Übersichtsarbeiten - OUP 01/2015

Das geriatrische Polytrauma

Bei den Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma zählten Thoraxverletzungen zwar auch zu den häufigsten Begleitverletzungen, diese waren jedoch mit 18 % signifikant seltener als in der Kontrollgruppe. Alle anderen Körperregionen waren nur in bis zu 5 % der Fälle von Begleitverletzungen betroffen.

Insgesamt ein Viertel der Patienten erlitt keine Komplikationen während des stationären Aufenthalts (Abb. 3); hier zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Die führende Komplikation, ebenfalls in beiden Gruppen, waren pulmonale Komplikationen, wie Pneumonie und pulmonale Insuffizienz, die vor allem im Rahmen einer längeren Beatmungspflichtigkeit auftraten. Die pulmonalen Komplikationen traten jedoch in der Gruppe der Nicht-Schädelverletzten signifikant häufiger auf. Auch kardiale und abdominale Komplikationen sowie ein Multiorganversagen (MOV) waren bei den Nicht-Schädelverletzten signifikant häufiger. Septische Komplikationen hingegen zeigten sich in beiden Gruppen annähernd gleich oft.

Zerebrale Komplikationen, wie ein Anstieg des Hirndrucks, fanden sich naturgemäß nur in der Gruppe der Schädelhirnverletzten. Sonstige Komplikationen, wie Thrombosen, Wundheilungsstörungen oder Harnwegsinfekte waren eher selten.

Insgesamt verstarben 35,2 % der Patienten ohne Schädel-Hirn-Trauma und 35,8 % der Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma (Abb. 4). Bei den Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma wurde bei infauster Prognose und gemäß dem oft schon zuvor im Rahmen einer Patientenverfügung hinterlegten Patientenwillen das Anpassen der Therapie an die Prognose vereinbart, sodass insgesamt 61,7 % der Patienten an den direkten Folgen ihrer Schädelverletzung verstarben. 11,7 % verstarben an pulmonalen Komplikationen, 10 % im MOV und 6,7 % an nicht-beherrschbaren Hirndrücken unter Maximaltherapie. Bei den Verletzten ohne Schädelhirnverletzung waren die häufigsten Todesursachen das MOV, pulmonale Komplikationen sowie auch die Verletzung selbst, der bei infauster Prognose und dokumentierter Patientenverfügung nicht mehr entgegengewirkt wurde.

Das Multiorganversagen, das bei den Nicht-Schädelverletzten signifikant häufiger war, wurde in keiner Gruppe überlebt.

Hinsichtlich des Outcomes (Abb. 5) gemäß Glasgow Outcome Scale zeigten sich nur geringe Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Ein Drittel der Patienten verstarben an den Folgen ihres Polytraumas, unabhängig von ihrer Gruppe. Von den Nicht-Schädelverletzten konnten 19,4 % gut erholt entlassen werden, in der Gruppe mit Schädel-Hirn-Trauma nur 17,4 %. 22,2 % der Nicht-Schädelverletzten blieben schwerbehindert, wobei zu dieser Gruppe vor allem Querschnittverletztungen zählen, bei den Schädelverletzten war der Anteil der Schwerbehinderten mit 18,4 % zwar geringer, aber dafür gab es in dieser Gruppe 3,7 % Nicht-Ansprechbare, was bei Nicht-Schädelverletzten nicht vorkam. Einen signifikanten Unterschied zwischen den Schädelhirnverletzten und den Nicht-Schädelhirnverletzten gab es jedoch bei der Entlassung nach Hause: Von den Nicht-Schädelhirnverletzten konnten 20,4 % nach dem stationären Aufenthalt nach Hause entlassen werden, in der Schädel-Hirn-Trauma-Gruppe jedoch nur 7,4 %.

Diskussion

Diese Studie zeigt, dass ältere Menschen nach einer Polytraumatisierung zwar ein deutlich schlechteres Outcome haben als die jüngere Kontrollgruppe, dass aber auch in dieser Gruppe ein Fünftel der Patienten gut erholt entlassen werden konnte.

Polytraumatisierte Patienten unter 60 Jahren hatten in unserer Klinik eine Mortalität von 8,4 % bei einem Durchschnitts-ISS von 27 Punkten [4]. Von den Patienten über 74 Jahren verstarben jedoch ein Drittel an den Folgen ihres Polytraumas, obwohl sie einen signifikant niedrigeren Durchschnitts-ISS mit 24,8 Punkten hatten. Dieser Anstieg der Mortalität zeigte sich auch in zahlreichen anderen Studien [5–9]. So lag z.B. in der prospektiven Studie von Grzalja et al. die Mortalitätsrate für Patienten unter 65 Jahren bei 12 % und stieg bei den Älteren auf 31 % an [6]. Dieser Anstieg der Mortalität bei älteren Patienten scheint multifaktoriell zu sein. Verminderte physiologische Reserven und Ko-Morbiditäten spielen hierbei eine wichtige Rolle. Soles et al. [5] beschäftigten sich in einem Review ebenfalls mit dem geriatrischen Polytrauma und fanden hierbei, dass Leber- und Nierenfunktionsstörungen, Krebs sowie Herzerkrankungen die höchste Assoziation mit der Mortalität zeigten. Zusätzlich sind ältere Menschen auch bei normalem Body Mass Index (BMI) oft sarkopenisch, worin Moisey et al. einen Risikofaktor für eine höhere Mortaliät sehen [10]. Dies erklärt sich auf der einen Seite aus der Tatsache, dass Skelettmuskulatur entscheidend ist für die Mobilität des Menschen, die Proteinsynthese sowie auch für das Immunsystem. Auf der anderen Seite ist Sarkopenie in der Regel die Folge längerer Immobilisation, welche sich wiederum häufiger bei Patienten mit Ko-Morbiditäten findet. Dies spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass die sarkopenischen Patienten eine höhere Inzidenz hatten für Stürze aus dem Stand heraus [10].

Auch in unserer Studie zeigte sich der Sturz aus dem Stand heraus als der führende Unfallmechanismus bei den älteren Patienten. Vor allem in der Gruppe der Patienten, die sich führend ein Schädel-Hirn-Trauma zuzogen, war der Sturz mit 59,5 % der vorherrschende Unfallmechanismus. Bei den Patienten ohne begleitendes Schädel-Hirn-Trauma teilten sich der Sturz aus niedriger Höhe zusammen mit dem Autounfall den ersten Platz der Unfallmechanismus-Statistik (27,8 %). Die Vorherrschaft des Sturzes aus niedrigerer Höhe bei geriatrischen Polytrauma-Patienten zeigte sich auch in zahlreichen anderen Studien [2, 3, 5, 6]. Im Gegensatz dazu erlitten die meisten jüngeren Patienten ihre Polytraumatisierung im Rahmen von Verkehrsunfällen. Mit steigendem Alter kommt es in der Regel zu einem Visusverlust sowie zu einer herabgesetzten Koordination. Des weiteren nimmt die Häufigkeit von Synkopen zu, und besonders bei Diabetikern lässt auch noch die Propriozeption nach, was alles zusammen das Risiko für Stürze erhöht. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Schutzreflexe bei Älteren oft nachlassen, was die Verletzungsschwere bei einem Sturz erhöht. Clement et al. untersuchten Stürze beim alten Menschen, und sie fanden eine höhere Mortaliät bei den Patienten, die Frakturen des Beckens, des proximalen Humerus oder des proximalen Femurs erlitten. Sie mutmaßten, dass Patienten mit reduzierten Schutzreflexen häufiger proximale Extremitätenverletzungen erlitten, wohingegen Menschen in besserem Allgemeinzustand noch versuchen, eine Sturz abzufangen und sich dabei eher eine distale Radiusfraktur zuziehen [2].

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