Übersichtsarbeiten - OUP 01/2019

Die osteosynthetische Versorgung der distalen Unterarmfraktur
Wird die Übertherapie zum Problem?

Miriam Adrian, Lucas M. Wessel

Zusammenfassung:

Die distale metaphysäre Unterarmfraktur bei Kindern wird trotz exzellenter konservativer
Therapiemöglichkeiten häufig operativ osteosynthetisch versorgt. Außer Acht gelassen werden
auf der konservativen Seite das körpereigene Korrekturpotenzial besonders bei jungen Kindern,
auf der operativen Seite Wachstumsstörungen und Operationsrisiken.

Schlüsselwörter:
distale Unterarmfraktur, Korrekturpotenzial, Wachstumsstörung, Kindesalter

Zitierweise:
Adrian M, Wessel LM: Die osteosynthetische Versorgung der distalen Unterarmfraktur.
Wird die Übertherapie zum Problem? OUP 2019; 8: 032–034

DOI 10.3238/oup.2019.0032–0034

Summary: The distal metaphyseal forearm fracture in children is often treated by closed or open reduction
and osteosynthesis, despite excellent conservative treatment possibilities. Remodeling as a therapeutic option is not taken into account and the risk of growth disorders and further operative complications are not sufficiently estimated.

Keywords: distal forearm fracture, remodeling, growth disorder, childhood

Citation: Adrian M, Wessel LM: Osteosynthesis in distal forearm fractures. Is overtreatment causing problems? OUP 2019; 8: 032–034 DOI 10.3238/oup.2019.0032–0034

Für alle Autoren: Universitätsklinikum Mannheim, Klinik für Kinderchirurgie

Die metaphysäre distale Unterarmfraktur ist die häufigste Verletzung im Kindesalter und betrifft 40 % aller Frakturen der langen Röhrenknochen [7]. Dabei erstreckt sich das Verletzungsausmaß von einfachen Wulstbrüchen bis hin zu komplett dislozierten Frakturen mit Verkürzung. Die Entscheidung über eine konservative oder operative Therapie sollte hierbei nicht von der subjektiven persönlichen Überzeugung des behandelnden Chirurgen, sondern von der Art der Verletzung und dem Alter des Kindes abhängen.

Die häufigste Frakturform unter den distalen Unterarmfrakturen ist die Wulstfraktur (Abb. 1). Diese muss in keinem Alter operativ versorgt werden, sondern heilt selbst bei diskreter Biegungskomponente innerhalb von 3 Wochen folgenlos aus. Die Ruhigstellung mithilfe einer Schiene aus Gips bzw. Cast oder konfektionierten Schienen erfolgt hauptsächlich zur Schmerztherapie.

Auch metaphysäre Grünholzfrakturen ohne oder mit geringer Dislokation bedürfen keiner operativen Versorgung.

Wo hört nun die geringe Dislokation auf? Die konservativen Therapiemöglichkeiten sind bei Kindern weit häufiger anwendbar als oft angenommen. Grund dafür ist zum einen der späte Verschluss der distalen Radius- und Ulnaepiphyse (mit 16–19 Jahren), zum anderen haben diese beiden Fugen einen Anteil am Längenwachstum dieser langen Röhrenknochen von mehr als 80 %. Das bedeutet, dass Fehlstellungen sowohl dadurch ausgeglichen werden, dass die Fugen sich aufrichten, als auch dadurch, dass der Achsfehler sich durch das Wachstum nach proximal bewegt. Je jünger das Kind ist, desto ausgeprägter ist das Korrekturpotenzial. Fehlstellungen bis zu 25° können bei Kindern unter 12 Jahren demnach problemlos rein konservativ ohne Reposition und osteosynthetische Versorgung behandelt und der zuverlässigen Spontankorrektur zugeführt werden (Abb. 2a–b, 3).

Man könnte hierbei anmerken, dass eine gewisse verbliebene Fehlstellung – auch ohne radiologischen Beweis – nach einem Jahr vorhanden sein kann. Wenn diese (radiologische) Fehlstellung jedoch weder eine Auswirkung auf die Funktion noch auf die Kosmetik hat, ist sie bedeutungslos [5].

Die Ökonomisierung der Medizin trägt sicher dazu bei, dass auch in der Kindertraumatologie die Indikation zur operativen Versorgung viel leichter als früher gestellt wird. Ein weiterer Grund für die deutliche Zunahme der operativen Versorgung hängt mit dem Wunsch der Eltern zusammen, ihre Kinder rasch vermeintlich vollständig wiederhergestellt zu sehen, ohne eine längere Phase der Spontankorrektur abwarten zu müssen. In Ländern mit fehlender oder schlecht funktionierender Krankenversicherung sind konservative Vorgehenswesen dagegen aus der Not geboren, da sich die Familien eine operative Versorgung nicht leisten können. Hierbei können erstaunliche Erfolge nachgewiesen werden. Crawford et al. aus Hawaii konnten 2012 zeigen, dass sogar komplett dislozierte Frakturen, bei denen die Fragmente nebeneinanderstehen, anguliert und verkürzt sind, der Spontankorrektur (zugeführt) überlassen werden können, sofern die Achse wiederhergestellt wurde [3]. Nach Ablauf von 1–2 Jahren war ein funktionell perfektes Ergebnis nachweisbar, und es war auch radiologisch zu einer vollständigen Spontankorrektur gekommen.

Die Realität in der BRD sieht jedoch häufig anders aus. Vielfach werden auch distale, metaphysäre Frakturen im Kindes- und Jugendalter, ähnlich wie bei adulten Patienten, mit Plattenosteosynthese versorgt, obwohl für das Kindesalter zum einen die erwähnten exzellenten Möglichkeiten der konservativen Behandlung bestehen und zum anderen bei Bedarf und medizinischer Notwendigkeit an das Alter angepasste Osteosynthese-Verfahren auf dem Markt vorhanden sind. Clement et al. aus Edinburgh konnten nachweisen, dass gerade im Kindesalter Komplikationen von bis zu 42 % nach Anwendung der Plattenosteosynthese zu verzeichnen waren und im Gegensatz zum Erwachsenenalter diese Platten in der Regel wegen Beschwerden und Komplikationen entfernt werden mussten. Dabei wurden weitere Komplikationen in bis zu 10 % der Fälle beobachtet [2]. Unabhängig vom schlechten kosmetischen Ergebnis, das eine Platte mit sich bringt, kommt es einer Körperverletzung gleich, wenn diese nicht notwendig gewesen wäre. Die Studie beschreibt auch 10 % Refrakturen in Folge einer Plattenosteosynthese.

Nun hängen Komplikationen nicht nur mit der Größe des gewählten Implantats zusammen, sondern auch mit der Güte der durchgeführten Versorgung. Auch ein filigraner K-Draht kann zu Wachstumsstörungen an der Fuge führen und letztendlich zum partiellen vorzeitigen Fugenschluss, wenn zur Platzierung des Drahts vielfache Bohrversuche und Neuplatzierungen notwendig sind. Korrektureingriffe nach distalen metaphysären Frakturen sind häufiger durch Wachstumsstörungen und nur sehr selten nach belassenen Achsabweichungen beschrieben [6]. Neben den bereits beschriebenen Risiken der Osteosynthese werden in den letzten Jahren zunehmend sowohl die Narkotika als auch Sedativa bzw. Neuroleptika als Risikofaktoren für die neurologische Entwicklung gesehen, nachdem im Tierexperiment an der Ratte eine deutliche Zunahme der Apoptose im wachsenden Gehirn zu verzeichnen war [4]. Skandinavische Studien warnten ebenfalls vor nicht indizierten Narkosen, die im Verlauf mit Teilleistungsstörungen vergesellschaftet waren. Allerdings sind diese Studien Gegenstand kontroverser Debatten und werden weitere prospektive Studien benötigen [8]. Insgesamt sollte gut überlegt werden, ob eine Operation wirklich notwendig ist oder ob die konservative Therapie nicht häufig das schonendere und für das Kind geeignetere Verfahren darstellt.

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