte ist unbekannt, diese Gelenke werden fälschlich als dysplastisch bezeichnet, was naturgemäß zur Überdiagnose führen muss.

Um den Qualitätsstandard zu halten, sind strukturierte Ausbildungskurse mit standardisierten Inhalten [11, 12] für Kollegen erforderlich, die die Untersuchung auch tatsächlich durchführen werden. Bed-side Teaching kann diese Trainingskurse nicht ersetzen, sie können lediglich Erstinformationen sein.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.?

Korrespondenzadresse

Univ. Prof. Prof. h.c. Dr. med.
Reinhard Graf

Hagersiedlung 7

A-8852 Stolzalpe

reinhardgraf@gmx.at

Literatur

1. Graf R. The diagnosis of congenital hip-joint dislocationby the ultrasound Combound treatment. Ach Ortop Trauma Surg 1980; 97: 117–133

2. Graf R. Sonographie der Säuglingshüfte und therapeutische Konsequenzen.Thieme Stuttgart, New York, 2010

3. Harke HD, Grissom LE. Sonographic evaluation oft he infant hip. Semin Ultrasound 1986; 7: 331–338

4. Morin C, Harke HAT, Kumar HJ, MacEven GD.The infant hip: real-time US assessment of acetabular development. Radiology 1985; 157: 673–677

5. Tschauner C, Matthiessen HD. Hüftsonographie bei Säuglingen: Checklisten helfen, Fehler zu vermeiden. Orthopädie & Rheuma 2012; 15: 43–47

6. Tönnis D. Die angeborene Hüftdysplasie und Hüftluxation im Kindes- und Erwachsenenalter. Berlin: Springer Verlag 1984

7. Kassenärztliche Bundesvereinigung. Ultraschallvereinbarung gemäß § 135 Absatz 2. SGBV. Berlin 2012

8. Grill F, Müller D. Ergebnisse des Hüftultraschallscreenings in Österreich. Orthopäde 1997; 26: 25–32

9. Ihme N, Altenhofen L, von Kries R, Niethard FU. Hip ultrasound
screening in Germany: Results and comparision with other screening
procedures. Orthopäde 2008; 37: 542–546

10. Tschauner C, Fürntrath F, Radl R, Berghold A, Schwantzer G. Behandlungsfortschritte dezentrierter Hüftgelenke durch die sonographische Frühvorsorge – Ergebnisse einer retrospektiven monozentrischen Kohortenstudie 1978–2007; OUP 2012; 10: 390–393

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