Übersichtsarbeiten - OUP 03/2021

Bewegungstherapie
Evidenter Nutzen bei orthopädisch-rheumatologischen Erkrankungen

Neben den bereits beschriebenen Maßnahmen haben sich vor allem sport- und bewegungstherapeutische Verfahren mit Zielsetzung der Stabilisierung durch Kräftigung der Rumpfmuskulatur, kombiniert mit edukativen Maßnahmen nach verhaltenstherapeutischen Prinzipien bei subakuten und chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen in Bezug auf die Schmerzreduktion, Funktionsfähigkeit und schnelle Rückkehr an den Arbeitsplatz als effektiv erwiesen [17]. Welche Form der Bewegungstherapie dabei eingesetzt wird, sollte aufgrund mangelnder Studiendaten nach der jeweiligen Präferenz der Betroffenen, ihren Alltagsumständen und der individuellen Fitness entschieden werden. Wichtig ist eine gute und motivierende Anleitung durch qualifizierte Therapeuten, um Betroffene an gesundheitsorientierte körperliche Aktivität dauerhaft zu binden. Auch ergotherapeutische Maßnahmen können bei chronischen Rückenschmerzen im multimodalen Setting zur physischen Konditionierung und Verbesserung des funktionellen Status in Form arbeitsrelevanter Betätigungen sinnvoll sein, da sie speziell auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zielen. Im Anschluss an eine zuvor verordnete Therapie mit Krankengymnastik oder eine Rehabilitationsmaßnahme bietet Rehabilitationssport bzw. Funktionstraining im Weiteren eine längerfristige Möglichkeit, die Nachhaltigkeit der zuvor eingeleiteten Therapien zu verbessern. Auch bei einigen spezifischen Rückenschmerzen wie dem Facettensyndrom, dem discogenen Lumbalsyndrom, der Osteochondrosis vertebralis wird nach Abklingen des akuten Krankheitsbilds zur muskulären Stabilisation des Wirbelsäulenabschnitts Bewegungstherapie in Form von Kraft- und Koordinationstraining empfohlen.

Osteoporose

Die Osteoporose als systemische Skeletterkrankung zählt mittlerweile ebenso zu den ökonomisch bedeutsamsten Erkrankungen in Deutschland. Ihre Relevanz für das Gesundheitssystem wird in den nächsten Jahren infolge der demographischen Entwicklung noch um ein Vielfaches zunehmen, da Inzidenz und Prävalenz der Osteoporose und osteoporotischer Frakturen stark altersassoziiert sind. Umso wichtiger werden zukünftig interdisziplinäre Behandlungsansätze, auch in Form aktiver bewegungstherapeutischer Maßnahmen zur Sturzprophylaxe und Frakturvermeidung, zumal eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren das Krankheitsgeschehen einer Osteoporose und ihren Verlauf beeinflusst. Die Osteoporose bedingte Fraktur stellt im Alter eine der Hauptursachen für funktionelle Einschränkungen, Behinderung, chronische Schmerzsyndrome sowie eine erhöhte Morbidität und Mortalität dar [22] und trägt entscheidend zum Verlust an Lebensqualität und Autonomie älterer Menschen bei. Risikofaktor für eine Osteoporose bedingte Fraktur ist neben einer verminderten Knochenmasse und -festigkeit vor allem eine zum Sturz führende herabgesetzte neuromuskuläre Kapazität durch funktionelle Einbußen im Kraft- und Gleichgewichtsvermögen mit einer daraus resultierenden Gangunsicherheit [13]. Zur Reduktion der motorischen Kompetenz gesellschaftet sich im Alter noch eine Minderung der visuellen und vestibulären Fähigkeiten, wodurch das Sturzrisiko zusätzlich erhöht wird. Altersassoziierte Stürze sind multikausal bedingt, mit einer komplexen Interaktion aus intrinsischen Faktoren wie Muskelschwäche und Gleichgewichtsstörungen sowie extrinsischen Faktoren wie Medikation, Sehstörungen oder „Stolperfallen“ im häuslichen Umfeld [10]. Der Vermeidung von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen kommt daher eine maßgebliche Bedeutung für die Gesundheit im Alter zu. Bewegungstherapie kann hier einen wertvollen Beitrag sowohl zur Verminderung der Sturzangst als auch zur Prävention von Stürzen leisten. Um das Sturzrisiko besser abschätzen zu können, sollten mit Betroffenen einfach durchfühbare Assessments wie z.B. der Chair Rising-Test, Handkraftmessung, die Gehgeschwindigkeit oder der Timed-up-and-go-Test zur Überprüfung der Muskelkraft und -leistung erfolgen.

Daher gilt für den Erhalt der Knochenmasse und der Festigkeit körperliche Aktivität und die daraus resultierende mechanische Beanspruchung des Knochens als unabdingbar. Körperlich aktive Menschen weisen eine signifikant höhere Knochendichte auf als inaktive Menschen [11]. Zudem belegen prospektive Kohortenstudien und konsistente Ergebnisse aus Fall-Kontrollstudien für periphere Fakturen ein reduziertes Risiko von 20 – 40 % bei älteren Menschen mit hohem physischem Aktivitätslevel. Je inaktiver der Lebensstil, desto frühzeitiger zeigen sich altersbedingte degenerative Veränderungen [24]. Neben einer reduzierten Anzahl an Muskelfasern (Typ-1– und betont Typ-2-Fasern, vor allem der unteren Extremität) sind hierfür neuronale Einflüsse (u.a. eine Reduktion spinaler Motoneurone bzw. spinale Inhibitionen) sowie eine Einschränkung der mechanischen Muskelfunktion verantwortlich. Dies führt mit zunehmendem Alter zu einer erheblichen Beeinträchtigung im sensomotorischen Informationsaustausch mit einer Minderung der Qualität der inter- und intramuskulären Koordination.

Zum Erhalt der Mobilität und auch der Fähigkeit, sich im Alltag selbst zu versorgen ist daher neben koordinativen und kardiopulmonal wirksamen Trainingsinhalten ein angepasstes muskuläres Krafttraining sinnvoll. Krafttraining führt gerade auch bei älteren Menschen durch Erhöhung des Muskelvolumens und Optimierung der Rekrutierung motorischer Einheiten zu einer Verbesserung der Muskelfunktion und Zunahme der Muskelkraft, wodurch einer Sarkopenie entgegengewirkt wird. Gangsicherheit und Ganggeschwindigkeit lassen sich so oftmals verbessern [29]. Das Ausmaß der Anpassung bei älteren Menschen über 60 Jahre ist dabei mit dem von Jüngeren durchaus vergleichbar. Die sarkopenische Muskelfaser verfügt somit nicht per se über eine reduzierte mechanische Muskelfunktion, sondern besitzt ein nachweisbares Adaptationspotenzial.

Allerdings ist derzeit nicht abschließend geklärt, welche Trainingseffekte mit welcher Belastungsintensität bzw. Beanspruchung im Einzelnen erreicht werden, zumal die Wirkung der Belastungshöhe mit personenspezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten variiert. Steht die Steigerung der schnell verfügbaren Kraft (Kraftentwicklungsrate) im Vordergrund, sind eher höhere Intensitäten (> 85 %) bzw. Frequenzen notwendig. Ein progressives Krafttraining bei 60 – 80 % des 1 RM (One-repetition maximum = Ein-Wiederholungsmaximum) hat laut jetziger Datenlage [13] allgemein einen positiven Effekt auf die Knochenmasse an Hüfte und Wirbelsäule. Ein Maximalkrafttraining von 70 – 90 % des 1 RM für alle Hauptmuskelgruppen hat dabei einen größeren Effekt auf die Knochenmasse als ein Kraftausdauertraining. Der trabekuläre Knochen der Wirbelkörper reagiert insgesamt schneller auf mechanische Verformung als der cortikale Knochen des Schenkelhalses.

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