Übersichtsarbeiten - OUP 12/2016

Evaluation der Knorpelqualität am Talus
Kompressionsinduzierte Strömungspotenziale (SPI) und Nahinfrarotspektroskopie (NIRS)Compression-induced streaming potentials (SPI) and near infrared spectroscopy (NIRS)

Christoph Becher1, Caroline Kröger2, Benjamin Fleischer2, Christof Hurschler2

Zusammenfassung: Die nichtinvasive objektive intraoperative Bestimmung der Knorpelqualität könnte – neben den bildgebenden Verfahren – eine neue Option in der Entscheidungsfindung bezüglich der operativen Vorgehensweise darstellen. In dieser Studie wurden experimentell in-vitro an 10 frischen humanen Tali kompressionsinduzierte Strömungspotenziale (streaming potential integrals, SPI) und NIR-Spektren durch manuelle Kompression des Knorpels an den Messpunkten mit einer Tastsonde gemessen (SPI: Arthro BST, Biomomentum Inc., Laval, Kanada; NIRS: arthrospec GmbH, Jena, Deutschland). Der Degenerationsgrad wurde zudem makroskopisch mit dem ICRS-Score und nach histologischer Bearbeitung von 36 Knorpelzylindern mit dem Mankin-Score bestimmt.

Die Messungen konnten reproduzierbar mit statistisch signifikanter (p ? 0,001) Korrelation zwischen den Messungen von 3 Untersuchern erfolgen, mit einem ICC von 0,87 (0,77–0,93) für die SPI-Messungen und 0,76 (0,63–0,85) für die NIR-Messungen. Zwischen den erhobenen Scores (ICRS und Mankin) und den Mittelwerten der SPI- und NIR-Messungen wurden allerdings keine statistisch signifikanten Korrelationen festgestellt. Entsprechend sind bei fehlenden Referenzwerten momentan mit keinem der Geräte valide Aussagen möglich über die Güte und die Einstufung der Werte hinsichtlich der Knorpelqualität am Talus.

Schlüsselwörter: Nah-Infrarot-Sprektroskopie, elektrische
Strömungspotenziale, Knorpel, Arthrose, ICRS/Mankin-Score

Zitierweise
Becher C, Kröger C, Fleischer B, Hurschler C: Evaluation der Knorpelqualität am Talus.
OUP 2016; 9: 702–706 DOI 10.3238/oup.2016.0702–0706

Summary: The non-invasive objective intraoperative classification of the cartilage could offer a new option for decision-making with respect to treatment of articular cartilage defects. In this in-vitro study, 10 human tali were evaluated with an indentation probe to measure the results of compression-induced streaming potentials (SPI – Arthro BST, Biomomentum Inc., Laval, Canada) and near-infrared spectroscopy (NIRS – arthrospec GmbH, Jena, Germany). The degradation level of the tissue was determined macroscopically with the ICRS-Score and histologically in extracted 36 cartilage cylinders by using the Mankin-Score.

The measurements could be performed with statistically significant (p ? 0,001) interobserver agreement with a computed ICC of 0,87 (0,77–0,93) for SPI values and 0,76 (0,63–0,85) for the NIRS values among 3 users. However, no significant correlations were found between the score results (ICRS and Mankin) and the SPI and NIRS values, respectively. Thus, since reference data is not available at this point, no valid statements on the cartilage quality and classification at the talus can be made with either of the 2 techniques.

Keywords: near infrared spectroscopy (NIRS), streaming
potential integrals (SPI), articular cartilage, osteoarthritis,
ICRS/Mankin score

Citation
Becher C, Kröger C, Fleischer B, Hurschler C: Assessment of human tali articular cartilage.
OUP 2016; 9: 702–706 DOI 10.3238/oup.2016.0702–0706

Einleitung

Chondrale und osteochondrale Defekte sind im Rahmen arthroskopischer Operationen häufig zu finden [1, 2]. Diese Defekte verursachen verschiedene Symptome wie Schmerzen, Schwellung, Bewegungseinschränkung, Funktionseinschränkung und entwickeln sich im Verlauf zu einer Osteoarthrose.

Die Diagnostik und Therapie von chondralen und osteochondralen Defekten stellt für die behandelnden orthopädischen Chirurgen eine große Herausforderung dar. Die therapeutischen Optionen haben sich im Laufe der Zeit deutlich verbessert, sind allerdings auch insbesondere in Bezug auf die zellbasierten Verfahren mit Matrizes mit erheblichen Kosten verbunden [3, 4]. Die Diagnostik hat sich ebenfalls vor allem bei tiefgradigen chondralen und osteochondralen Läsionen durch die bildgebenden Verfahren verbessert. Mehrere Klassifikationen zur Einteilung der Defekte wurden publiziert [1, 5]. Die korrekte Klassifizierung hängt allerdings in hohem Maße von der Erfahrung des befundenen orthopädischen Chirurgen oder Radiologen ab. Die intraoperative Möglichkeit einer manuellen Tastuntersuchung des Knorpels erweitert die Möglichkeiten der Klassifikation. Die Übereinstimmung in Bezug auf die Klassifizierung des Schadens und vor allem die daraus abzuleitende therapeutische Konsequenz, hat sich allerdings als unzureichend herausgestellt [6–8]. Eine Umfrage unter erfahrenen orthopädischen Chirurgen ergab eine hohe Unsicherheit mit Wunsch nach Verbesserung der Klassifizierung bei rund 50 % der Teilnehmer, insbesondere in Bezug auf die Differenzierung zwischen Defekten Grad 1–2 und 2–3 [8]. Am Talus ergibt sich eine besondere Relevanz, weil hier bei osteochondralen Läsionen im Stadium 2–3 bezüglich des Vorgehens mit retrogradem knorpelerhaltendem Vorgehen oder Debridement des Knorpels und Anwendung eines knorpelregenerativen Verfahrens keine Einigkeit besteht [9].

Entsprechend wurden in den vergangenen Jahren Instrumente entwickelt, welche den Anspruch haben, objektive Aussagen über die Güte der Knorpelqualität treffen zu können und damit schon frühzeitig Veränderungen des Gelenkknorpels auf mechanischer, struktureller und zellulärer Ebene zu erkennen. Dazu gehören beispielsweise die Möglichkeit der Verwendung von Laser, Ultraschall, Infrarotlicht oder Mikroelektroden, welche elektrische Potenziale detektieren können [10–14].

Am Knie wurden in den letzten Jahren insbesondere die intraoperativ anwendbaren Verfahren der Messung von NIR-Spektren und die Ableitung von kompressionsinduzierten Potenzialen wissenschaftlich untersucht und propagiert [8, 15]. Trotz der offensichtlichen Notwendigkeit, objektive und verlässliche Möglichkeiten zur Bestimmung der Knorpelqualität zur Verfügung zu haben, besteht keine klinische Akzeptanz und Verbreitung der zur Verfügung stehenden Verfahren. Die Gründe könnten unter anderem in den Herausforderungen in der Benutzung der Geräte liegen, welche vor allem in der optimalen Orientierung der Messinstrumente in Relation zur Knorpeloberfläche bestehen und der Notwendigkeit einer gleichmäßigen Druckausübung auf das Messinstrument bei der Untersuchung [16].

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