Arzt und Recht - OUP 07/2019

Arzthaftung
Keine Pflicht des Patienten zum ausdrücklichen Widerruf einer unwirksamen Einwilligung in den Eingriff – neue Arztpflicht

Heiko Schott

Aus Sicht des Behandlers, Arztes und Operateurs stellen die rechtlichen Probleme rund um das Thema Aufklärung völlig nachvollziehbar hohe Hürden dar, die es im Alltag dennoch zu nehmen gilt. Immer wieder ist der Zeitpunkt der Aufklärung – neben weiteren inhaltlichen Schwierigkeiten – in der Rechtsprechung relevant.

Der Bundesgerichthof wiederholt bekanntlich stetig folgende Formulierung zum Aufklärungszeitpunkt:

„Der Patient ist so rechtzeitig aufzuklären, dass er das Für und Wider der Behandlung abwägen und so seine Entscheidungsfreiheit und sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahren kann.“1

Ähnlich formuliert es im Übrigen gleichfalls § 8 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä).

Gleichfalls ist dies schließlich in § 630e Abs. 2, Ziffer 2 BGB in Einklang mit der oben bereits erwähnten ständigen Rechtsprechung verbrieft, in dem es heißt:

„Die Aufklärung muss so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann.“

Zwar sind diese Definitionen des Aufklärungszeitpunkts einschlägig und richtig, jedoch in der alltäglichen Praxis nicht hilfreich. Eine Handlungsanleitung für Klinik und Praxis vermögen diese Ausführungen wegen ihrer Unbestimmtheit jedoch gerade nicht konkret darzustellen.

Selbstverständlich kann von der sich jeweils mit Einzelfällen befassenden Rechtsprechung nicht erwartet werden, generalistische Zeitfenster der Aufklärung, beispielsweise für bestimmte Operationen, konkret zu benennen. Allerdings liegt genau in diesem Umstand die Schwierigkeit der Materie; kommt es doch auf zahlreiche Faktoren an, sowohl bei der ärztlichen Aufklärung, als auch bei der patientenseitigen Einwilligung.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei beispielhaft verwiesen auf den Intellekt und die Auffassungsfähigkeit des Patienten, individuell und/oder generell zu erwartende Risiken und Komplikationen, Komorbiditäten, Spezialisierungen des Hauses oder Operateurs sowie Dringlichkeit des Eingriffs oder eventuell bestehende Alternativen zu der betreffenden Operation.

Mit einer aktuellen Entscheidung des Oberlandesgerichtes Köln2 verbessert sich diese Situation für die Behandlerseite gerade nicht. Die beiden Leitsätze der Entscheidung lauten:

  • 1. Ist ein operativer Eingriff zwar dringlich veranlasst, muss aber nicht sofort erfolgen (hier: operative Versorgung einer Oberschenkelhalsfraktur), muss dem Patienten zwischen Aufklärung und Einwilligung eine den Umständen nach angemessene Bedenkzeit gelassen werden.
  • 2. Besteht in einem Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die Übung, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die vorgedruckte Einwilligungserklärung zu bewegen, wird die Entscheidungsfreiheit des Patienten unzulässig verkürzt. Eine solche Einwilligungserklärung muss vom Patienten nicht ausdrücklich widerrufen werden. Vielmehr trifft die den Eingriff durchführenden Ärzte die Pflicht – was durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen ist –, sich vor dem Eingriff davon zu überzeugen, dass die Einwilligungserklärung nach wie vor dem freien Willen des Patienten entspricht.

Der Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass die Patientin mit der Diagnose Schenkelhalsfraktur nach Sturzereignis in der Nacht stationär aufgenommen und am Mittag des Folgetages operiert werden sollte. Nach Eingangsdiagnostik unterschrieb die Patientin die Einwilligung in die OP unmittelbar nach der Aufklärung, obwohl sie mitteilte, dass sie Rücksprache mit ihrem sie behandelnden Orthopäden halten wolle. Die Operation wurde sodann aus hausorganisatorischen Gründen auf den frühen Morgen des Folgetags vorgezogen. Aus diesem Grund kam es nicht mehr zu der von der Patientin beabsichtigten Rücksprache mit ihrem Orthopäden. Das Gericht sah so die Einwilligung als nicht wirksam an, weshalb es auch keines Widerrufs bedurfte.

Das Oberlandesgericht führt in seinen Entscheidungsgründen aus:

„Wenn ein Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die – schon vom Grundsatz her nicht unbedenklich erscheinende – Übung hat, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung zu bewegen, kann von einer wohlüberlegten Entscheidung nicht ausgegangen werden. Sie wird vielmehr unter dem Eindruck einer großen Fülle von dem Patienten regelmäßig unbekannten und schwer verständlichen Informationen und in einer persönlich schwierigen Situation (wie hier nach einem Unfall) abgegeben. Eine solche Erklärung steht dann unter dem Vorbehalt, dass der Patient die ihm verbleibende Zeit nutzt, um die erhaltenen Informationen zu verarbeiten und um das Für und Wider des Eingriffs für sich abzuwägen und sich gegebenenfalls anders zu entscheiden. In einem solchen Fall ist es nicht Aufgabe des Patienten, sich durch eine ausdrückliche Erklärung von seiner zuvor gegebenen Einwilligungserklärung wieder zu lösen. Es ist vielmehr Aufgabe der operierenden Ärzte, was wiederum durch organisatorische Maßnahmen des Krankenhausträgers sicherzustellen ist, sich davon zu überzeugen, dass die gegebene Einwilligungserklärung nach wie vor dem freien Willen des Patienten entspricht. Es stellt einen bedeutsamen Unterschied dar, ob der Patient nach rechtzeitiger Aufklärung und ausreichender Bedenkzeit seine Einwilligung erteilt, oder ob dies gerade nicht der Fall ist. Ist im ersten Fall zu erwarten, dass er als mündiger Mensch von sich aus auf die geänderte Entscheidung oder auf inzwischen wieder aufgetretene Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Maßnahme hinweist, ist dies im Fall einer verkürzten Entscheidungsfreiheit anders. Dies gilt schon deshalb, weil im erstgenannten Fall die Einwilligung als solche wirksam ist und es damit Sache des Patienten ist, sich von ihr wieder zu lösen, während im zweiten Fall eine nicht wirksame Erklärung vorliegt, für die die Verantwortung auf Behandlerseite liegt, denn sie hätte ohne weiteres dem Patienten erst die Bedenkzeit geben und dann die Unterschrift abverlangen können. Es macht aber auch einen beachtlichen psychologischen Unterschied aus, denn die Erklärung, sich von seiner zuvor gegebenen Einwilligung wieder lösen zu wollen, ist – anders als im erstgenannten Fall – mit einem Vorwurf an die Ärzte verbunden, nämlich quasi „überfahren“ worden zu sein, den der Patient verständlicherweise scheuen wird.“3

Fazit

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