Übersichtsarbeiten - OUP 01/2022

Die CHARCOT-Neuroarthropathie (CN)
Eine Facette des neuropathischen FußsyndromsTeil 1: Akute Charcotarthropathie erkennen - Deformation vermeiden

Die Einteilung der Charcot-Arthropathie erfolgt zum einen über den zeitlichen Verlauf. Die zweite wesentliche Ordnung erfährt das Krankheitsbild über den Ort der Skelettdestruktion. Der zeitliche Ablauf wurde von Eichenholtz 1966 beschrieben [2]. Es werden 3 Stadien unterschieden: 1. Entwicklungsstadium; 2. Koaleszenz- Stadium; 3. Rekonstruktionsstadium.

Das Entwicklungsstadium (Abb. 5) ist durch Knorpel- und Knochenfragmentation, Hyperämie, Ödem und Überwärmung gekennzeichnet.

Das Koaleszenz-Stadium führt zum Umbau und der Knochenfragmente in Dislokation und langsamem Rückgang der Entzündungsreaktion. Dieses Stadium kann monatelang anhalten.

Im Rekonstruktionsstadium (Abb. 6–7) kommt es zu Normalisierung des Knochenstoffwechsels und zum Umbau des Knochens in eine weitgehend normale Knochenarchitektur. Wesentlich ist hierbei, dass die eingetretenen Deformationen des Fußskeletts erhalten bleiben.

In neuerer Zeit wurde ein Stadium 0 ergänzt [6]. Die Möglichkeit der MRT-Untersuchung gestattet es heute bei entsprechendem Verdacht, das dem Knochen- und Gelenkzerfall vorausgehende Knochenödem (Abb. 8–9) darzustellen.

In der akuten Situation ist die Abgrenzung zur Weichteil- und Knocheninfektion (akute Osteomyelitis) nicht immer einfach. Allgemeinsymptome und laborchemische Infektionsparameter helfen nur bedingt bei der Differentialdiagnose. Schmerzzunahme kann ein Hinweis auf ein infektiöses Geschehen sein. Ein einfacher praktischer Test hilft ebenfalls: der Charcot-Fuß blasst bei Hochlagerung des Beines relativ schnell ab. Auch die Schwellung nimmt innerhalb von Stunden bei Hochlagerung und Ruhigstellung rapide ab. Ein Fuß mit Infektion hingegen bleibt hochrot und geschwollen.

Die zweite wesentliche Einteilung erfährt der Charcot- Fuß nach dem Ort des Zerfalls. Hier gibt es verschiedene Vorschläge zur Klassifikation. Am gebräuchlichsten ist die von Sanders und Frykberg (1993) vorgeschlagene Zuordnung nach den 5 Gelenkreihen des Fußes: Typ I Zehen und Metatarsalia; Typ II Lisfranc-Gelenkreihe; Typ III Chopart-Gelenkreihe; Typ IV OSG inkl. USG; Typ V Fersenbein. Der Befall der Lisfranc- und Chopart-Gelenkreihe sind klinisch am häufigsten zu beobachten: Sanders II (Abb. 6) und III (Abb. 9–10) [5].

Wichtig für die Beurteilung eines Charcot-Fußes sind also der Ort der Destruktion Sanders I–V und das vermutliche Stadium des zeitlichen Verlaufs der Erkrankung Eichenholtz I–III. Oftmals werden erst die Spätschäden zur Behandlung vorgestellt. Die während des Ablaufs der Erkrankung stattgehabte Deformation führt zum Einbruch des Fußgewölbes, möglicherweise bis zur typischen, sogenannten „Tintenlöscher oder Schaukelfuß“-Form des Fußes, im Englischen „rocker bottom“ genannt (Abb. 11).

Klinische Erscheinung und Therapie

Wichtig ist in dieser Situation, dass durch den Druck der nach fußsohlenseitig luxierten oder deformierten Knochen pathologische Druckspitzen entstehen können. Diese verursachen unbehandelt, eine Hyperkeratose, Einblutung und dann eine Ulzeration. Mit der Ulzeration ist die Gefahr der Infektion gegeben. Die Behandlung richtet sich dann zunächst gegen die Infektion und entspricht damit den Regeln der septischen Chirurgie.

Der infizierte Charcot- Fuß (Abb. 12) ist eine schwerwiegende Komplikation. Nicht selten besteht Amputationsgefahr für das betroffene Bein. Es handelt sich um einen chirurgischen Notfall, der unverzügliche Behandlung erfordert.

Behandlung des Charcot-Fußes

Die Behandlung des Charcot-Fußes richtet sich nach dem Stadium und der Lokalisation der Deformität. Wichtig ist die generelle Feststellung, dass die Behandlung des akuten Charcot-Fußes zunächst konservativ erfolgt. Alle Akutstadien werden mit sofortiger Entlastung des Fußes behandelt. Hierzu kann eine stationäre Behandlung sinnvoll sein, oft allein wegen der notwendigen Diagnostik. Bettruhe, Rollstuhl und Ruhigstellung des Beines in einem speziellen Gips sind die ersten Maßnahmen.

Ausnahme stellen akute Frakturen und/oder Luxationen dar. Diese stellen oftmals eine unmittelbare Operationsindikation dar.

Der Total Contact Cast (TCC) erfüllt die Forderung nach Ruhigstellung von Fuß- und Unterschenkel gut und ist seit mehreren Jahrzehnten etabliert. Die Anwendung ist für Patient und Behandler arbeitsaufwendig und arbeitsintensiv. Deshalb wird heute je nach Ausmaß der Deformität auf vorgefertigte Walker oder eine 2-Schalenorthese übergegangen. Vorteil sind schnelle Verfügbarkeit und ein relativ günstiges Preisniveau. Nachteilig ist die weniger exakte Passform bei Walkern, die schnelle Volumenabnahme des Fußes bei Ruhigstellung und damit auch Abnahme der Passform bei allen Hilfsmitteln.

Für die konsequente Entlastung sind nichtabnehmbare
Orthesen notwendig.

Ziele dieser Ruhigstellung sind die sofortige Reduktion der Krankheitsaktivität und die Vermeidung der Deformation des Fußes. Die Krankheit muss vom Stadium Eichenholtz I in das Stadium III überführt werden. Dies kann mehrere Monate dauern. Dies bringt für den Patienten, die Familie und den Arbeitsplatz erhebliche Probleme mit sich. In Abhängigkeit von der Aktivität des Prozesses kann nach einiger Zeit auf Teilbelastung des Fußes im Hilfsmittel übergegangen werden.

Gelingt es Form und Stabilität des Fußes zu erhalten und insbesondere plantare Knochenvorsprünge zu vermeiden, kann eine orthopädische Maßstiefelversorgung erfolgen. Diese ist seit Erneuerung der Praxisempfehlung der DDG zur Versorgung des diabetischen Fußsyndroms 2021 verpflichtend [3]. Die Behandlung in der skizzierten Form wäre der ideale Verlauf, der eine chirurgische Intervention unnötig macht (Abb. 14). In der Mehrzahl der Fälle kommt es zu einem Formverlust, der durch die Kunst der orthopädischen Schuhtechnik kompensiert werden kann (Abb. 13).

Eine regelmäßige Kontrolle der Füße, der orthopädischen Maßschuhe und der Bettungen sind erforderlich. Ein Wiederkehren der Charcot-Erkrankung ist jederzeit möglich, leider auch auf der Gegenseite. An der Gefühllosigkeit und damit der Verletzungsgefahr hat sich nichts geändert.

Ein Charcot-Patient ist chronisch krank!

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis
zu diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

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