Übersichtsarbeiten - OUP 01/2018

Fokussierte Sonografie in Orthopädie und Unfallchirurgie
Symptom-orientierte Sonografie zum raschen ErkenntnisgewinnSymtom oriented ultrasonography for rapid gain in knowledge

Christian Tesch1

Zusammenfassung: Die fokussierte Sonografie hat ein einziges Ziel, nämlich mit effektivem Zeitaufwand rasch und nur Symptom-orientiert den vermuteten Verdachts-Befund zu erkennen oder auszuschließen. Sie wird analog zur Anwendung in der Notfall-Medizin definitionsgemäß keine vollständige Sonografie des jeweiligen Organs sein. Sie ermöglicht, wichtige Befunde (Luxation, Erguss, Fraktur) in guter diagnostischer Genauigkeit zu erheben. Damit soll der Einzug der Sonografie in den diagnostischen Algorithmus in orthopädischen und unfallchirurgischen Kliniken und Praxen erleichtert werden, weil dadurch wenig Zeit aufgewendet werden muss und keine hochspezialisierte Sonografie-Befähigung vorausgesetzt werden muss. Damit sollen einerseits unnötige Röntgenstrahlen und andererseits unnötige Kernspintomografien eingespart werden.

Schlüsselwörter: fokussierte Sonografie, Ultraschall, Orthopädie

Zitierweise
Tesch C: Fokussierte Sonografie in Orthopädie und Unfallchirurgie. Symptom-orientierte Sonografie zum raschen Erkenntnisgewinn. OUP 2018; 1: 005–009 DOI 10.3238/oup.2018.0005–0009

Summary: Focused sonography should be only done for time-effective and symptom-oriented detection of suspected findings. It will be applied analogous to emergency-medicine as not complete examination by ultrasound of organs.
It allows detection of important findings such as luxation,
effusion, fracture in a good to excellent diagnostic accuracy. It should be acchieved, that sonography will be accepted as well as MRI in diagnostic algorithm in clinic and practice.
It will be unnecessary to do this by a specialist and will save a lot of time.

Keywords: focused sonography, ultrasound,
orthopedic traumatology

Citation
Tesch C: Focused sonography in orthopedic traumatology. Symtom oriented ultrasonography for rapid gain in knowledge.
OUP 2018; 1: 005–009 DOI 10.3238/oup.2018.0005–0009

Vorbemerkung

Die Ultraschall-Diagnostik hat sich trotz erheblicher Verbesserung der Geräte-Qualität und stark vereinfachter Bedienung bis heute, nach fast 30 Jahren
klinischer Anwendung in den Notaufnahmen und Praxen der Unfallchirurgie und Orthopädie, nicht als bildgebendes Verfahren durchsetzen können. Gerade in der Notfall-Diagnostik wird als Argument die fehlende Zeit für diese Untersuchungs-Technik angeführt, obwohl in vielen Bereichen die Sonografie eine „Ad-hoc“-Diagnose ermöglicht. So hat sich vor allem in der Schweiz und – nachfolgend – in der Notfallsonografie in Deutschland (welche allerdings internistisch-kardiologisch-anästhesiologisch ausgerichtet ist) der Begriff der „fokussierten Sonografie“ etabliert. Diese notfallmäßige Sonografie orientiert sich alleine am Zeitdruck in der Diagnostik und erhebt keinesfalls den Anspruch einer Sonografie mit allen fachlichen Möglichkeiten. Durchgesetzt hat sich hier die FAST-Sonografie (focused assessment with sonography in trauma) im Schockraum [3].

Übertragen aus entsprechenden Kursankündigungen für Sonografiekurse der Kardiologen, Anästhesiologen und Notfallmediziner formulieren wir folgerichtig:

„Die fokussierte Sonografie des Bewegungsorgans ist eine orientierende, fokussierte diagnostische Maßnahme im Notfall, die nicht den qualitativen Standards einer Gesamt-Sonografie entspricht. Sie ermöglicht ein sparsames Zeitmanagement“.

Hierbei soll vor allem unter dem immer wieder gegen die Sonografie angeführten erhöhtem Zeitbedarf und vorgeblich hoher fachlicher Anforderungen an die Sonografie beispielhaft demonstriert werden, wie wertvolle Befunde in wenigen Sekunden erkannt werden können, ohne dabei auf „High-end-Geräte“ und eine hohe fachlich-sonografische Qualifikation angewiesen zu sein.

Indikationen
und Durchführung

Sinnvolle Indikationen ergeben sich hierbei aus der Praxis und in der Notaufnahme. So ergibt sich zum Beispiel bei Verletzungen der Schulter immer wieder die Frage nach einer Luxation, einem Erguss im Gelenk oder einer der Bursen. Hier ist mit einer simplen Schallkopf-Position dorsal horizontal parallel zur Spina sacpulae sofort erkennbar, ob eine der Entitäten vorliegt (Abb. 1). Die Sonografie des Ellenbogens zur Abklärung eines Ergusses gelingt ebenso leicht (Abb. 2), bei der häufig geklagten Epikonylitis ist es hilfreich, den Schallkopf direkt auf die Extensorensehne aufzusetzen, dort über das B-Bild den Powerdoppler einzuschalten, um sofort erkennen zu können, ob hier eine Entzündungsreaktion vorliegt (Abb. 3, s. auch Titelbild unten mit einer ausgeprägten Kapsulitis eines Kniegelenks). Immer wieder erstaunt es, dass bei der Verdachtsdiagnose eines Ganglions ein Röntgenbild angefertigt (oder gar eine Kernspintomografie angefordert wird), der Nachweis ist eine der „Ad-hoc“-Diagnosen (Abb. 4 und Titelbild)! Verdickungen und Knoten in der Handinnenfläche sollten immer erst sonografiert werden, bevor weitere Maßnahmen zur Diagnose ergriffen werden (Abb. 5).

An der unteren Extremität geht es vorwiegend um Flüssigkeitsansammlungen, die im Hüft- (Abb. 6) und Kniegelenk (Abb. 7) und Sprunggelenk einfach zu erkennen sind (siehe Beiträge S. 14 und 28). Besonderheiten sind die Bursa präpatellaris, infrapatellaris profunda, Tendovaginitis Semitendinosus und Semimembranosus, die immer wieder diagnostische Schwierigkeiten machen, aber sonografisch sehr einfach zu erkennen sind. Zum Nachweis einer Bakerzyste sollte kein MR erfoderlich werden (Abb. 8), es sei denn, dass die intraartikuläre Pathologie abeklärt werden muss!

Einen Muskelfaser-Riss sollte man primär mit der Sonografie abklären, weil es einfach ist, zwischen einem Grad II (nach Müller-Wohlfahrt die Zerrung) und einem Grad III (Faser-Riss, Abb. 9) oder IV (Bündel-Riss) schon deswegen unterscheiden zu können, weil man sonografisch bei Grad-II-Verletzungen in der Regel nichts sieht (ad-hoc).

Sehnen-Risse am Fuß werden genauso einfach erkannt, in dem der Schallkopf im Verlauf der entsprechenden Sehne aufgesetzt wird und mit fehlender Darstellung der parallelen Faserstruktur im Seitenvergleich der Riss bewiesen ist (siehe die Arbeiten von Hartung und Hirschmüller im gleichen Heft und Abb. 10). Auch hier gilt wieder, dass gerade bei Sehnen-Pathologien der Power-Doppler sofort eine Entzündungsreaktion nachweist, was für die weitere Therapie von großer Bedeutung ist. Der plantare Schmerz durch eine Fasziitis der Plantarfaszie sollte primär weder zum Röntgen noch in die Kernspintomografie geschickt werden (s. Arbeit von Peterlein im gleichen Heft).

Diagnostische Genauigkeit

Der einfache Nachweis von Frakturen durch Ultraschall der Knochenoberfläche (Abb. 10) ist seit langem bekannt und jetzt in einer Meta-Analyse im Deutschen Ärzteblatt mit einer sehr hohen diagnostischen Genauigkeit (Sensitivität 91 %, Spezifität 94 %, 48 eingeschlossene Studien) publiziert worden [4]. Damit kann die immer wiederkehrende Frage nach der rechtlichen Bedeutung jetzt deutlich sicherer beantwortet werden kann, wenn auf Röntgen verzichtet wird. Es ist heute nicht mehr statthaft, ein Röntgebild anzufordern, wenn es eine Bildgebung gibt, die nachweisbar ohne Strahlung das gleiche Ergebnis liefert. Bei kindlichen Frakturen sind die Kollegen Ackermann, Großer und Eckart weit vorangekommen und haben einen festen Algorithmus etabliert [1, 2]. Der Nachweis einer Ermüdungsfraktur ist einfach möglich, in dem der Schallkopf DA aufgesetzt wird, VO’S wehtut (DAVOS-Sonografie) und nach einer Unterbrechung der Kortikalis gefahndet wird (Abb. 11). Ganz besonders eindrucksvoll sind Ultraschall-Aufnahmen von Osteosynthesen, wenn Funktions-Störungen im Sehnenbereich aufgetreten sind und mit den herkömmlichen bildgebenden Verfahren keine Problemlösung möglich war, obwohl mit der Sonografie einfach festgestellt werden kann, dass eine Sehne von einer Schraube erfasst wurde (Abb. 12). Diese einfache Möglichkeit sollte immer genutzt werden, wenn nach Osteosynthesen Funktionsstörungen beobachtet werden, weil der Schallkopf einfach da aufgesetzt wird, wo das Problem liegt. Die aktuelle Datenlage zu den einzelnen anderen Themen ist in den jeweiligen Arbeiten der Mit-Autoren nachzulesen.

Kritische Anwendung
im Kontext mit anderen
bildgebenden Verfahren

Die fokussierte Sonografie zur Untersuchung des Bewegungsorgans ist traditionell in Deutschland nicht an die Radiologen gebunden, sondern an die Fachärzte, hier Orthopäden und Unfallchirurgen. Wegen vermeintlich großem Zeitbedarf und der angeblichen Spezialisten-Untersuchung wird sie nicht angewendet und die schnelle Überweisung zum Radiologen hat sich etabliert. Hier kann im Vorfeld zur Überweisung mit Hilfe der fokussierten Sonografie entweder auf eine weitere Bildgebung verzichtet werden (Ganglion, Hygrom, Bakerzyste, etc) oder sie kann gezielt angefordert werden (Muskel-Verletzung, Syndesmosen- [siehe die Arbeit von Reimers im gleichen Heft] oder Sehnen-Verletzung [siehe Arbeit von Hartung im gleichen Heft]). Gerade im Handgelenk- und Schulterbereich sind kernspintomografische Untersuchungen häufig dann nicht aussagekräftig genug, wenn es um die Differenzierung von Flüssigkeits-Ansammlungen in Sehnen und Gelenken in unmittelbarer Nähe zueinander geht (Sehne M. flexor hallucis longus und OSG und USG oder Sehne M. flexor pollicis longus und flexor carpi radialis oder Sehne M. abduktor pollicis brevis und Sattelgelenk). Hier ist die ergänzende Untersuchung mit der Sonografie quasi unverzichtbar.

Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Radiologen (Röntgen und MR) ist für den Sonographeur schon lange Pflicht!

Diagnostischer Algorithmus und Hinweise für fokussierte Vorgehensweise

In der Durchführung geht es vor allem darum, nach der ersten Kontaktaufnahme mit dem Patienten eine Verdachts-Diagnose zu entwickeln, aus welcher sich dann die klinische Fragestellung ergibt. Diese führt zur Untersuchung, welche unverzichtbar für eine sichere Diagnose ist. Im Beispiel eines Ganglions wird dieses beim Betasten „knochenhart“ sein. Jetzt kann sinnvoll die Sonografie zum Einsatz kommen und der Schallkopf wird exakt mittig über diese „knochenharte“ Struktur gesetzt, denn es geht ja um die Differenzialdiagnose zur Exostose. Beides ist sofort erkennbar (Abb. 4 und Titelbild). Im Beispiel einer vermuteten Fraktur wird der tastende Finger auf die schmerzende Region geführt und dort der maximal schmerzende Punkt (häufig im positiven Fall einer Fraktur mit ausgeprägtem Lymphödem) ermittelt und der Schallkopf exakt mittig über den Schmerzpunkt gesetzt. Die Kortikalis-Unterbrechung ist genauso sicher zu erkennen wie die intakte Kortikalis (Abb. 11 und 12).

Die Sonografie endet (zumindest beim ersten Untersuchungskontakt) hier und es wird vermerkt, dass nur fokussiert sonografiert wurde. Damit hat der klinisch tätige Arzt den maximalen Effekt bei der Diagnostik mit seinem Ultraschall erzielt.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Christian Tesch

Orthopädie-Chirurgie

Große Bleichen 32

20354 Hamburg

christian@gelenktesch.de

Literatur

1. Ackermann O, Emmanouilidis I, Rülander C: Ist die Sonographie geeignet zur Primärdiagnostik kindlicher Vorderarmfrakturen? Dtsch Z Sportmed, 2009. 60: 4

2. Ackermann O, Liedgens P, Eckert K, Chelangattucherry E, Husain B, Ruchholtz S: Sonographische Diagnostik von metaphysären Wulstbrüchen – eine prospektive Multicenterstudie. Unfallchirurg, 2009. 112: 6

3. Frink, M, Lechler P, Debus F, Ruchholtz S: Multiple Trauma and Emergency Room Management. Dtsch Arztebl Int, 2017. 114: 497–503

4. Schmidt GL, Lippmann S, Unverzagt S, Hofmann C, Deutsch T, Frese T: Diagnostik bei Frakturverdacht – Ultraschall im Vergleich zu konventioneller Bildgebung. Dtsch Aerztbl, 2017. 114: 8

Fussnoten

1 Hamburg, Kursleiter Stufe III DEGUM, Chirurgie; Sprecher des AK Orthopädie&Unfallchirurgie der Sektion Chirurgie der DEGUM

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