Übersichtsarbeiten - OUP 10/2017

Die fokale Dystonie bei Musikern – der Musikerkrampf

Horst Haferkamp1, Eckart Altenmüller2

Zusammenfassung: Die fokale Dystonie bei Musikern ist gekennzeichnet durch die Verschlechterung der feinmotorischen Kontrolle beim Musizieren und betrifft ca. 1–2 % der professionellen Musiker. Sie ist eine ernsthafte Erkrankung, die ggfs. auch den Abbruch der musikalischen Karriere bedeutet. Es sind überwiegend Männer betroffen, übertriebener Ehrgeiz, Ängste und Perfektionismus sowie genetische Faktoren können auslösende Ursachen sein. Wenngleich die Muskulatur das betroffene Organ ist, beruht die Musikerdystonie auf einer Störung der zentralnervösen, kortikalen Bewegungsrepräsentation. Therapeutisch kommen Botulinumtoxin-Injektionen in die betroffene Muskulatur, Anticholinergika und Retraining in Frage.

Schlüsselwörter: fokale Dystonie bei Musikern, Musikerkrampf, Musikermedizin

Zitierweise
Haferkamp H, Altenmüller E: Die fokale Dystonie bei
Musikern – der Musikerkrampf.
OUP 2017; 10: 479–483 DOI 10.3238/oup.2017.0479–0483

Abstract: Focal dystonia in musicians is presenting as a loss of voluntary motor control of extensively trained movements while playing the instrument. Approximately 1–2 % of musicians are affected. Therapeutic options include anticholinergic medication, botulinum toxin injections, retraining and ergonomic modifications.

Keywords: focal dystonia in musicians, musician´s cramp,
musician’s medicine

Citation
Haferkamp H, Altenmüller E: Focal dystonia in musicians –
the musician’s cramp.
OUP 2017; 10: 479–483 DOI 10.3238/oup.2017.0479–0483

Einleitung

Bei der Musikerdystonie handelt es sich um eine Krankheit, die mit dem Verlust der feinmotorischen Kontrolle beim Musizieren einhergeht und für etwa 30 % der Erkrankten das berufliche Aus bedeutet [1]. Ungefähr 1–2 % der professionellen Musiker sind betroffen. Ist die Handmotorik gestört, beginnt es oft mit einem Kontrollverlust bei schnellen Passagen, unwillkürlichem Einrollen oder Abspreizen von Fingern, Unregelmäßigkeiten bei Trillern oder „Kleben“ der Finger auf den Tasten [2].

Abbildung 1a zeigt die rechte Hand eines Pianisten mit fokaler Dystonie. Wir sehen hier die typische Einbeugung des Klein und Ringfingers und weniger des Mittelfingers, sodass hier das Spiel mit den Fingern der Außenhand nicht möglich ist. Abbildung 1b zeigt das gleiche Problem eines Querflötenspielers mit Einkrümmung des Zeigefingers, daneben die häufig zu beobachtende Begleiterscheinung einer kompensatorischen Hyperextension des Kleinfingers und weniger auch des Mittelfingers. Dieses ist beim normalen Beobachten, insbesondere bei sehr schnellem Spiel, häufig schlecht zu erkennen. Hilfreich ist hier die Kontrolle durch eine Video-Slow-Motion-Filmaufnahme. Auch die Bläser sind gelegentlich von diesen Problemen befallen (Abb. 1c). Es handelt sich hier allerdings nicht um ein Problem der Hand, sondern der Zunge und der perioralen Muskulatur, wobei die Tonbildung beim Ansatz der Lippen am Mundstück gestört wird.

Geschichtliche Hinweise

Der bekannteste Fall einer Musikerdystonie betraf Robert Schumann. Er hat in seinen Tagebüchern die Symptome der Dystonie ausführlichst beschrieben. Die schleichende Entwicklung der Dystonie betraf nur das Klavierspiel, nicht aber andere feinmotorische Tätigkeiten, wie z.B. das Schreiben. In seinem Fall war der rechte Mittelfinger betroffen. Robert Schumann musste seine pianistische Karriere deshalb beenden. Für jeden Musiker eine Katastrophe, in diesem besonderen Fall jedoch auch ein Gewinn für die Menschheit, da Robert Schumann den Verlust des aktiven Musizierens durch vermehrtes Komponieren kompensierte. Es kann nur darüber spekuliert werden, wie viele Kompositionen möglicherweise nicht zustande gekommen wären, wenn er seine Karriere als Pianist hätte weiter verfolgen können. Von Robert Schumann ist eine Toccata erhalten, die auch Pianisten mit einem identischen Problem nahezu störungsfrei spielen können, da bei dieser Toccata der Einsatz des Mittelfingers nicht unbedingt erforderlich ist (Abb. 2a–b).

Symptomatik und Ursache

Wenngleich die dystone Behinderung sich an der Musikerhand bzw. bei Bläsern an der perioralen Muskulatur bemerkbar macht, handelt es sich doch ursächlich um eine zentrale Störung, die im Wesentlichen 3 Charakteristiken aufweist [3].

  • 1. reduzierte Inhibition im motorischen System auf kortikaler, subkortikaler und spinaler Ebene
  • 2. Veränderung der sensorischen Wahrnehmung und Integration
  • 3. eingeschränkte sensomotorische Integration

Die feinmotorische Kontrolle benötigt eine Balance zwischen aktivierenden und hemmenden Systemen, da ein einzelner Finger aktiviert und die nicht beteiligten Finger gleichzeitig gehemmt werden [4].

Abbildung 3 zeigt mit Hilfe einer nicht-invasiven Methode, der Magnetoenzephalografie, erhobene Daten der sensiblen Handrepräsentation im Bereich der Körperfühlrinde auf kortikaler Ebene rechtsseitig den Befund einer nicht-dystonen Hand. Hier sind die einzelnen Zentren für jeden Finger einschließlich des Daumens dargestellt, die durch selektive Aktivierung bzw. Inhibition eine differenzierte Bewegung der Finger möglich machen. Auf der betroffenen Seite überlagern sich die Zentren der Langfinger und sind nur verwaschen darstellbar, bedingt durch eingeschränkte Inhibition. Der Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger auf der gesunden Seite von 2,4 cm reduziert sich auf der betroffenen Seite etwa um die Hälfte [5]. Ähnliche Bilder finden sich bei Patienten mit Sudeck‘scher Reflexdystrophie bzw. CRPS.

Tabelle 1 zeigt die Risikofaktoren für die Entstehung einer dystonen Störung bei Musikern [6]. Am meisten betroffen sind klassische Musiker mit 93 %. Der Grund ist wohl der, dass sie strikt musikalische Vorgaben einhalten müssen und notierte Musik überwiegend reproduzieren. Aufgrund der erforderlichen großen Genauigkeit und des Konkurrenzdrucks entsteht ein erheblicher sozialer Druck, denn jede Aufführung bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Erfolg und Versagen, wohingegen die Pop- oder Jazzmusiker durch die Möglichkeit der Improvisation eine größere Interpretationsfreiheit haben. Musikerdystonien sind bei ihnen deshalb deutlich seltener.

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