Übersichtsarbeiten - OUP 02/2017

Behandlung von Muskelverletzungen mit Platelet Rich Plasma
Fakt oder Fiktion?Fact or Fiction?

Andreas Goesele-Koppenburg1

Zusammenfassung: Muskelverletzungen im Sport sind häufig. Die Therapie ist in der Regel konservativ und abhängig vom Schweregrad und Ausmaß der Verletzung. Neben Physiotherapie und physikalischen Maßnahmen werden auch Injektionsbehandlungen eingesetzt. Die lokale Infiltration mit autologem Platelet Rich Plasma (PRP) stellt einen theoretisch vielversprechenden therapeutischen Ansatz dar. Durch Injektion eines supraphysiologischen Plättchenkonzentrats in die Muskelverletzung sollen in dem Präparat enthaltene Wachstumsfaktoren und Zytokine die Heilung beschleunigen. Es gibt eine Vielzahl von handelsüblichen Herstellungsverfahren. Ein Goldstandard der Herstellung und der Darreichung existiert jedoch nicht. Vielversprechende Falldarstellungen und Einzelbeobachtungen konnten durch neuere Studien, zum Teil auch Multicenterstudien,
allerdings nicht bestätigt werden.

Schlüsselwörter: Muskelverletzung, Platelet Rich Plasma (PRP), Behandlung

Zitierweise
Goesele-Koppenburg A: Behandlung von Muskelverletzungen mit Platelet Rich Plasma. Fakt oder Fiktion?
OUP 2017; 2: 084–086 DOI 10.3238/oup.2017.0084–0086

Summary: Muscle injuries are very common in sports. Generally spoken the treatment is conservative and depends on the classification of the injury. Besides physiotherapy a great variety of treatments including injections are applied. Local injection of autologous platelet rich plasma (PRP) is a
theoretically interesting and promising treatment option.
By injecting a supraphysiological concentration of platelets containing different growth factors and cytokines healing could be accelerated. There is a great number of different products on the market to produce and inject PRP. Up to now no gold standard is defined of how to produce and how to apply PRP. There are multiple case reports and level-III- and -IV-studies with promising good results. New level-I- and -II-studies show no significant effects of platelet rich plasma injections in the treatment of muscle injuries.

Keywords: muscle injury, platelet rich plasma (PRP),
management

Zitierweise
Goesele-Koppenburg A: Treatment of muscle Injuries with Platelet Rich Plasma. Fact or fiction?
OUP 2017; 2: 084–086 DOI 10.3238/oup.2017.0084–0086

Einleitung

Muskelverletzungen gehören zu den häufigsten Verletzungen im Sport. Die Häufigkeit und die Lokalisation variieren sehr stark und sind abhängig von Sportart und Disziplin. Sprint- und Sprungdisziplinen in der Leichtathletik weisen eine Verletzungshäufigkeit an Muskelverletzungen von über 40 % auf [9], Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen.

Der Anteil der Muskelverletzungen im Fußball, gemessen an der Gesamtzahl aller Verletzungen, liegt bei etwa 37 %. 55 % betreffen den Oberschenkel und 37 % die ischiokrurale Muskulatur [3]. Zu den Risikofaktoren einer Muskelverletzung gehören Alter, Jahreszeit (Winter) und Spielzeit. 96 % aller Verletzungen entstehen ohne Fremdeinwirkung (Gegnerkontakt). Das größte Risiko für eine Muskelverletzung ist eine vorausgegangene Verletzung der Muskulatur. Die Rezidivrate liegt bei etwa 16 %.

Entscheidend für die Behandlung und das zu erwartende Ergebnis ist eine exakte Diagnosestellung. Neben der Lokalisation der Verletzung und der Kenntnis des Entstehungsmechanismus (intrinsische – extrinsische Faktoren) gilt es v.a., das Ausmaß der Verletzung zu bestimmen, da dies unmittelbaren Einfluss auf Therapie und Prognose hat. Die meisten Klassifikationen von Muskelverletzungen orientieren sich am Ausmaß der Verletzung. Leider gibt es bis heute keine einheitliche Klassifikation [5]. Dies wäre jedoch äußerst sinnvoll, nicht nur für epidemiologische Aussagen, sondern v.a. auch, um Behandlungskonzepte vergleichbar zu machen. Ein aus unserer Sicht sehr guter Ansatz ist das „Munich Consensus Statement“ [11]. Es differenziert funktionelle von strukturellen Läsionen und berücksichtigt zusätzlich den Schweregrad und das Ausmaß der Verletzung.

Muskelverletzungen werden primär konservativ behandelt. Das Behandlungsspektrum umfasst je nach Schweregrad Ruhigstellung, Schonung, Physiotherapie, physikalische Maßnahmen, orthopädische Hilfsmittel (Kompressionsbandagen), aber auch Medikamente und Injektionsbehandlungen. Die Spannbreite der eingesetzten Maßnahmen ist groß und überschreitet zuweilen die Grenzen der seriösen Medizin hin zu Voodoo und Scharlatanerie. Evidenzbasierte Standardprozeduren gibt es nicht, was wiederum den Weg für Wunderheilung und Behandlungsrekorde ebnet, wofür gerade der Spitzensport äußerst anfällig ist. Zu der Vielzahl von injizierbaren Substanzen hat sich in den letzten Jahren PRP hinzugesellt, ein autologes Thrombozytenkonzentrat. Beeinflusst durch Laienpresse und Industrie, ist geradezu ein PRP-Hype entstanden, da es zumindest zeitweilig danach aussah, dass PRP die Lösung vieler Probleme und eine neue Behandlungsstrategie von Verletzungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats darstellt.

Was ist Platelet-Rich Plasma?

Menschliches Vollblut besteht aus Plasma und zellulären Anteilen: Erythrozyten (93 %), Leukozyten (1 %), und Thrombozyten (6 %). Die wissenschaftliche Erstbeschreibung der Thrombozyten aus dem Jahr 1865 geht auf den Bonner Wissenschaftler und Anatom Max Schultze zurück [2]. Der Italiener Giulio Bizzozero erforschte die Rolle der Thrombozyten hinsichtlich ihrer Funktion bei Thrombusbildung sowie Blutgerinnung und beschrieb ebenfalls erstmalig die intrazellulären Alpha Granula [2]. Thrombozyten haben keinen Zellkern. Sie entstehen durch Abschnürung aus Megakaryozyten des Knochenmarks, wobei ein solcher Megakaryozyt bis zu 8000 Thrombozyten bilden kann. Die im Zytosol liegenden Alpha-Granula haben einen hohen Gehalt an verschiedenen Wachstumsfaktoren und Zytokinen. Thrombozyten und ihre Inhaltsstoffe sind somit nicht nur an der Blutgerinnung, sondern auch an einer Vielzahl von Reparaturmechanismen beteiligt. Sie können die Bildung von Bindegewebe fördern, die Resorption von nekrotischem Gewebe beschleunigen, Makrophagen, mesenchymale Stammzellen und Osteoblasten stimulieren sowie die Epithelisation und die Angiogenese beeinflussen. Die Lebensdauer von Thrombozyten beträgt 7–10 Tage.

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