Arzt und Recht - OUP 12/2017

Aufklärung mehr als sechs Monate vor Eingriff unwirksam*
Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 15.11.2016 – 4 U 507/16 –

Die von der Klägerin unterzeichnete Einverständniserklärung bietet indes keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für ein ausreichendes Aufklärungsgespräch. Unter der Überschrift „Allgemeines Operationsrisiko“ enthält sie lediglich eine stichwortartige Auflistung allgemeiner Operationsrisiken sowie die handschriftliche Eintragung: „Blutungen, Hämatome, Wundheilungsstörungen, Infektionen“ sowie – als mögliche Spätfolgen – „chronische Beschwerden, Folgeoperationen“. Das Feld für die Skizze der geplanten Operation ist frei. Ergänzt wird dies durch allgemeine Hinweise, wonach auf typische Risiken sowie die Notwendigkeit, die Vor- und die Nachteile des geplanten Eingriffs hingewiesen wurde. Ein solcher Aufklärungsbogen enthält keinen Bezug zu der konkret durchzuführenden Operation. Die allgemeinen Erklärungen benennen keine bestimmten Risiken und sind damit nichtssagend, weil sie dem Patienten keine Vorstellung von der vorgesehenen Operation und den konkret damit verbundenen Risiken verschaffen können. Wegen seines allgemein gehaltenen Inhalts ist einem solchen Vordruck keinerlei Indizwirkung für ein umfassendes Aufklärungsgespräch beizumessen, auf deren Grundlage den Angaben des vernommenen Arztes im Allgemeinen Glauben zu schenken wäre. Einen Beweis kann die Behandlungsseite dann nur noch führen, wenn sie Inhalt und Umfang des konkreten Aufklärungsgesprächs und nicht lediglich eine allgemeine Aufklärungspraxis darlegen und beweisen kann. Dieser Beweis ist hier nicht gelungen. Unabhängig von den Erinnerungslücken der Zeugen steht dem entgegen, dass die handschriftlichen Eintragungen in dem Einverständnisformular nicht von der Zeugin Dr. A. – die das Aufklärungsgespräch durchgeführt hat – stammen und weder von dieser noch von dem Zeugen Dr. Z. im Nachhinein zugeordnet werden konnten. Die Zeugin Dr. A. konnte sich zudem weder an die Klägerin und ein mit dieser geführtes Aufklärungsgespräch noch an den in der Patientenakte befindlichen Vordruck erinnern, gab aber im Widerspruch hierzu an, den Bogen in der Regel selbst auszufüllen, wenn sie das Aufklärungsgespräch führe. Die Versuche der Zeugin und der Beklagten, diese Widersprüche zu erklären, gehen über Spekulationen nicht hinaus. Der Aussage des Zeugen Prof. Dr. Z. über das Gespräch mit der Klägerin am Vorabend der Operation kann eine ordnungsgemäße Aufklärung gleichfalls nicht entnommen werden. Er hatte an dieses Gespräch keinerlei Erinnerung und konnte lediglich bekunden, dass er prinzipiell am Abend vor der Operation bei dem Patienten vorbeischaue, sich mit ihm bespreche und frage, ob noch Fragen offen seien.

Entgegen der Annahme des Landgerichts ist bei dieser Sachlage ein hinreichendes Aufklärungsgespräch nicht bewiesen. Der erneuten Einvernahme der Zeugen Dr. A. und Prof. Dr. Z. durch den Senat bedurfte es für diese Feststellung nicht. Der Senat verkennt dabei nicht, dass eine Wiederholung der Beweisaufnahme grundsätzlich geboten ist, wenn das Berufungsgericht Zeugenaussagen anders würdigen will als das erstinstanzliche Gericht (BGH, Urteil vom 21.09.2016 – VIII ZR 188/15 –). Dies hat seinen Grund indes darin, dass die Glaubwürdigkeit eines Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage nicht ohne einen persönlichen Eindruck überprüft werden können. Darum geht es jedoch im Streitfall nicht, weil hier nicht die Glaubwürdigkeit der Zeugen, sondern der Inhalt ihrer Aussage in Rede steht. Ausschlaggebend ist, dass diese für den von der Beklagten zu führenden Beweis nicht ergiebig ist, was sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung auch ohne erneute Vernehmung erschließt.

b) Die Klägerin hat einen Entscheidungskonflikt plausibel dargelegt. Sie hat bei ihrer Anhörung vor dem Senat betont, dass sie bei Kenntnis des Risikos, dass sich ihr Zustand nicht bessern, sondern noch verschlimmern könne und auch das obere Sprunggelenk versteift werden müsse, der Operation nicht zugestimmt hätte. Wenn ihr mitgeteilt worden wäre, dass lediglich 50 % der Patienten eine nachhaltige Besserung erfahren, hätte sie sich in jedem Fall gegen die Operation entschieden. Der Senat glaubt der Klägerin. Trotz der ersichtlich großen Beschwerden beim Gehen erklärte sie, eine Revisionsoperation auch zum jetzigen Zeitpunkt aus Angst vor einem erneuten Eingriff nicht durchführen zu wollen.

c) Die Klägerin hat durch den vertrags- und rechtswidrigen Behandlungseingriff einen Schaden erlitten. Eine Gesundheitsbeschädigung liegt schon darin, dass die Klägerin überhaupt operiert wurde mit allen damit zusammenhängenden körperlichen Beeinträchtigungen, während sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung sich der Operation gar nicht oder viel später unterzogen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2016 – VI ZR 75/15 – ArztR 2016, 257; Urteil vom 13.01.1987 – VI ZR 82/86). Die Klägerin hat sich einer schmerzhaften Operation unterzogen und befand sich über 10 Tage in stationärer Behandlung. Anschließend musste sie einen Unterschenkelgips tragen. Die Mobilisation dauerte sechs Wochen. Auch unter Berücksichtigung der bestehenden Arthrose und der damit verbundenen schmerzhaften Bewegungseinschränkung stellt die dauerhafte Versteifung des rechten unteren Sprunggelenks einen ersatzfähigen Gesundheitsschaden dar. Diese Umstände rechtfertigen in der Gesamtwürdigung ein Schmerzensgeld in Höhe von 8000 Euro.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt

Dr. Wolfgang Bruns, Karlsruhe

Fussnoten

*Nachdruck aus ArztRecht 10/2017 mit freundlicher Genehmigung des Verlags für ArztRecht, Fiduciastraße 2, 76227 Karlsruhe, www.arztrecht.org

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