Übersichtsarbeiten - OUP 11/2019

Diagnostische und therapeutische Interventionen an der Lendenwirbelsäule
Eine evidenzbasierte Darstellung

Markus Schneider, Stephan Klessinger

Zusammenfassung:

An der Lendenwirbelsäule werden eine Vielzahl von Interventionen und Injektionen durchgeführt, die häufig als paravertebrale oder wirbelsäulennahe Injektionen bezeichnet werden. Auch wird gerne die Abkürzung PRT als Überbegriff verwendet. Allerdings werden mit den verschiedenen verfügbaren Techniken unterschiedliche diagnostische oder therapeutische Ziele verfolgt. In diesem Artikel sollen die vorhandenen evidenzbasierten Techniken getrennt nach diagnostischen und therapeutischen Verfahren vorgestellt werden.

Schlüsselwörter:
Wirbelsäule, Injektionen, PRT, epidural, Nervenwurzel, Facettengelenk, Radiofrequenz-Denervation

Zitierweise:

Schneider M, Klessinger S: Diagnostische und therapeutische Interventionen
an der Lendenwirbelsäule. OUP 2019; 8: 523–527

DOI 10.3238/oup.2019.0523–0527

Summary: A variety of interventions and injections are performed on the lumbar spine, often referred to as paravertebral or spinal injections. Also, in Germany the abbreviation PRT is often used as a generic term. However, the different techniques available have different diagnostic or therapeutic goals. In this article, the existing evidence-based techniques will be presented separately according to diagnostic and therapeutic procedures.

Keywords: spine, injection, transforaminal, epidural, nerve root, facet joint, radiofrequency-denervation

Citation: Schneider M, Klessinger S: Diagnostic and therapeutic utility of lumbar interventions.
OUP 2019; 8: 523–527 DOI 10.3238/oup.2019.0523–0527

Markus Schneider, Stephan Klessinger: Neurochirurgie Biberach

Diagnostische Verfahren

Lange Zeit bestand die Ansicht, dass insbesondere chronische Rückenschmerzen in den meisten Fällen unspezifisch sind. In den letzten Jahren fand sich jedoch eine gute Evidenz dafür, dass sich bei den meisten Patienten eine Schmerzursache definieren lässt [4]. So können die Gelenke der Wirbelsäule ebenso schmerzhaft sein wie andere Gelenke im Körper auch. Sowohl die Facettengelenke als auch das ISG kommen als Schmerzursache in Frage. Zudem ist ein diskogener Schmerz bei jüngeren Patienten eine häufige Ursache. Von den nozizeptiven Lumbalgien sind radikuläre (neuropathische) Beschwerden streng zu unterscheiden.

Diese oben genannten spezifischen Schmerzursachen sind Ende 2017 in die deutsche Leitlinie „Spezifischer Kreuzschmerz“ eingegangen. Eine spezifische Diagnostik der unterschiedlichen Schmerzursachen ist nicht nur möglich, sondern wird gefordert [3], damit auch spezifisch therapiert werden kann.

Grundsätzlich unterscheiden sich diagnostische Interventionen von therapeutischen dadurch, dass zur Diagnosestellung ausschließlich Lokalanästhetika (keine Steroide) in möglichst geringer Menge benutzt werden, um eine spezifische Wirkung an der Zielregion zu erreichen.

Radikuläre Beschwerden

Eine Unterscheidung zwischen radikulären und pseudoradikulären Beschwerden ist oftmals durch Anamnese und klinische Untersuchung möglich. Dennoch kann eine diagnostische Information wichtig werden, wenn z.B. vor einer Operation bestimmt werden muss, welche Nervenwurzel symptomatisch ist. Es kann dann eine transforaminale Injektion mit einer kleinen Menge von ausschließlich Lokalanästhetikum durchgeführt werden. Die Technik entspricht der unten beschriebenen PRT, allerdings ohne Steroide.

Diskogener Schmerz

Ein diskogener Schmerz kann mittels einer Provokationsdiskografie gesichert werden, allerdings gibt es aktuell keine evidenzgesicherte Therapie für diskogenen Schmerz.

Facettengelenkschmerzen

Bezüglich der Facettengelenkschmerzen existieren sowohl eine gute diagnostische Intervention als auch therapeutische Möglichkeiten. Die Häufigkeit von Facettengelenkschmerzen ist altersabhängig. Beträgt die Prävalenz bei einem 40-Jährigen nur ca. 18 %, so liegt sie bei einem 50-Jährigen schon bei ca. 30 % und bei einem 65-Jährigen bei ca. 45 % [4].

Die Symptomatik ist ein typischer nozizeptiver Schmerz, der oft gut lokalisiert ist, aber auch in Richtung Gesäß, Hüfte und Oberschenkel (pseudoradikulär) ausstrahlt. Typisch für Gelenkschmerzen ist ein Anlaufschmerz (Lumbalgien morgens beim Aufstehen und beim Anziehen der Strümpfe) sowie nach längerem Sitzen. Auch Reklination und Rotation können schmerzverstärkend sein. Ein „Hexenschuss“ (ein akuter, immobiliserender Schmerz) kann durch ein Blockieren eines Facettengelenks, z.B. durch Dislokation des Meniscoids, erklärt werden [8].

Da es anamnestisch keine klaren Hinweise für einen Facettengelenkschmerz gibt und auch keine klinische Untersuchung existiert, die diese Schmerzursache beweist, muss die Diagnose mittels einer Intervention gesichert werden. Bildgebende Verfahren (Röntgen, CT, MRT) zeigen häufig Veränderungen an den Gelenken und können helfen, die korrekte Etage für die interventionelle Diagnostik auszuwählen (Abb. 1). Eine Korrelation zwischen MRT-Befund und schmerzhaftem Facettengelenk findet sich jedoch nicht [5, 9, 10]. Die degenerativen Veränderungen der Gelenke finden sich auch bei asymptomatischen Probanden [15].

Zur Diagnosesicherung eines Facettengelenkschmerzes wird die Innervation des betroffenen Gelenks durch Lokalanästhesie blockiert. Ist das Gelenk die Schmerzursache, so resultiert eine kurz andauernde Schmerzfreiheit des Index-Schmerzes (also des Gelenkschmerzes, nicht noch ggf. zusätzlich vorhandener andere Schmerzen, z.B. der Hüftgelenke). Jedes Facettengelenk wird von 2 Ästen aus dem Ramus dorsalis, der aus dem Spinalnerven entspringt, versorgt (Abb. 2). Diese Äste werden „Medial Branch“ genannt, das diagnostische Verfahren demnach „Medial Branch Block“ (MBB). Selbstverständlich müssen beide Medial Branches blockiert werden. Erreichbar ist der Medial Branch an der Verbindung von Processus articularis superior und Processus transversus. Unter Durchleuchtungskontrolle wird eine Nadel exakt an die Position gebracht, wo der Nerv verläuft (Abb. 3). Mit einer möglichst geringen Menge von Lokalanästhesie (0,1–0,3 ml) wird ein selektiver Nervenblock durchgeführt.

Wichtig ist nun die Auswertung der Patientenangaben. Idealerweise sollte eine Schmerzreduktion von 100 % der Index-Schmerzen angegeben werden. Oft wird aber auch 80 % Schmerzreduktion akzeptiert. Da sich eine hohe Falsch-positiv-Rate von 25–48 % [1, 16] findet, ist ein singulärer MBB nicht ausreichend. Es ist die Durchführung kontrollierter MBBs (jeweils ein MBB an 2 verschiedenen Tagen) oder besser vergleichender MBB (an 2 Tagen mit 2 verschieden lang wirksamen Lokalanästhetika) gefordert.

Therapeutische Verfahren

Radiofrequenz-Denervation

Nach Sicherung der Diagnose eines Facettengelenkschmerzes durch korrekte Durchführung von kontrollierten MBBs, ist die Denervation der Facettengelenke die direkte therapeutische Konsequenz. Für die Kryodenervation existiert nur wenig Literatur und somit auch nur wenig Evidenz. International sehr gut untersucht ist hingegen die Radiofrequenz-Denervation, bei der der Medial Branch mittels Hitze koaguliert wird. Es wird also nicht die Schmerzursache behandelt, sondern die Schmerzweiterleitung langfristig unterbrochen. Der Erfolg dieses Verfahrens ist davon abhängig, dass eine möglichst lange Strecke des Nervs ausgeschaltet wird. Dies wird durch Wahl der Temperatur, der Dauer der Wärmeeinwirkung und durch die Dicke der Nadel (eine dickere Nadel erzeugt ein größeres Feld, empfohlen wird 18 G oder 16 G) erreicht. Ganz besonders wichtig ist aber die Anwendung einer korrekten Technik mit parallel zum Nerven liegender Nadel, damit eine lange Strecke denerviert wird (Abb. 4). Gegebenenfalls muss daher eine Hauteinstichstelle weit kaudal vom Zielpunkt gewählt werden (Abb. 5). Die Nadelposition muss unter Durchleuchtung dokumentiert werden (Abb. 6).

Gute Ergebnisse sind bei guter Patientenauswahl und korrekter Technik zu erwarten. In der Leitlinie „Spezifischer Kreuzschmerz“ [6] findet sich 100 % Konsens, dass die Radiofrequenz-Denervation bei Patienten mit Facettengelenkschmerzen erwogen werden kann. Bei der Auswertung der vorhandenen Literatur muss genau darauf geachtet werden, wie die Indikationsstellung (Patientenauswahl) erfolgte und welche Technik (Nadellage parallel oder orthograd) angewendet wurde. Exemplarisch sollen 2 aktuelle Studien erläutert werden.

Die recht aktuelle MINT-Studie aus Holland [7] erbrachte bei 681 Patienten keinen Vorteil der Radiofrequenz gegenüber rein konservativer Therapie. Allerdings wurden nur einmalige MBBs durchgeführt (nicht kontrollierte oder vergleichende MBBs), und es wurde nur 50 % Schmerzreduktion als Einschlusskriterium verwendet. Somit bestand eine hohe falsch-positive Rate, und Patienten ohne Diagnose eines Facettengelenkschmerzes wurden mit der Radiofrequenz-Denervation behandelt. Zudem wurde eine sehr dünne Nadel verwendet (22 G), die ein nur halb so großes Wärmefeld erzeugt im Vergleich zu einer 18-G-Elektrode. Eine parallele Nadellage wurde nicht beachtet.

Im Gegensatz dazu finden sich bei der Studie von MacVicar et al. [12] sehr strenge Einschlusskriterien und auch strenge Erfolgskriterien. So wurden nur Patienten eingeschlossen, die 100 % Schmerzreduktion des Index-Schmerzes nach 2 vergleichenden MBBs hatten. Es wurde streng auf eine parallele Nadellage geachtet. Als erfolgreich wurde eine Behandlung nur gewertet, wenn der Patient schmerzfrei war, zudem keine Schmerzmedikation benötigte und wieder voll in das Arbeitsleben eingegliedert war. Nach diesen Kriterien war die Radiofrequenz-Denervation bei 56 % der 106 Patienten nach 6 Monaten erfolgreich (Wirkdauer der ersten Denervation 15 Monate, bei Wiederholung 13 Monate).

Transforaminale Injektion (PRT)

Radikuläre Schmerzen oder eine Radikulopathie, bei der es zu einer Fehlfunktion (Sensibilitätsstörung oder Parese) der Nervenwurzel kommt, sind die einzige Indikation für eine PRT. Die Abkürzung meint nämlich periradikuläre Therapie, also eine Applikation von Medikamenten an die Nervenwurzel (Radix), genauer gesagt den ventralen Epiduralraum im Bereich des Spinalganglions ( Abb. 7). Es ist vor der Medikamentengabe unter Durchleuchtung die Kontrastmittelverteilung in das Neuroforamen und den Epiduralraum zu dokumentieren. Nur bei korrekter Darstellung kann von einer transforaminalen Injektion bzw. von einer PRT gesprochen werden.

Typischerweise wird ein Gemisch aus einem Lokalanästhetikum (z.B. Carbostesin) und Kortison verwendet. Es sollte kein kristallines Kortison (wie Triamcinolon) verwendet werden, da die Kristalle größer sind als Erythrozyten und somit bei intravaskulärer Injektion (A. Adamkiwicz) die Gefahr einer Embolie des Rückenmarks besteht. Empfohlen wird die Verwendung von Dexamethason. Zu beachten ist zudem, dass die Anwendung aller Kortikoide epidural off label geschieht.

Beim klassischen Zugang liegt die Nadel kranial der Nervenwurzel direkt unter dem Pedikel (supraneural, subpedikulär, Abb. 8). Als Variante kommt manchmal auch ein infraneuraler Zugang in Höhe des kranialen Nachbarsegments in Frage, bei dem die Medikamentenausbreitung in kaudaler Richtung erfolgt. Es ist wichtig, verschiedene Techniken (wie supraneuraler und infraneuraler Zugang) zu beherrschen, um die beste Möglichkeit für den entsprechenden Befund auswählen zu können.

Nur für korrekt durchgeführte Interventionen besteht eine gute Evidenz. Welche Ergebnisse erwartet werden können, zeigt ein systematischer Review von 12 Studien [13]. 70 % der Patienten erfuhren mindestens 50 % Schmerzreduktion. Bei 25–40 % der Patienten hielt die Wirkung 5–12 Monate an. Die Studie konnte zeigen, dass eine PRT kein Placebo ist, dass tatsächlich Operationen eingespart werden können und dass diese Intervention kosteneffektiv ist. Eine Wiederholung ist bei gutem Ansprechen möglich [14]. PRT-Serien ohne Erfolgskontrolle oder mehr als 3 Injektionen in kurzem Abstand sind nicht sinnvoll. Komplikationen einer PRT sind in einer Studie mit über 26.000 Patienten in 1,9 % der Fälle aufgetreten (davon 1,1 % vasovagale Synkopen) [2]. Durch die gezielte Medikamentenapplikation ist eine PRT auch der kaudalen epiduralen Injektion überlegen [11].

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Literatur

1. Bogduk N, Dreyfuss P, Govind J: A narrative review of lumbar medial branch neurotomy for the treatment of back pain. Pain Med 2009; 10: 1035–45

2. Carr CM, Plastaras CT, Pingree M et al.: Immediate adverse events in interventional pain procedures: A multi-institutional study. Pain Med 2016; 17: 2155–61

3. DePalma: Diagnostic nihilism toward low back pain: What once was accepted, should no longer be. Pain Med 2015; 16: 1453–4

4. DePalma MJ, Ketchum JM, Saullo T: What is the source of chronic low back pain and does age play a role? Pain Med 2011; 12: 224–33

5. Hofmann UK, Keller RL, Walter C, Mittag F: Predictability of the effects of facet joint infiltration in the degenerate lumbar spine when assessing MRI scans. J Orthop Surg Res 2017; 12: 180

6. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/033–051l_S2k_Spezifischer_
Kreuzschmerz_2018–02.pdf (letzter Zugriff am 4.10.2019)

7. Juch JNS, Maas ET, Ostelo RWJG et al.: Effect of radiofrequency denervation on pain Intensity among patients with chronic low back pain: The mint randomized clinical trials. JAMA 2017; 318: 68–81

8. Klessinger S: Facet joint pain: presentation and treatment. Is it a myth? In: Pinheiro-Franco JL, Vaccaro AR, Benzel EC, Mayer HM (Hrsg.): Advanced concepts in lumbar degenerative disk disease. Heidelberg: Springer, 2016

9. Klessinger S, Freund W: Association between magnetic resonance imaging and the result of medial branch blocks. Pain Studies and Treatment 2017; 5: 1–10

10. Klessinger S, Freund W, Halatsch ME: Retrospective magnetic resonance imaging evaluation in patients with zygapophysial joint pain. Journal of Spine & Neurosurgery 2015; 4: 3

11. Lee JH , Shin KH , Bahk S et al.: Comparison of clinical efficacy of transforaminal and caudal epidural steroid injection in lumbar and lumbosacral disc herniation: A systematic review and meta-analysis. Spine J 2018; 18: 2343–53

12. MacVicar J, Borowczyk JM, MacVicar AM, Loughnan BM, Bogduk N: Lumbar medial branch radiofrequency neurotomy in New Zealand. Pain Med 2013; 14: 639–45

13. MacVicar J, King W, Landers MH, Bogduk N: The effectiveness of lumbar transforaminal injection of steroids: A systematic review of outcomes studies and controlled trials. Pain Medicine 2013; 1: 14–28

14. Murthy NS, Geske JR, Shelerud RA et al.: The effectiveness of repeat lumbar transforaminal epidural steroid injections. Pain Med 2014; 15: 1686–94

15. Romeo V, Covello M, Salvatore E et al.: High prevalence of spinal magnetic resonance imaging findings in asymptomatic young adults (18–22 Yrs) candidate to air force flight. Spine (Phila Pa 1976) 2019; 44: 872–8

16. Schwarzer AC, Aprill CN, Derby R, Fortin J, Kine G, Bogduk N: The false-positive rate of uncontrolled diagnostic blocks of the lumbar zygapophysial joints. Pain 1994; 58: 195–200

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Stephan Klessinger

Facharzt für Neurochirurgie

Neurochirurgie Biberach

Eichendorffweg 5, 88400 Biberach

Tel.: 07351 4403–0

klessinger@neurochirurgie-bc.de

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