Übersichtsarbeiten - OUP 10/2017

Die fokale Dystonie bei Musikern – der Musikerkrampf

Auch eine höhere Stellung im Orchester, z.B. als Solist, weist dem Musiker eine größere Verantwortung zu, mit ihm steht und fällt der Erfolg des Konzerts, sodass eine Disposition für dystone Störungen resultieren kann [2].

Auch physische und psychologische Traumata können Anlass für eine fokale Dystonie sein. Bekannt ist, dass sich diese in maladaptiven plastischen Veränderungen in sensorischen und motorischen Netzwerken auswirken können [7]. Auch hier zeigt sich eine Parallelität zum komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS).

Abbildung 4 zeigt das Auftreten einer dystonen Störung bei 144 Musikern, bezogen auf das jeweilige Instrument. Dabei fällt auf, dass am meisten und mit Abstand die Pianisten und Gitarristen betroffen sind, gefolgt von den Geigern, Flötisten und Klarinettisten. Harfe, Cello und Kontrabass sind deutliche unterpräsentiert, sodass vermutet werden muss, dass sehr schnelle simultane Fingerbewegungen die Entstehung einer Dystonie fördern, wohingegen kraftvolle und eher langsame sequenzielle Fingerbewegungen vor einer Dystonie zu schützen scheint [2].

Bei Pianisten und Gitarristen ist die rechte Hand öfter betroffen, bei Violinisten hingegen die linke Hand. Das kann durch die unterschiedliche funktionelle Beanspruchung der Hände an den genannten Instrumenten erklärt werden.

Um den Anforderungen einer professionell ausgeübten musikalischen Tätigkeit gewachsen zu sein, ist es erforderlich, schon im Kindesalter mit dem Erlernen eines Instruments zu beginnen. Eine frühe musikalische Ausbildung stabilisiert das sensomotorische System und wirkt neuroprotektiv in Bezug auf die Entwicklung einer fokalen Dystonie (Abb. 5). Eine intensive musikalische Ausbildung im Kindesalter hat lebenslange Veränderungen sowohl der Struktur als auch der Funktion des auditorischen, sensomotorischen und emotionalen Systems zur Folge [2]. Hier zeigt sich die Entwicklung von Musikern, die schon im frühen Alter vor dem 7. Lebensjahr mit dem Erlernen eines Instruments begonnen haben. Die Kunstfertigkeit steigt stetig und stabilisiert sich, um dann erst im späten Alter langsam abzunehmen (grüner Pfeil). Wird mit dem Üben nach dem 7. Lebensjahr begonnen, so zeigt sich ein ähnlicher, nahezu paralleler Verlauf, der jedoch deutlich unter dem Niveau des Musikers liegt, der schon vor dem 7. Lebensjahr begonnen hat (blauer Pfeil) und der spätere Beginn erreicht auch nicht die Stabilität, die ein frühes Üben gewährleistet. Der in das Diagramm eingezeichnete nahezu bedrohlich wie ein Blitz wirkende rote Pfeil zeigt den Verlauf einer fokalen Dystonie, der dann in dramatischer Weise die Abnahme der musikalischen Fähigkeiten demonstriert und ggfs. auch eine Musikerkarriere beenden kann.

Therapie

Ziel der Therapie ist es, die stark fixierten dystonen Bewegungsmuster zu lockern und durch nicht-dystone Bewegungen zu ersetzen [8].

Es bestehen gute Erfahrungen mit lokalen Injektionen von Botulinumtoxin A. Hierbei wird eine niedrigdosierte Injektion in den betroffenen Muskel durchgeführt, meist beugeseitig. Da eine Injektion in einen nicht betroffenen Muskel die Symptomatik verschlechtert, ist es unabdingbar, dass die Injektion sehr präzise erfolgt und entweder sonografisch oder elektromyografisch kontrolliert wird.

Eine weitere medikamentöse Therapie ist mit dem anticholinerg wirkenden Trihexyphenidyl (Parkopan, Artane) am effektivsten. Eine langfristige Besserung wird von einem Drittel der Patienten erreicht. Eine Kombination mit Botulinumtoxin ist in Einzelfällen möglich.

Zum therapeutischen Angebot gehören auch Retraining-Verfahren. Dabei werden die kompensatorischen Bewegungen durch Schienung unterdrückt und die dystonen Finger einem spezifischen Übungsverfahren unterzogen. Dies erfordert eine über mehrere Jahre verlaufende Therapie und setzt eine gute Compliance und viel Geduld bei den Patienten voraus.

Fazit

Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Therapie der fokalen Dystonie in die Hand von Spezialisten gehört. Auch der Handchirurg, der bei anderen Erkrankungen der Musiker durchaus Positives leisten kann, ist mit dieser speziellen Therapie meist überfordert und sollte dieses Krankheitsbild der Musikerdystonie den Musikmedizinern überlassen.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Horst Haferkamp

Adolfstr. 28, 34121 Kassel

haferkamp.kassel@t-online.de

Literatur

1. Lee A, Eich C, Ionnou CI, Altenmüller E: Life satisfaction of musicians with focal dystonia. Occup Med (Lond). 2015; 65: 380–5

2. Altenmüller E, Furuya S: Apollos Fluch und Segen: Musizieren als Neuroplastizitätsmotor. Neuroforum, DeGruyter 2017, 23: 76–95

3. Altenmüller E, Rode-Breymann S: Themenfeld und Forschungsstand, Krankheiten großer Musiker und Musikerinnen: Reflektionen am Schnittpunkt von Musikwissenschaft und Medizin. Ligaturen. Musikwissenschaftliches Jahrbuch der HMTH 2009, Bd 4, 5–22

4. Sommer M, Ruge D, Tergau F, Beuche W, Altenmüller E, Paulus W: Spatial distribution of intracortical inhibition and facilitation in focal dystonia. Mov. Disord. 2002;17: 1017–25

5. Altenmüller E: Focal dystonia: advances in brain imagine and understanding of fine motor control in musicians. Hand Clin. 2003; 19: 523–38

6. Jabusch HC, Zschucke D, Schmidt A, Schuele S, Altenmüller E: Focal dystonia in musicians: treatment strategies and long-term outcome in 144 patients. Mov. Disord. 2005; 20: 1623–6

7. Henry DE, Chiodo AE, Yang W: Central nervous system reorganization in a variety of chronic pain states: a review. PM R. 2011; 3: 1116–25

8. Altenmüller E, Jabusch HC: Neurologische Erkrankung bei Musikern. Med Welt 2006; 12: 569–75

Fussnoten

1 Kassel

2 Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover; Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin (IMMM)

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