Originalarbeiten - OUP 05/2012

Das rheumatische Schultergelenk
Rheumatoid arthritis of the shoulder joint

M. Holder1, M. Henniger1, A. Schöniger1, S. Rehart1

Zusammenfassung: Im Verlauf der rheumatischen Grunderkrankung kommt es regelhaft zu einer Mitbeteiligung des Schultergelenkes. Dies wird in der subjektiven Wahrnehmung des Patienten häufig vernachlässigt, da Symptome an anderen Gelenken im Vordergrund stehen. Der fortlaufende rheumatische Entzündungsprozess intra- und periartikulär führt zu einer progredienten Destruktion des Gelenkes und der Rotatorenmanschette. Nach Ausreizen der konservativen Therapie mit systemischer medikamentöser Basistherapie, Physio- und Ergotherapie, lokal symptomatischer Therapie und intraartikulärer Glukokortikoidinjektion sollte frühzeitig die operative Therapie in Erwägung gezogen werden. Insbesondere in frühen Stadien (LDE 0–3) kann durch Synovektomie und Versorgung von Begleitpathologien der Entzündungsprozess aufgehalten und die Beschwerdesymptomatik verbessert werden. Bei fortlaufender Krankheitsaktivität sollte mit der endoprothetischen Versorgung nicht zu lange gewartet werden, weil die progrediente Destruktion insbesondere der Rotatorenmanschette eine Alloarthroplastik erschwert und zu schlechten Ergebnissen führt.

Schlüsselwörter: Rheumatoide Arthritis, Omarthritis, Schulter, Schulterendoprothese

Abstract: During the course of rheumatic disease the shoulder joint is frequently involved. Since the symptoms of other joints are in focus, the shoulder is often neglected by the patients. The current intra- and periarticular rheumatic inflammation process causes the progressive destruction of the joint and the rotator cuff. After insufficient conservative therapy combining basic therapeutic drugs, physio- and ergo therapy, local symptomatic therapy and intra articular glucocorticoidinjection, the surgical therapy should be considered in early stages of destruction (LDE 0–3). Especially in early stages the inflammatory process can be reduced by synovectomy and surgical management of additional pathologies. In case of persisting disease activity the progressive destruction of the rotator cuff could complicate an alloarthroplasty, therefore it should be considered in an earlier stage of disease.

Keywords: rheumatoid arthritis, omarthritis, shoulder, shoulder endoprosthesis

Einleitung

Eine Affektion des Schultergelenkes im Rahmen einer rheumatischen Grunderkrankung ist häufig und kommt vor allem im fortgeschrittenen Krankheitsstadium vor. In einigen Arbeiten wird die Schultergelenkbeteiligung bei der rheumatoiden Arthritis mit bis zu 85% beziffert [1]. Für den Rheumatiker stehen zunächst Symptome an anderen Gelenken wie Händen oder der unteren Extremität im Vordergrund, Schulterbeschwerden dagegen werden in der subjektiven Krankheitswahrnehmung eher vernachlässigt. Die Symptome sind zu Beginn unspezifisch und entwickeln sich langsam, Schmerzen und Funktionseinschränkungen der Schulter können lange kompensiert werden. Frühe entzündliche Veränderungen der umgebenden Weichteile führen zu einer progredienten Zerstörung des Gelenkes [2]. Eine lokale Behandlung erfolgt oft erst im fortgeschrittenen Stadium der Destruktion und führt dann zu der Notwendigkeit einer endoprothetischen Versorgung [3].

Sehr häufig (70–95%) kommen rheumatische Schulterbeschwerden bei der Polymyalgia rheumatica vor. Bei dieser, nach der rheumatoiden Arthritis zweithäufigsten rheumatischen Autoimmunerkrankung des höheren Lebensalters [4] kommt es oft zu einem Befall beider Schultergelenke, es zeigen sich starke Schmerzen sowie eine ausgeprägte Morgensteifigkeit. Mittels Kortikoidtherapie ist die Symptomatik meistens suffizient beherrschbar.

Dieser Beitrag soll diagnostische Möglichkeiten sowie konservative und operative Therapieoptionen des im Rahmen einer rheumatischen Grunderkrankung betroffenen Schultergelenkes skizzieren.

Diagnostik

Eine strukturierte Anamnese sowie eine zielgerichtete klinische Untersuchung stehen zu Beginn der diagnostischen Bemühungen. Wichtig sind insbesondere die Erfragung von Schmerzort, Schmerzausstrahlung, Schmerzverstärkung, Schmerzabschwächung und Schmerzdauer. Insbesondere Schmerzen, deren Ursprung in der Halswirbelsäule liegt, sollten von Schulterbeschwerden differenziert werden. Bei einer Schmerzursache in der Halswirbelsäule kommt es häufig zu beidseitigem Auftreten, einer radikulären Symptomatik und Hyposensibilitäten. Weiter sollte gezielt nach Voroperationen und nach intraartikulären oder subakromialen Injektionen gefragt werden. Eine septische Arthritis im Bereich des Schultergelenkes ist eine wichtige Differenzialdiagnose zur rheumatischen Schulter und kann vom klinischen Aspekt oft nicht eindeutig abgegrenzt werden. Insbesondere bei bestimmten Prädispositionen wie Steroid- oder Immunsuppressiva-Behandlung, Diabetes mellitus, maligner Grunderkrankung oder Drogenabusus sollte diese Krankheitsentität immer in Betracht gezogen werden.

Mit einem standardisierten klinischen Untersuchungsgang kann eine Verdachtsdiagnose gestellt werden, die dann mittels weiterer apparativer Instrumente verifiziert wird.

Die klinische Untersuchung beginnt mit der Inspektion der Schulter am entkleideten Patienten. Es sollte auf Schulterasymmetrie, Muskelatrophie, Rötung oder Schwellung geachtet werden. Dann sollten gezielt die anatomischen Landmarken der Schulter palpiert werden. Wichtig sind insbesondere das AC-Gelenk, das Akromion, Tuberculum majus und minus, der Prozessus coracoideus sowie die lange Bizepssehne. Hieran schließt sich die Prüfung der Schulterbeweglichkeit an. Eine erste Orientierung bieten Schürzen- und Nackengriff, danach sollte gezielt das aktive und passive Bewegungsausmaß in allen drei Bewegungsebenen untersucht und mittels Neutral-Null-Methode dokumentiert werden. Weiter folgen Impingementtests, Funktionstests der Rotatorenmanschette, Provokationstests von AC-Gelenk und langer Bizepssehne sowie die Überprüfung der Schulterstabilität. In vielen Fällen kann so eine differenzierte Verdachtsdiagnose gestellt werden, insbesondere die Funktion der Rotatorenmanschette kann mittels standardisiertem Untersuchungsgang bereits klinisch suffizient beurteilt werden.

Neben der klinischen Symptomatik führt die bildgebende Diagnostik zu den entscheidenden Informationen und ist damit für die Therapieplanung richtungsweisend.

Als kostengünstiges und schnelles Verfahren wird zur Darstellung von Weichteilveränderungen zunächst die Sonografie eingesetzt. Hiermit können Gelenkerguss, Synovialitis, Bursitiden, die lange Bizepssehne und die Rotatorenmanschette beurteilt werden. Ein weiterer Vorteil der Arthrosonografie ist die Möglichkeit der dynamischen Untersuchung.

Standarduntersuchung zur Darstellung der knöchernen Strukturen ist das konventionelle Röntgenbild in zwei Ebenen. Hiermit lassen sich Gelenkstellung, Gelenkspalt, Verkalkungen, Erosionen und Sklerosierungen darstellen. Anhand des Röntgenbildes kann eine Einstufung der Gelenkveränderungen mit der Klassifikation nach Larsen, Dale und Eek vorgenommen werden (LDE, s. Tab. 1). Im Verlauf einer rheumatischen Erkrankung ist das Aufhalten der radiologischen Progression ein Beurteilungskriterium bei der antirheumatischen medikamentösen Therapie [5]. Weiter ist der radiologische Ausgangsbefund für die Planung einer operativen Therapie unentbehrlich.

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