Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Endoskopische Wirbelsäulenchirurgie bei lumbalem Bandscheibenvorfall

Historisch gesehen wurde der interlaminäre Zugang schon früh als endoskopisch assistierte Technik für tubuläre Systeme verwendet. Inzwischen wird dieser Zugang ebenso in der vollendoskopischen Technik verwendet. Ruetten et al. konnten 2007 die Effektivität dieser vollendoskopischen Technik zeigen [15]. Der interlaminäre Zugang ermöglicht nicht nur eine Nukleotomie, er eignet sich auch im Besonderen zur Dekompression bei Spinalkanalstenosen (uni- und bilateral – over the top). Auch die endoskopische Operation über den interlaminären Zugang ist in Lokalanästhesie (mit Analgosedierung) oder in Intubationsnarkose möglich. Die OP in Intubationsnarkose erscheint uns in Bezug auf die Bauchlagerung für den Patienten komfortabler und für den Operateur sicherer bei der Instrumentierung in unmittelbarer Nähe zu den nervalen Strukturen. Der Zugangsweg erfolgt durch eine kleine Hautinzision (0,8–1 cm) ca. 1 cm lateral der dorsalen Prozessus spinosus Linie der zu operierenden Seite, welcher radiologisch und anatomisch bestimmt wird (Abb. 5). Anschließend erfolgt die Dilatation der paravertebralen Muskulatur bis zum Ligamentum flavum in Seldinger-Technik. Sicherer ist der Zugang „V“ zwischen den Laminae und dem Facettengelenk. Nach Einbringen des Arbeitstrokar und des Endoskops, erfolgt dann unter Sicht die Darstellung und Eröffnung des Ligamentum flavum. Der interlaminäre Zugang kann sowohl in Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule angewendet werden und erlaubt ebenso ein gutes Arbeiten over the top.

Ergebnisse

Nach unseren Erfahrungen (Erfahrung des Hauptoperateurs seit 2008 über 1000 Eingriffe) aus den Jahren 2015–2020 bei Operationen von lumbalen Bandscheibenvorfällen mit der von uns präferierten transforaminalen endoskopischen Technik ist diese Operation eine gute Alternative zum klassischen mikrochirurgischen Verfahren. Die ihr eigene Lernkurve ist in der Regel flacher als bei der mikrochirurgischen Technik. Sie hat Vorteile bezüglich der Größe der Hautinzision und Akzeptanz bei Patient und Anwender. Nach unserer Einschätzung gibt es aktuell noch keine eindeutige Meinung in der Literatur, ob das Verfahren der mikrochirugischen Variante sicher überlegen ist. Ruetten und Mitarbeiter fanden 2008 in einer prospektiven randomisierten Arbeit bei Patienten nach lumbaler Sequestrektomie/Nukleotomie in endoskopischer Technik (transforaminal und/oder interlaminär) statistisch weniger Rückenschmerzen postoperativ, signifikant weniger Komplikationen, weniger Bedarf postoperativer Analgesie und kürzere postoperative Arbeitsunfähigkeit im Vergleich zwischen der endoskopischen und der mikrochirurgischen Gruppe [13]. Gibson und Mitarbeiter beschrieben in einer randomisierten Arbeit, dass der stationäre Aufenthalt nach endoskopischer Sequestrektomie signifikant kürzer war als nach mikrochirurgischer Methode [3].

Chen und Mitarbeiter fanden in einer Meta-Analyse mit 18 randomisierten Studien über 2000 Patienten ein geringeres Risiko für Gesamtkomplikationen und ein geringeres Risiko für Komplikationen, die eine konservative Behandlung erfordern im Vergleich zu offenen Diskektomien und perkutaner Lasermethoden [2].

Auch bei Rezidivvorfällen hat die endoskopische Methode ihre Berechtigung: Bei endoskopischen Eingriffen nach vorausgegangener mikrochirurgischer Operation berichten Ruetten und Tacconi über einen Vorteil der Revisionsoperation mittels Endoskopie [14, 19], da der Zugang nicht über die durch die mikrochirurgische Voroperation entstandene Narbe erfolgt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass bei gleichem klinischen Outcome die Patienten nach endoskopischer Technik über geringere zugangsbedingte Komplikationen und Schmerzen im OP-Gebiet klagten und von einer kürzeren Rehabilitationszeit profitierten.

Weinstein und Mitautoren fanden bei mikrochirurgisch operierten Patienten bei lumbalem Bandscheibenvorfall (einschließlich Revisionsoperationen) in 20,9 % Komplikationen, darin eingeschlossen: 4,1 % Duraverletzungen, 1,6 % lokale Infektionen und 3,3 % Rezidive [20]. Für endoskopisch operierte Patienten fand Sen 2018 nur 2,4 % Komplikationen, davon 0,3 % Duraverletzungen und Infektionen (1,4 %), aber eine Rezidivrate von 6,8 % [17]. Allerdings waren in dieser Arbeit keine Patienten mit Rezidivvorfällen inkludiert, sodass der Vergleich nur eingeschränkt zu werten ist.

Betrachtet man die Ergebnisse der internationalen Literatur, so hat die endoskopische Wirbelsäulenchirurgie mittlerweile ihre Berechtigung. Diese positiven Ergebnisse scheinen sich auch bei systematischen Reviews zu bestätigen [16]. Diese Ergebnisse werden sich an denen der mikrochirurgischen Technik messen lassen müssen, für die gute Langzeitergebnisse vorliegen [19].

Fallbericht

Eine 60-jährige Patientin leidet seit 3 Monaten an rechtsseitigen, quälenden Beinschmerzen im L5-Dermatom. Keine neurologischen Defizite. Die bisher durchgeführte konservative Therapie (Krankengymnastik, periradikuläre Injektionen, orale Schmerztherapie) waren erfolglos. Wir sahen die Indikation zur endoskopischen Sequestrektomie, die komplikationslos durchgeführt wurde. Die Bilderfolge zeigt das präoperative MRT im transversalen (Abb. 6) und sagittalen (Abb. 7) Schnitt sowie auf Abbildung 8 und 9 die intraoperative Situation mit dem Bandscheibenvorfall, der die abgehende Wurzel komprimiert (Abb. 8) und die Situation nach der Sequestrektomie mit der entlasteten Wurzel (Abb. 9).

Fazit für die Praxis

Die endoskopische Operation des lumbalen Bandscheibenvorfalls über den, von uns vorzugsweise angewendeten, transforaminalen Zugang ist eine Alternative zur klassischen mikrochirurgischen Operation: Prinzipiell kann das Verfahren bei allen lumbalen Vorfällen mit einer gewissen Einschränkung bei L5/S1 angewendet werden (hier ggf. interlaminärer oder mikrochirurgischer Zugang erforderlich). Es gibt sicher eine vom Operateur abhängige Präferenz, die auf seiner Ausbildung und Erfahrung beruht. Aus unserer Sicht ist die endoskopische Bandscheibenchirurgie nicht nur „Geschmacksache“ sondern hat sich nicht nur beim „normalen Bandscheibenvorfall“, sondern besonders beim extraforaminalen Prolaps und bei adipösen Patienten aufgrund der geringeren Zugangsmorbidität und der besseren Sichtverhältnisse bewährt. Die Lernkurve für das endoskopische Operieren an der Wirbelsäule ist flach, die Akzeptanz bei Patient und Arzt hoch und die Ergebnisse sind bei korrekter Indikation und Technik gut.

SEITE: 1 | 2 | 3