Übersichtsarbeiten - OUP 01/2015

Diagnostik und Behandlung des Polytraumas im Kindesalter

Das Schockraummanagement unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von dem des Erwachsenen. Es sollte in Anlehnung an das für Erwachsene entwickelte ATLS-Konzept („advanced trauma life support“) nach eingeübten Algorithmen und festgelegten therapeutischen und diagnostischen Standards erfolgen [13].

Bildgebung

Bezüglich der Bildgebung unterscheidet sich das Vorgehen im Schockraum von dem Erwachsenenalgorithmus. Obligat erfolgt direkt nach der Übergabe und Umlagerung des Patienten wie beim Erwachsenen zur Beurteilung des Abdomens und des Thorax eine Sonografie in der sog. FAST-Technik („focussed assessment with sonography for trauma“). Mit hoher Sensitivität lassen sich hierbei freie Flüssigkeit und Läsionen der Leber oder der Milz nachweisen, darüber hinaus Pleura- und Perikardergüsse. Zeigt sich keine freie Flüssigkeit, so schließt dies eine Organverletzung nicht definitiv aus. Weiterhin müssen gerade bei Vorliegen von Gurt- oder Prellmarken andere abdominelle Verletzungen wie Darmrupturen in Betracht gezogen werden [14].

Weiterhin sollte standardmäßig eine Röntgenaufnahme des Thorax und bei entsprechendem Unfallmechanismus auch des Beckens erfolgen, wobei beim Säugling zum Strahlenschutz eine Übersichtsaufnahme auf einer Platte ausreicht. Die Röntgenaufnahmen liefern einen ersten Überblick über die Beatmungssituation, einen möglichen Pneumothorax oder schwerwiegende Beckenfrakturen.

Hingegen sollte die Indikation zur Durchführung einer CT-Untersuchung beim Kind individuell anhand des Unfallmechanismus und des möglichen Verletzungsmusters sowie aller bis dahin erhobenen Untersuchungsbefunde gestellt werden. Obwohl eine Ganzkörper-CT heutzutage nach etablierten Kinderprotokollen mit erheblicher Strahlenreduktion unter Berücksichtigung der Körpergröße und des Gewichts möglichst strahlungsarm als kontrastmittelgestützte Mehrschicht-CTs (MSCT) des Schädels, Thorax, Abdomens und Beckens (Traumaspirale) erfolgt, ist trotzdem von einer Gefahr durch die ionisierende Strahlung auszugehen [15, 16]. Diese kann durch den überlegten Einsatz der CT reduziert werden.

Die standardmäßige Durchführung einer CT beim Kind ist nach wie vor Thema zahlreicher kontroverser Diskussionen. Offensichtlich schwer und multipel verletzte Kinder, insbesondere bei klinischem Verdacht auf ein relevantes Schädel-Hirn-Trauma (GCS unter 15) muss eine Schädel- oder Ganzkörper-CT zügig durchgeführt werden, weil nur die schnelle Diagnostik hier lebensrettend sein kann. Eine klare Indikation für die CT ergibt sich beim intubierten und neurologisch nicht beurteilbaren Kind vor allem bei einem entsprechenden Unfallmechanismus bzw. bei vorbeschriebener Vigilanzminderung.

Einer Studie zufolge ist eine CT-Untersuchung allein aufgrund des Unfallmechanismus ohne gleichzeitig vorliegende GCS-Veränderung, Vitalzeichenveränderung oder auffälligen klinischen Befund nicht gerechtfertigt [17]. In der Zusammenschau der Befunde kann beim wachen und beurteilbaren Kind mit negativem Untersuchungsbefund und unauffälliger Sonografie sowie Röntgendiagnostik auf eine CT-Diagnostik verzichtet werden, wenn jedoch eine stationäre Überwachung mit intensivem Monitoring gewährleistet ist.

Schädel-Hirn-Trauma

Nach wie vor stellt das Schädel-Hirn-Trauma die häufigste Todesursache im Kindesalter dar und ist für die Gesamtprognose entscheidend. Im Rahmen eines Polytraumas ist der Kopf in bis zu 78 % der Fälle beteiligt, was im Vergleich zum Erwachsenenkollektiv deutlich häufiger ist (TR). Im Alter von 0–5 Jahren führt vor allem das ungünstige Kopf-Körper-Verhältnis sowie die verhältnismäßig schwache Nackenmuskulatur, gepaart mit noch nicht ausgebildeten Schutzmechanismen, dazu, dass bereits geringe Traumata im Kopfbereich zu schwerwiegenden Verletzungen führen können. Die noch dünne, nicht verknöcherte Schädeldecke kann keinen ausreichenden Schutz für das Gehirn bieten, sodass bereits primär intrakranielle Verletzungen sowie Impressionsfrakturen des Schädels entstehen können. Auch besteht durch die noch nicht ausgereifte Blut-Hirn-Schranke eine ausgeprägte Neigung zu Ödemen, sodass in bis zu einem Drittel der Fälle mit der Ausbildung diffuser Hirnödeme als sekundärer Schädigung zu rechnen ist. Eine Hypoxie im Rahmen einer respiratorischen Insuffizienz wie auch eine Hypotonie aufgrund eines hämorrhagischen Schocks sollten möglichst vermieden werden. So sollten Vigilanz-geminderte und/oder somnolente Kinder mit Verdacht eines schweren Schädel-Hirn-Traumas präklinisch frühzeitig intubiert werden [18].

Die Behandlung von Kindern mit einer Schädel-Hirn-Verletzung erfordert ein intensives Neuromonitoring mit aggressiver hirndrucksenkender Therapie. Ab einem GCS unter 9 Punkten ergibt sich die Indikation für die Anlage einer Hirndrucksonde, um eine adäquate Beurteilung zu gewährleisten. Gelingt es durch konservative Maßnahmen nicht, einen ausreichenden Perfusionsdruck des Gehirns aufrecht zu erhalten, sollte eine zügige operative Entlastung in Erwägung gezogen werden (Abb. 2). Wenn auch nicht eindeutig bewiesen, so zeigt sich in den letzten Jahren ein eindeutiger Trend zur frühzeitigen dekompressiven Hemikraniektomie, um morphologische und sekundäre Hirnschäden zu vermeiden [19, 20]. Dank der Plastizität des kindlichen Gehirns ergibt sich hierdurch im Langzeitverlauf häufig ein besseres Outcome. Dritthäufigste Ursache eines Schädel-Hirn-Traumas im Säuglingsalter ist das Shaken-infant-Syndrom (auch „battered child“ oder „non-accidental trauma“) durch Kindesmisshandlung, bei dem die abwechselnden Akzelerations-/Dezelerationskräfte zu einem diffusen axonalen Scherschaden, subduralen Einblutungen und entsprechender Hirnödembildung führen.

Thoraxtrauma

Der Thorax ist im Rahmen eines Polytraumas beim Kind deutlich seltener betroffen als im Erwachsenenkollektiv, dennoch stellt das Thoraxtrauma nach dem schweren Schädel-Hirn-Trauma eine relevante Verletzung dar. Aufgrund der Elastizität des kindlichen Thorax und der damit verbundenen erhöhten Compliance werden die auf den Brustkorb wirkenden Kräfte weniger von diesem abgefangen, sondern eher nach intrathorakal geleitet. Somit kommt es durch Scher- und Kompressionkräfte zu Lungenkontusionen (Abb. 3), Hämato- und/oder Pneumothoraces sowie möglichen Parenchymschäden. Eine Seltenheit und immer ein Indikator für das Vorliegen einer schweren Thoraxverletzung sind hingegen Rippenfrakturen. Ein klinisch stabiler Thorax ohne äußere Verletzungszeichen schließt somit das Vorliegen einer Thoraxverletzung nicht aus, viel wichtiger sind Auskultation, Atemfrequenz und Vitalparameter sowie die bildgebende Diagnostik. Ein vorliegender Pneumothorax sollte wie beim Erwachsenen zügig entlastet werden. Dies sollte immer unter digitaler Kontrolle und nie über Mamillenhöhe erfolgen. Die Tubusgröße ist anzupassen [18, 21].

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