Übersichtsarbeiten - OUP 02/2017

Behandlung von Muskelverletzungen mit Platelet Rich Plasma
Fakt oder Fiktion?Fact or Fiction?

Der gezielte Einsatz von autologen Blutprodukten erfolgte erstmals in der Zahnmedizin zur Unterstützung der knöchernen Regeneration [14]. 1997 beschrieb Whitman die Herstellungstechnik eines „Platelet-Gels“ zum Einsatz in der Kieferchirurgie [15]. In den folgenden Jahren erschienen in der medizinischen Fachliteratur immer mehr Artikel über den Einsatz von Thrombozyten und v.a. PRP in der Orthopädie, der plastischen Chirurgie und der Zahnmedizin. Platelet Rich Plasma wird in der Regel durch Zentrifugierung von frisch entnommenem Vollblut gewonnen. Sowohl die entnommene Menge an Vollblut als auch die PRP-Herstellung an sich unterscheiden sich von Hersteller zu Hersteller zum Teil erheblich. Es gibt keinen Goldstandard, was Kanülengröße, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Umdrehungszahl und Dauer der Zentrifugierung sowie die Separation der Blättchen von den restlichen zellulären Anteilen anbelangt. Allen Verfahren gemeinsam ist das Ziel, den Anteil der Plättchen pro Milliliter zu erhöhen und so im Idealfall ein Produkt zu gewinnen, welches im Wesentlichen aus Thrombozyten (93–95 %) und nur einer geringen Menge an weiteren korpuskulären Anteilen (maximal 5 %) besteht. In der Orthopädie kommen PRP-Injektionen bei folgenden Indikationen zu Einsatz:

Tendinopathien (z.B. Midportion Tendinopathie der Achillessehne)

Sehnenansatzpathologien (z.B. Epikondylitis)

Muskelverletzungen

degenerativen Arthropathien

Bandverletzungen

Wundheilungsstörungen

Knochenheilung

Einsatz von PRP
bei Muskelverletzungen

Der Einsatz von PRP ist unter theoretischen Gesichtspunkten durchaus vielversprechend [13]. Durch Injektion eines verhältnismäßig einfach zu gewinnenden, autologen Materials, das in fast unbegrenzter Menge zur Verfügung steht bzw. sich permanent nachbildet, können Reparaturvorgänge beschleunigt werden! Aufgrund dieser Überlegungen und der Häufigkeit von Muskelverletzungen in der Sportpopulation war es naheliegend, dass PRP im großen Stil von der Industrie angepriesen und von den Orthopäden eingesetzt wurde und wird. Bei Spitzensportlern war der Einsatz von Platelet Rich Plasma in den Anfängen des „PRP-Zeitalters“ noch möglich, wurde dann jedoch 2008 untersagt, da es fälschlicherweise mit Blutdoping gleichgesetzt wurde und deshalb auf der WADA-Liste der verbotenen Substanzen und Techniken stand [4]. Zwar konnte man eine Ausnahmebewilligung zu therapeutischen Zwecken (TUE) erwirken, der Bewilligungsvorgang zog sich jedoch meist jedoch viel zu lang hin, sodass der optimale Zeitpunkt der Injektion (innerhalb der ersten 5 Tage nach Trauma) meist schon verstrichen war. Seit 2011 ist der Einsatz von Platelet Rich Plasma im Spitzensport wieder erlaubt. Allerdings gilt in manchen Sportarten (Rudern und Radfahren) eine „No-Needle-Policy“, die es einzuhalten gilt.

Die Heilungsphasen bei Muskelverletzungen werden unterteilt in:

Destruktionsphase

Reparaturphase und

Remodelingphase.

Die Destruktionsphase ist gekennzeichnet durch Gewebezerstörung (Muskelzellen, Bindegewebe, Gefäße und Nerven) und damit verbunden einer Gewebenekrose. Es kommt zur Einschwemmung von Entzündungszellen und zur Freisetzung von Wachstumsfaktoren und Zytokinen. Die Folge davon ist eine massive Entzündungsreaktion und im Rahmen dessen eine sogenannte sekundäre Schädigungsphase durch diese Reparaturmechanismen. Genau in dieser Phase, so die Theorie, kann Platelet Rich Plasma zum Einsatz kommen. Durch Injektion einer supraphysiologischen Konzentration an Thrombozyten kommt es zu einer gesteigerten Modulation von Zellproliferation, Angiogenese, vaskulärem Remodeling und der Synthese extrazellulärer Matrix (Tab. 1) [10, 13]. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um:

Platelet-derived growth factor (PDGF)

Transforming growth factor beta (TGF-beta)

Vascular endothelial growth factor (VEGF)

Epithelial growth factor (EGF)

Fibrin, Fibronectin und Vitronectin

Es wird empfohlen, das PRP-Präparat direkt in das „Epizentrum“ der Muskelverletzung zu injizieren (Abb. 1). Die Injektion sollte fächerförmig unter Ultraschallkontrolle erfolgen. Es gibt Anhaltspunkte, dass Lokalanästhetika die Wirkung von PRP negativ beeinflussen können.

Platelet Rich Plasma:
Sinn oder Unsinn?

Positive klinische Fallbeschreibungen mit zum Teil deutlicher Verkürzung der Heilungszeit von Muskelverletzungen durch PRP-Injektionen gibt es in großer Zahl. Was fehlte, waren randomisierte Doppelblindstudien mit entsprechend hohen Fallzahlen. Erst in jüngster Zeit liegen diese Studien vor und die Ergebnisse zur PRP-Therapie bei Muskelverletzungen sind ernüchternd [6, 7]. Die meisten der vorliegenden Arbeiten wie z.B. „The Dutch Hamstring Injection Therapie Study“ [12] oder die Arbeit von Hamilton [7] kamen zu dem Ergebnis, dass PRP-Injektionen keine Behandlungsvorteile gegenüber den Kontrollgruppen (z.B. Physiotherapie) ergaben. Weder die Behandlungsdauer noch die Schmerzen konnten signifikant verbessert werden. Lediglich eine Level-II-Arbeit [1] konnte zeigen, dass eine PRP-Injektion bei Hamstring-Verletzungen zu einem schnelleren Heilungsverlauf (42,5 d vs. 26,7 d) führte.

Die Gründe für die aktuelle Studienlage sind vielfältig. Zum einen gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Herstellungsverfahren und Applikationsformen. Zum anderen ist es völlig unklar, wie hoch die Plättchenkonzentrationen und wie hoch das jeweilige Reparaturpotenzial an Wachstumsfaktoren pro Konzentrat ist. Ebenso unklar sind der optimale Zeitpunkt und die Häufigkeit der Injektionen [16].

In-vitro-Studien [8] können nur bedingt auf die komplexen Heilungsmechanismen in vivo übertragen werden. Die meisten der vorliegenden Studien sind retrospektive Erfahrungsberichte. Da es keine einheitliche Klassifikation von Muskelverletzungen gibt, ist weiterhin unklar, welcher Schweregrad einer solchen Verletzung überhaupt therapiert wird. Die meisten Studien gehen gar nicht auf die Klassifikation des Schweregrads ein.

Schlussfolgerung

Die aktuelle Studienlage lässt es nicht zu, eine klare Empfehlung für den Einsatz von Platelet Rich Plasma in der Therapie von Muskelverletzungen auszusprechen. Es gibt zwar vielversprechende Erfahrungsberichte und Einzelfalldarstellungen, die Mehrheit der aktuellen randomisierten Doppelblindstudien ergibt jedoch keinen Vorteil für PRP-Injektionen gegenüber nichtinvasiven Maßnahmen wie Physiotherapie. Unter diesen Aspekten ist ein Verfahren, das kostenintensiv ist, von den meisten Kostenträgern nicht übernommen wird und zusätzlich (als invasive Methode) ein gewisses Infektionsrisiko birgt, nicht uneingeschränkt zu empfehlen.

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