Übersichtsarbeiten - OUP 04/2015

Belastungsparameter im sensomotorischen Training

O’Driscoll und Delahunt stellten im Jahr 2011 eine Übersicht von Artikeln zusammen, die sich mit NMT zur Verbesserung sensomotorischer und funktioneller Defizite bei chronischer Sprunggelenkinstabilität befassten. Für die Messungen der statischen und dynamischen posturalen Stabilität, des aktiven und passiven Gelenk-Positionssinns, der isometrischen Kraft, der Latenzzeit, der Unterschenkel-Rückfuß-Koordination und der Wiederverletzungsrate zeigte die Übersichtsarbeit eine moderate oder limitierte Evidenz für die Effektivität von NMT [22].

Die Arbeitsgruppe Sugimoto, Myer, Barber Foss und Hewett [23] befasste sich im Jahr 2013 mit den Dosierungseffekten von neuromuskulärem Trainingsinterventionen zur Reduktion von vorderen Kreuzbandverletzungen bei Athletinnen. Dabei wurden Interventionsdauer, Trainingshäufigkeit und Dauer der neuromuskulären Trainingseinheiten im Zusammenhang mit der Anzahl der vorderen Kreuzbandverletzungen untersucht. In ihrer Arbeit extrahieren Sugimoto et al. die wirksamen Belastungsparameter auf eine andere Art und Weise als die bereits vorgestellten Übersichtsarbeiten. Sie kategorisieren die Belastungsparameter dichotom, wonach die eingeschlossenen Studien den Kategorien zugewiesen werden und der Trainings- oder Interventionserfolg der Kategorien miteinander verglichen wird. Es wurde festgestellt, dass NMT das Verletzungsrisiko im Vergleich zu nicht-neuromuskulär trainierenden Gruppen um bis zu 46 % herabsenkte, was die Effektivität von NMT als verletzungsprophylaktische Intervention demonstrierte.

Belastungsparameter:
Dauer der Einheit

Wie lange dauern Therapie-/Trainingseinheiten in Studien, in denen ein positiver Effekt von SMT aufgezeigt werden konnte. Laut Zech et al. [5, 12] liegt die Dauer der einzelnen Einheiten von erfolgreichen SMT-Interventionsstudien zwischen 10 und 60 Minuten [5] bzw. zwischen 5 und 90 Minuten [12] (Abb. 1). Sugimoto et al. kommen zu dem Schluss, dass lange Einheiten von mehr als 20 Minuten wirksamer als kurze Einheiten von weniger als 20 Minuten [23] sind. In den restlichen Studien werden keine Angaben zu der Dauer einer Trainingseinheit gemacht. Weiterhin schlussfolgern Sugimoto et al., dass eine wöchentliche Gesamttrainingsdauer von > 30 Minuten effektiver ist als eine Dauer von 15–30 Minuten und diese wiederum effektiver als eine Dauer von ? 15 Minuten pro Woche [23].

Länge des Trainingszeitraums

Zum Zeitraum, über den ein SMT andauern sollte, um Veränderungen hervorzurufen, werden folgende Angaben gemacht. Positive Effekte wurden in Studien mit SMT-Interventionszeiträumen zwischen 4–12 Wochen beobachtet [5, 12] bzw. nach 6–10 Wochen [22]. In 2 Arbeiten wird herausgearbeitet, dass eine SMT-Intervention mindestens über 6 Wochen anhalten sollte [20, 21] (Abb. 2). In einer Arbeit von Aman et al. [21] wird zusätzlich dargestellt, dass sich Verbesserungen teilweise schon nach einer einzigen Einheit zeigen, diese Verbesserung sich aber nicht stabil erwiesen. Weiterhin wird in der Arbeit geschrieben, dass sich zwischen 3 und 5 Wochen Interventionsdauer kein Effekt zeigen lässt [20].

Trainingsfrequenz

Die wöchentliche Trainingsfrequenz von SMT, bei der ein Trainingserfolg zu erwarten sei, variiert bei den verschieden Übersichtsarbeiten zwischen 3,9 ± 1,5 [12], 1–5 [5, 22] und mindestens 3 [21] Einheiten pro Woche (Abb. 3). Sugimoto et al. fanden heraus, dass es besser ist, mindestens 2-mal pro Woche zu trainieren als nur einmal pro Woche [23].

Diskussion

Die Zusammenfassung der verschiedenen Ergebnisse sollte die Frage beantworten, ob es eine evidenzbasierte Aussage zu einer Dosis-Wirkungsbeziehung im SMT gibt. Nach Betrachtung der Ergebnisse schlussfolgern wir, dass gesicherte Erkenntnisse zur Dosis-Wirkungsbeziehung gering sind. Zwar werden die ermittelbaren Parameter der erfolgreichen Interventionen herausgearbeitet, nur sind dies alles Angaben, die den Umfang des SMT beschreiben. Über die Steuerung des Trainings über die Intensität, wie man es aus der Trainingswissenschaft kennt (hoher Umfang, geringe Intensität und umgekehrt), liegen keine hinreichend abgesicherten Erkenntnisse vor.

Die Gründe für die unzureichend gesicherten Erkenntnisse zur Dosis-Wirkungsbeziehung sind mannigfaltig. Aussagen über die optimale Intensität von SMT sind schwer zu ermitteln, da die Belastungsintensität im SMT nur schwer zu quantifizieren ist. Vereinzelte Studien haben Progression von Übungen [24], die beanspruchte Muskulatur beim Training auf verschiedenen Geräten [25] oder über die Effekte von Ermüdung auf sensomotorische Fähigkeiten und die motorische Kontrolle [26, 27] thematisiert. Die Frage, wann eine Übung abgebrochen werden sollte, weil die Ermüdung (ähnlich dem Krafttraining) zu groß wird, können diese Untersuchungen nicht beantworten. Wir sind der Meinung, dass es einer umfassenden Messbatterie bedarf, welche die gesamte Bandbreite an ermüdungsmöglichen Systemen und Parametern erfassen kann, um der Komplexität der sensormotorischen Ermüdung und damit der Dosis-Wirkungsbeziehung gerecht zu werden.

Weiterhin ist anzumerken, dass es nach Wissen der Autoren keine Untersuchung gibt, die sich gezielt mit der Frage beschäftigt, wie ein SMT gestaltet werden muss, um optimale Effekte zu erzielen. Die besprochenen Übersichtsarbeiten ermitteln die Belastungsparameter lediglich durch eine retrospektive Ermittlung aus Interventionsstudien mit signifikanten Verbesserungen der Zielgrößen. Die Herausarbeitung dieser ist auch (bis auf Sugimoto et al.) nicht die Absicht der Übersichtsarbeiten. Eher geht es dabei um die generelle Wirksamkeit von SMT bei verschiedenen Zielgruppen und verschiedenen Zielgrößen – von der Reduktion von Verletzungen des Vorderen-Kreuzbands bei Athletinnen [23] bis zur Verbesserung der neuromuskulären Kontrolle und Leistungssteigerung durch Gleichgewichtstraining [12]. Es liegt in der Natur der Sache, dass verschiedene Zielgrößen auch verschiedene Messmethoden benötigen. Und da gibt es bei den sensomotorischen Fähigkeiten ein breites Spektrum verschiedenster Messmethoden. Veränderungen von Reflexantworten werden u.a. durch Messungen des H-Reflexes quantifiziert [2, 28]. Gleichgewichtsparameter können bei statischen Gleichgewichtsmessungen über Kraftmessplatten erfasst werden [26, 29, 30]. Bei dynamischen Gleichgewichtsmessungen können verschiedene Tests, wie z.B. der Star Excursion Balance Test [31] oder Stabilisierungsmessungen auf Kraftmessplatten [26] oder sensomotorischen Trainingsgeräten [26, 32] durchgeführt werden. Eine weitere sensomotorische Fähigkeit, die mit unterschiedlichen Methoden gemessen werden kann, ist die Propriozeption. Je nachdem, ob Lage-, Kraft- oder Bewegungssinn im Fokus der Untersuchung liegen, können unter anderem Winkelreproduktionstests [33] oder Tests zur Bestimmung der Schwelle zur Feststellung passiver Bewegungen (threshold to detection of passive movement) [17] durchgeführt werden. Die dadurch entstehende Vielfalt an Studien erschwert die Datensynthese von Meta-Analysen und systematischen Übersichtsarbeiten.

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