Übersichtsarbeiten - OUP 01/2015

Das geriatrische Polytrauma

S. Wurm1, A. Woltmann1, M. Perl1, V. Bühren1

Zusammenfassung: Die Älteren stellen die am schnellsten wachsende Gruppe unserer Population dar. Da die Menschen auch zunehmend bis ins hohe Alter aktiv bleiben, wächst auch die Anzahl älterer Polytrauma-
Patienten. Wir haben daher retrospektiv die Besonderheiten des geriatrischen Polytrauma-Patienten untersucht.

Insgesamt zeigte sich, dass die Mehrheit der Älteren einen Sturz aus geringer Höhe erlitt und sich dabei schwere
Schädelhirnverletzungen zuzog. Die Patienten ohne Schädel-Hirn-Trauma hingegen verunfallten in erster Linie im Straßenverkehr. Die Mortalität bei den Älteren war signifikant höher als im jüngeren Vergleichskollektiv, obwohl der Durchschnitts-ISS deutlich geringer war, aber auch bei den älteren Polytraumatisierten konnte jeder Fünfte gut erholt entlassen werden. Einen signifikanten Einfluss des Schädel-Hirn-Traumas auf das Outcome gemäß GOS haben wir nicht gefunden, von den Nicht-Schädelverletzten konnten jedoch signifikant mehr Patienten in die Selbstständigkeit nach Hause zurückkehren.

Schlüsselwörter: Geriatrisch, Polytrauma, Schädel-Hirn-Trauma, Sturz aus dem Stand

Zitierweise
Wurm S, Woltmann A, Perl M, Bühren V: Das geriatrische Polytrauma. OUP 2015; 01: 046–051 DOI 10.3238/oup.2015.0046–0051

Summary: The elderly comprise the fastest growing segment of the population. Furthermore, aged people are more active, so the number of polytraumatized elderly will likely increase as well. Therefore, we have retrospectively analyzed the characteristics of geriatric polytrauma patients.

Regarding the results, the majority of the elderly fell from a height below 3 meters and suffered from severe brain injury. In conclusion, we found a significant higher mortality in elderly polytraumatized patients, although the mean ISS was markedly higher in the younger control group. But one fifth of the elderly patients had a good outcome. The brain injury seemed not to influence the outcome significantly, but significant more patients without brain injury were able to go back home.

Keywords: polytrauma, geriatric, brain injury, ground-level fall

Citation
Wurm S, Woltmann A, Perl M, Bühren V: Geriatric polytrauma.
OUP 2015; 01: 046–051 DOI 10.3238/oup.2015.0046–0051

Einleitung

Die Älteren stellen die am schnellsten wachsende Gruppe in unserer Population dar. Schätzungen zufolge werden die Über-Sechzig-Jährigen 2050 die größte Gruppe in Deutschland darstellen [1]. Bereits heute ist in Großbritannien jeder 4. Patient mit Fraktur über 75 Jahre alt [2].

Da die Menschen jedoch nicht nur immer älter werden, sondern auch oft bis ins hohe Alter aktiv bleiben, wird die Zahl geriatrischer Polytrauma-Patienten voraussichtlich auch steigen. In einigen Studien, die sich mit älteren Trauma-Patienten beschäftigen, zeigt sich ein deutlich schlechteres Outcome bei den Älteren. Eine Studie findet sogar einen Anstieg der Mortalitätswahrscheinlichkeit von 6 % pro Jahr Altersanstieg [3]. Um die Gründe für dieses schlechte Outcome der älteren Polytrauma-Patienten zu beleuchten, haben wir uns mit den Besonderheiten und Komplikationen dieses Patientenkollektivs beschäftigt.

Methode

Diese Studie ist eine retrospektive Analyse von prospektiv erhobenen Daten. In diese Studie wurden alle Patienten über 74 Jahre eingeschlossen, die zwischen 2002 und 2013 an der BG-Unfallklinik Murnau behandelt wurden und einen ISS ? 16 hatten.

Besonderes Augenmerk haben wir dabei gelegt auf:

Unfallmechanismus

Verletzte Körperregion (AIS > 2)

Komplikationen während des stationären Aufenthalts und

Outcome (Glasgow Outcome Scale; GOS).

Bei der Auswertung der Daten und bei der Erfassung der Komplikationen haben wir dann Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma den polytraumatisierten Patienten ohne begleitendes Schädel-Hirn-Trauma gegenübergestellt.

Die statistische Auswertung der Ergebnisse und ihre Prüfung auf Signifikanz erfolgte mit Hilfe des exakten Tests nach Fischer sowie des Mann-Whitney-Tests. Zur vergleichenden Quantifizierung wurden p-Werte errechnet. Wenn die p-Werte < 0,05 lagen, wurden die Unterschiede als signifikant, wenn sie > 0,05 lagen, wurden die Unterschiede als nicht signifikant bezeichnet.

Ergebnisse

Während des 12-jährigen Studienzeitraums wurden in der BG-Unfallklinik Murnau insgesamt 2522 polytraumatisierte Patienten behandelt, davon waren 298 (11,8 %) über 74 Jahre alt. Das Durchschnittsalter dieser Patientengruppe lag bei 81,5 Jahren (± 4,9 Jahre), der mittlere ISS war 24,9 Punkte. 162 der Patienten waren männlich (54,4 %), 136 weiblich (45,6 %).

108 der älteren polytraumatisierten Patienten hatten kein begleitendes Schädel-Hirn-Trauma. Der Durchschnitts-ISS dieser Patientengruppe lag bei 26,9 Punkten. Die Patienten waren durchschnittlich 81,1 Jahre alt und zu 61,1 % männlich.

190 Patienten hatten eine Kopfverletzung mit einem AIS > 2. Der Durchschnitts-ISS dieser Patienten war mit 23,6 Punkten signifikant niedriger, während das Alter mit 81,7 Jahren im Schnitt annähernd gleich der anderen Gruppe war. Bei den Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma zeigte sich eine ausgeglichene Geschlechterverteilung mit 50,5 % Männern und 49,5 % Frauen.

Bei der Betrachtung des Unfallmechanismus (Abb. 1) zeigte sich, dass die Polytraumatisierten ohne Schädel-Hirn-Trauma jeweils zu 28 % im Rahmen eines PKW-Unfalls bzw. bei einem Sturz aus geringer Höhe verletzt wurden. Demgegenüber gab es bei den Schädelhirnverletzten DEN klassischen Unfallmechanismus: den Sturz aus geringer Höhe, den 59,5 % erlitten.

Die Patienten ohne Schädel-Hirn-Trauma hatten signifikant häufiger schwere Begleitverletzungen (AIS > 2) (Abb. 2). Ungefähr 45 % erlitten schwere Thorax- und Wirbelsäulenverletzungen, aber auch Abdomen, untere Extremitäten und Becken zählten mit jeweils über 10 % noch zu den häufigen Verletzungen.

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