Industrie und Handel - OUP 07-08/2015

Der Chirurg am Puls der Zeit – Updates zu Operationstechniken, Antikoagulation und Leitlinien
Aktuelles für Chirurgen und Orthopäden: „Das Blaue Skalpell 2015“

Auf kritische Aspekte der DOAK ging PD Dr. Christoph Sucker aus dem Gerinnungszentrum Berlin in seinem Vortrag ein. Er hinterfragte zunächst die Zielsetzung, die zur Entwicklung der DOAK geführt habe. Dies waren eine verbesserte Wirksamkeit, eine größere Sicherheit, vor allem mit Sicht auf Blutungskomplikationen, sowie eine bessere Praktikabilität. In welchem Umfang diese Ziele verwirklicht wurden und welche Probleme im klinischen Alltag mit den Substanzen auftreten, erläuterte PD Sucker indem er die pharmakologischen Daten der DOAK darstellte. Dabigatran weist eine orale Bioverfügbarkeit von nur 6,5 % auf, d. h. ca. 93,5 % der Substanz würden nicht zur Wirkung kommen, müssten jedoch verstoffwechselt werden. Die renale Elimination liegt bei 80 %. Hier betonte der Referent die mögliche Problematik einer Akkumulation bei eingeschränkter Nierenfunktion. Die vom Hersteller beworbene Einmalgabe von Rivaroxaban sei vor dem Hintergrund einer Halbwertszeit von 5–9 h kritisch zu betrachten. Was geschehe wohl, so der Berliner Gerinnungsmediziner, wenn der Patient das Medikament einmal vergessen würde? Seien dann nicht erhebliche Einbußen in der Wirksamkeit unausweichlich? Wichtig sei hier auch zu wissen, dass viele Patienten von Vitamin-K-Antagonisten mit dem Argument auf DOAK umgestellt werden, ihre Compliance sei problematisch und die Patienten seien schlecht zu führen. Aber ist es realistisch anzunehmen, so der Referent, dass genau diese Patienten nach der Therapieumstellung eine der neuen Substanzen regelmäßig einnehmen würden? Bei Dabigatran sei sogar eine zweimal tägliche Einnahme erforderlich.

Weitere Bedenken bestehen hinsichtlich der Blutungsraten, z. B. bei nicht-chirurgischen Patienten. Rivaroxaban zeigte in den Zulassungsstudien im Vergleich mit Enoxaparin zwar eine etwas höhere Wirksamkeit im Hinblick auf die Vermeidung thromboembolischer Ereignisse, allerdings gehe dies mit einer deutlichen Steigerung des Blutungsrisikos einher. Dr. Sucker wies an dieser Stelle auf die MAGELLAN-Studie von Rivaroxaban und die ADOPT-Studie von Apixaban hin [7, 8]. Hier habe sich die Blutungsgefahr bestätigt und entsprechend eng sei derzeit das Zulassungsspektrum der DOAK (Abb. 3).

Aufgrund dieser Ergebnisse besteht derzeit keine Zulassung der DOAK für die Thromboseprophylaxe bei internistischen Patienten. Das Thema der Blutungskomplikationen ist allerdings nicht auf diese Patienten beschränkt. PD Sucker verwies auf eine Statistik des Bundesamtes für Arzneimittelsicherheit aus der hervorgeht, dass deutlich häufiger Nebenwirkungen bedingt durch DOAK gemeldet werden als solche, die durch Phenprocoumon verursacht werden [9]. So gehen zwei Drittel der im Zeitraum von 2010–2013 gemeldeten Nebenwirkungen zulasten der DOAK. Dies gilt auch für die gemeldeten Blutungskomplikationen (Abb. 4). Im Jahr 2013 entfielen bei einem Marktanteil von nur 27 % insgesamt knapp 87 % aller Nebenwirkungen und vergleichbar viele Blutungsereignisse auf diese Medikamente.

Auch in den zugelassenen Indikationen sind DOAK für viele Patienten nicht ausreichend evaluiert, so z. B. für die Behandlung tumorassoziierter, paraneoplastischer Thrombosen und für Patienten mit komplexen Gerinnungsstörungen, wie z. B. dem Antiphospholipidsyndrom. Für Patienten mit valvulärem Vorhofflimmern sowie für Patienten mit mechanischen Herzklappen bestehen keine Zulassungen für DOAK.

In den Zulassungsstudien von Dabigatran und Apixaban hatten über 30 % der eingeschlossenen Patienten einen CHADS2-Score von 0–1. Im klinischen Alltag würden solche Patienten aus ethischen Gründen jedoch keine Thromboseprophylaxe erhalten. Dies sei nicht zu rechtfertigen, so der Referent, da man Patienten immer auch einem gewissen Blutungsrisiko aussetze.

PD Sucker führte aus, dass bei einer Reihe von Begleiterkrankungen die Anwendung der DOAK Probleme bereiten könne. Insbesondere bei Dabigatran besteht bereits bei einer mittelgradigen Einschränkung der Nierenfunktion mit einer glomerulären Filtrationsrate von 30–50ml/min die Gefahr einer Kumulation des Wirkstoffes. Bei Rivaroxaban und Apixaban besteht diese Gefahr bei stärkerer Beeinträchtigung der Nierenfunktion. Auch bei Einschränkungen der Leberfunktion sind die DOAK ab einem gewissen Grad kontraindiziert. Letztlich war die Rate gastrointestinaler Blutungen in den genannten Studien teils stark erhöht [10].

Auch kann das Thema der fehlenden spezifischen Antagonisierung wichtig werden. Cumarinderivate weisen durch die Gabe von Vitamin-K eine etablierte spezifische Antagonisierbarkeit und durch die Gabe von PPSB eine effektive Reversibilität auf. Ein solches Antidot existiere für die DOAK jedoch nicht und Rivaroxaban und Apixaban seien auch nicht dialysabel. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Labormonitoring der Serumspiegel für diese Substanzen nicht vorgesehen ist.

PD Dr. Sucker schloss mit der Bemerkung „Innovation ist nicht immer Fortschritt“.

Literatur

1. Kohl S et al. Injury 2015; 46(4): 724?728

2. Rodriguez LA et al. BMJ 2011; 19: 343

3. Burger W et al. J intern Med 2005; 257: 399?414

4. Gerstein NS et al. Ann Surg 2012; 255: 811?819

5. Heidbuchel H et al. European Heart Journal 2013; 34: 2094?2106

6. Waurick Ket al. Anästh Intensivmed 2014; 55: 464?492

7. Cohen AT et.al. N Engl J Med 2013; 368: 513?523

8. Goldhaber SZ et.al. N Engl J Med 2011; 365(23): 2167?2177

9. Website: http://nebenwirkung.bfarm.de/apex/f?p=100:1:0

10. Holster IL et al. Gastroenterology 2013; 145(1): 105?112

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