Übersichtsarbeiten - OUP 10/2012

Die Sinusvenenthrombose als Komplikation nach single-shot periduraler Injektion: Ein Fallbericht mit Darstellung der Literatur

M. Pyttel1, F.A. Krappel2

Zusammenfassung: Ein Patient wurde mit starken Rückenschmerzen stationär aufgenommen, die Schmerztherapie blieb ohne Erfolg, es wurde eine single-shot Periduralanästhesie durchgeführt. Nach initialer Besserung klagte er über starken Kopfschmerz. Ein Niederdruckkopfschmerz wurde angenommen, Theophyllingabe und Bettruhe blieben erfolglos. Im Labor fand sich ein hohes D-Dimer, das KM-CT des Kopfes zeigte eine Sinusvenenthrombose, in der Gerinnungsdiagnostik fand sich eine Prothrombinmutation. Die Antikoagulation mit Heparin führte zu deutlicher Besserung. Als Ursache ist der Liquorunterdruck anzunehmen, begünstigt durch die Prothrombinmutation.

Schlüsselwörter: postpunktioneller Kopfschmerz, post-Dura Punktionsschmerz, Liquorverlust-Syndrom, Liquorunterdruck-Syndrom, Sinusvenenthrombose

Abstract: A patient was admitted with disabling low back pain, pain treatment failed, a single-shot epidural anaesthesia was performed. The patient reported pain relief, but soon after complained of a headache. Supposed due to CSF-leakage, he was treated with theophylline, to no avail. Laboratory testing revealed a high D-Dimer, a CT of the head with contrast showed a venous sinus thrombosis. Blood tests revealed a mutation of prothrombine. Intravenous heparin was administered and the patient improved. The low pressure due to loss of CSF is suggested to be the cause of the thrombosis, furthered by the prothrombin mutation.

Keywords: postlumbar puncture headache, postdural puncture headache, cerebrospinal fluid leak, intracranial hypotension, sinus thrombosis

Anamnese

Der 49-jährige Patient wurde notfallmäßig in die orthopädische Klinik eingewiesen – kaum geh- und stehfähig, mit starken Rückenschmerzen ausstrahlend in die Beine. Die Schmerzen begannen vor 6 Wochen und wurden zuletzt immer stärker, Gehen und Stehen führten zu Schmerzverstärkung, Liegen zu deutlicher Linderung, es wurde kein sensomotorisches Defizit berichtet. In der erweiterten Anamnese wurden keine Besonderheiten angegeben, keine Allergien, kein Infekt, außer einer konservativ behandelten traumatischen LWK-II-Fraktur 1982 keine Vorerkrankungen.

Klinischer Befund

Es fand sich ein nach vornüber geneigtes Standbild, Muskelhartspann über der LWS, ein Pseudolaséque bei 70, ein positives Viererzeichen, Druckschmerz über den Facetten L3 bis S1, 3-Phasentest positiv, keine radikulären Zeichen; Sensibilität, Motorik und Reflexe waren intakt, der Tonus unauffällig. Die Hüftgelenke waren frei beweglich. Es bestand kein Meningismus, klinisch und im Labor fanden sich keine Entzündungszeichen.

Diagnostik

Das Röntgen der LWS in 2 Ebenen zeigte alterstypische Veränderungen mit Spondylarthrosen und Verschmälerung der Bandscheibenräume bei L4/5 und L5/S1. Im MRT fand sich eine degenerative Discopathie bei L4/5 und L5/S1 mit Bandscheibenvorwölbungen.

Therapie und Verlauf

Die medikamentöse Schmerztherapie nach Stufenschema und die Infiltration der Facetten L3/4 bis L5/S1 unter Bildwandler blieben ohne Erfolg, weshalb nach entsprechender Aufklärung eine lumbale epidurale Injektion unter Verwendung einer Tuohy Nadel mit 2 ml Naropin 0,25 % und 1 ml Triamcinolon 40 mg durchgeführt wurde. Am Tag danach wurde eine deutliche Besserung der Schmerzen berichtet, am zweiten Tag klagte der Patient jedoch über zunehmende Kopfschmerzen, Augendruck, intermittierende Übelkeit und Erbrechen. Unter der Arbeitsdiagnose Niederdruckkopfschmerz erfolgte die Flüssigkeitssubstitution, Analgesie, Antiemetikagabe und gelockerte Bettruhe. Da die Beschwerden nicht zurückgingen, erfolgte die intravenöse Theophyllingabe. Die Beschwerden persistierten dennoch und wurden nun vom Patienten als ein drückender, holocephaler, zunehmend auch lageunabhängiger Dauerschmerz mit Schmerzspitzen beschrieben. Die Laborwerte waren unauffällig. Bei Ausbleiben einer klinischen Besserung über 48 h hinaus erfolgte die erneute Labordiagnostik mit zusätzlicher Bestimmung der D-Dimere, Entzündungs- und Gerinnungsparameter. Es zeigte sich eine Erhöhung des D-Dimers auf 2,75 (< 0,55 mg/l FEU Norm). Die Doppleruntersuchung der Beinvenen zeigte keine Thrombose, die CT der Lunge keine Embolie. Im KM-CT des Kopfes mit Gefäßdarstellung zeigte sich eine große Sinusvenenthrombose im Bereich des Sinus sagittalis superior und inferior sowie des rechtsseitigen Sinus transversus (Abbildung 1). Es wurde die adäquate, PTT-gesteuerte intravenöse Heparintherapie eingeleitet und überlappend eine Marcumarisierung durchgeführt, die Beschwerden waren nun rasch rückläufig.

Diskussion

Die Injektionstherapie an der Wirbelsäule zählt zu den sichersten und wirksamsten Methoden der Schmerztherapie [13, 20]. Ein postpunktioneller Kopfschmerz, von August Bier 1898 nach Durapunktion erstbeschrieben [8], ist bei Verwendung einer Thuohy- oder Espocan-Nadel zur epiduralen Injektion bzw. einer 29-G-Kanüle für die epidurale perineurale Infiltration in weniger als 1 % zu erwarten [2, 5]. Nach den Kriterien der Internationalen Kopfschmerz Gesellschaft (IHS) ist ein postpunktioneller Kopfschmerz ein Kopfschmerz, der

sich innerhalb von 7 Tagen nach einer spinalen Punktion entwickelt

der in weniger als 15 m nach Einnehmen der stehenden Position oder dem Aufsitzen auftritt oder sich verschlimmert

und der sich innerhalb von weniger als 30 m nach dem Hinlegen bessert

mit mindestens einem der folgenden Symptome: Nackensteifigkeit, Tinnitus, Hypacusis, Photophobie und Nausea.

Der Kopfschmerz sollte innerhalb von 14 Tagen nach der Punktion verschwunden sein [15].

Nach der Untersuchung von Lybecker et al. an 873 Patienten nach einer Spinalanäs-thesie mit Durapunktion kam es bei 7,35 % der Patienten zu einem postpunktionellen Kopfschmerz. Die Symptomatik bildete sich bei 60 % der Patienten spontan nach einer Dauer von 1–12 Tagen zurück (durchschnittliche Dauer 5 Tage), 40 % wurden mit einem autologen epiduralen Bloodpatch behandelt [12]. In der prospektiven Arbeit von Vilming und Kloster entwickelten 36,8 % von 239 Patienten einen Postpunktions-Kopfschmerz nach einer diagnostischen Lumbalpunktion. Die Symptomatik trat bei 53 % am ersten, 89 % am zweiten, niemals nach dem vierten Tag nach der Punktion auf [21]. Die mittlere Dauer lag bei 6 Tagen (1–29 Tage). Typischerweise besserte sich auch hier der Kopfschmerz binnen Minuten nach dem Hinlegen. Der Schmerzcharakter wurde als bilateral, okzipital und frontal betont beschrieben, als Begleitsymptomatik wurden Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, verschwommene Sicht, Doppelbilder, Nackensteifigkeit und Tinnitus angegeben [14]. In über 80 % der Fälle kam es innerhalb von 5 Tagen zu einer spontanen Remission.

Differenzialdiagnosen

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