Übersichtsarbeiten - OUP 05/2014

Die distale Radiusfraktur – ein Update der Behandlungsmethoden

K. Becker1, P. Haensel2

Zusammenfassung: Die Entwicklung der palmaren winkelstabilen Platte induzierte einen Wechsel der operativen Behandlungsstrategie der distalen Radiusfraktur. Die vorliegende Arbeit will sich mit den Möglichkeiten und Problemen dieser operativen Versorgung auseinandersetzen und darlegen, ob die bisherigen Verfahren noch einen Stellenwert haben.

Schlüsselwörter: Distale Radiusfraktur, winkelstabile palmare Platte, operative Behandlungsmaßnahmen, Therapie-Update

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus dem
Chirurgen Magazin 6/2007, Seite 26–34.

Abstract: The development of the palmar angle stable plate induced a change of the operative treatment of the distal radius fracture. The presented article will discuss the possibilities and problems of this operative treatment and will
explain if there is any status of the previous methods.

Keywords: distal radius fracture, palmar angle stable plate, operative treatment, update of the therapy

Einleitung

Die distale Radiusfraktur ist die häufigste Fraktur des Menschen. In Deutschland werden im Jahr ca. 200.000 Fälle behandelt. Obwohl die Diskussion um die optimale Behandlung dieser Fraktur bereits seit dem 19. Jahrhundert anhält, gibt es noch lange keine einheitliche Lehrmeinung.

Die Radiusfraktur wirft nach wie vor Probleme auf, was sich auch daran zeigt, dass sich seit den Vorgaben der Behandlungsprinzipien nach Böhler aus den 30er Jahren [1] die Versorgung rasant entwickelt hat. So waren in den 60er Jahren die Kirschner-Drähte [9, 20], dann die dorsale und palmare Plattenosteosynthese und schließlich die Einführung des Fixateur externe innovative Behandlungsmethoden der jeweiligen Zeit bis hin zu den zurzeit favorisierten winkelstabilen Plattensystemen.

Probleme ergeben sich trotz neuer Methoden aufgrund der verschiedenen Frakturmechanismen in jugendlichem wie auch in höherem Alter. Beim jungen Menschen handelt es sich vorwiegend um Rasanztraumata mit Zerstörung der Gelenkflächen, wohingegen es sich im höheren Alter eher um Radiusfrakturen bei osteoporotischen Knochen handelt, was wiederum Probleme bei der Fixation der Fragmente aufwerfen kann.

Da in ca. 30–80 % der Fälle – je nach Frakturtyp – auch ligamentäre Begleitverletzungen vorhanden sind [7, 8, 13, 22], erwächst aus dieser Tatsache zusätzlicher Handlungsbedarf.

Äußerungen, die Radiusfraktur stelle keine therapeutische Herausforderung mehr dar, sind somit nicht nachvollziehbar und werden diesem differenzierten Verletzungstyp nicht gerecht. Vielmehr zeigen Aussagen dieser Art eine gewisse Ignoranz gegenüber einer Fraktur, die nicht zuletzt auch große sozio-ökonomische Bedeutung hat: Komplikationen beim Heilungsverlauf bergen für den Patienten immer auch die Gefahr, sich nicht mehr hinreichend selbst versorgen zu können. Die distale Radiusfraktur ist damit auch im Hinblick auf die zunehmend älter werdende Bevölkerung immer noch eine große Herausforderung.

Anatomische
Vorbemerkungen

Der Radius artikuliert mit der distalen Ulna ebenso wie mit Skaphoid und Lunatum, das heißt mit der proximalen Handwurzelreihe. Zwischen dem Ellenkopf und der proximalen Handwurzelreihe ist der Trianguläre Fibro-Cartilaginäre Complex (TFCC) zwischengeschaltet. Aber auch zwischen den beiden Handwurzelreihen im Mediokarpalgelenk findet ein Teil der Bewegung des Handgelenks statt (Abb. 1).

Der Inklinationswinkel in der radiologischen ap-Ebene beträgt zwischen 20 und 30°, der dorso-palmare Winkel in der seitlichen Ebene ca. 10°. Die Länge der Ulna zum Radius kann sehr variabel sein, und es gibt neben der Neutralstellung auch die Ulna „–“ und die Ulna „+“ Variante.

Liegt ein Längenverlust nach einer Radiusfraktur vor, kommt es insbesondere zur Einschränkung der Unterarmdrehbewegung. Bleiben Stufen in der Gelenkfläche zurück, ist eine Arthroseentwicklung des Gelenks vorprogrammiert. Auch ein Winkelverlust der dorso-palmaren Kippung von 20° führt zur Arthrosebildung.

Zwar wird eine Bewegungsreduk-tion von 20–30 % bei Extension
und Flexion oftmals nicht wesentlich wahrgenommen, bei der Unter-
armdrehung sind jedoch schon geringe Bewegungseinschränkungen mit deutlichen Problemen im täglichen Leben behaftet.

Klassifikation der
Radiusfrakturen

Um einer optimalen Behandlung der Radiusfraktur gerecht zu werden, ist eine einheitliche Klassifikation von großer Bedeutung. Die einfachsten Klassifikationen stammen aus den Jahren 1941 bzw. 1934 und beschreiben die Smith-Fraktur als palmar dislozierte Fraktur und die Colles-Fraktur als dorsal dislozierte Fraktur [2]. Die Chauffeur-Fraktur mit Abriss des Proc. styloideus radii und Die-Punch-Frakturen mit Eindrücken der Gelenkfläche sind Eigennamen von definierten Frakturtypen (Abb. 2) [19].

Eine weitere Klassifikation ist die nach Frykman von 1967 (Abb. 3), die insgesamt 8 Frakturtypen des Radius in intra- und extraartikuläre mit und ohne Ulnabeteiligung beschreibt [19].

Im amerikanischen Sprachraum hat sich die Klassifikation von Melone 1984 weitestgehend durchgesetzt [11], die die Frakturen mit Gelenkbeteiligung in 5 Schweregrade einteilt (Abb. 4).

Interessant ist auch das 3-Säulen-Modell [6, 16, 17], das besagt, dass das distale Ende des Unterarms biomechanisch aus 3 Säulen besteht: Der radialen Säule mit dem Radiusstyloid mit der Fovea scaphoidea, der intermediären Säule mit der Fovea lunata mit der Sigmoid-Notch und einer ulnaren Säule mit der distalen Ulna und dem triangulären fibrokartilaginären Komplex ( TFCC ) (Abb. 5).

Im deutschen Sprachraum hat sich unter den vielen Frakturklassifikationen die AO-Klassifikation [19] durchgesetzt (Abb. 6). Die A-Frakturen bezeichnen die extraartikulären Frakturen: A1 die isolierte Ulnafraktur, A2 die einfache impaktierte Radiusfraktur und A3 die Radiusfraktur mit metaphysärer Trümmerzone.

Bei den B-Frakturen dagegen handelt es sich um partielle Gelenkfrakturen, B1-Gelenkfraktur mit sagittalem Frakturverlauf, B2 mit frontalem Frakturverlauf und dorsalem Fragment, B3 mit frontalem Frakturverlauf und palmarem Fragment.

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