Übersichtsarbeiten - OUP 05/2013

Frakturen im Alter

Bislang selbstständige Patienten sollten eine Abklärung ihres Sturzrisikos erhalten, wenn sie über einen einzigen Sturz in den letzten 12 Monaten berichten. In der Unfallchirurgie heißt das, dass alle selbstständigen Patienten nach erfolgtem Sturz – mit oder ohne Fraktur – eine Sturzabklärung und eine entsprechende Intervention erhalten sollten. D.h., alle Patienten, die ohne Hilfsmittel gehfähig und in den Aktivitäten des täglichen Lebens nicht eingeschränkt sind. Werden Hilfsmittel gebraucht, liegen Begleiterkrankungen oder Einschränkungen in der Kommunikation bzw. liegt Pflegebedarf vor, besteht grundsätzlich geriatrischer Behandlungsbedarf.

Die Bundesinitiative Sturzprävention empfiehlt zur Abklärung des Sturzrisikos folgende einfach und schnell durchführbare Tests bezüglich Balance, Kraft und Gehgeschwindigkeit (Tab. 5). Fällt der Patient bei einem der Tests auf, sollte eine entsprechende Intervention erfolgen. Risikoadaptierte Gruppenangebote wären evidenzbasierte Modelle wie das Otago- Exercise-Programm, das 2. Ulmer Modell für Sturzprävention durch Sozialstationen oder Tai Chi Chuan [10]. Besonders effektiv ist ein intensives, individuell herausforderndes Gleichgewichtstraining mit 2 Stunden pro Woche über ein halbes Jahr [11].

Zentrenbildung

Die weltweit erste orthopädisch-geriatrische Station initiierte Michael Bertrand Devas, der seit 1956 als Orthopäde in Hastings (UK) tätig war, um auch bei Multimorbidität einen möglichst frühen Operationszeitpunkt umzusetzen und um unmittelbar postoperativ mit der Rehabilitation zu beginnen, gegen Beachtung der medizinischen und sozialen Probleme der betagten Patienten [13]. Alle wesentlichen Elemente der heutigen alterstraumatologischen Stationen bzw. Zentren wurden bereits von Devas 1974 ausführlich beschrieben [14]:

  • Präoperative Behandlung der Dehydration
  • OP möglichst innerhalb 24 Stunden
  • Operationsverfahren, die unmittelbare Gehfähigkeit erlauben
  • Single-shot-Antibiotikaprophylaxe
  • Adäquate Schmerztherapie
  • Postoperative Vollmobilisation in normaler Kleidung
  • Blasentraining
  • Delirprophylaxe
  • Multiprofessionelles Behandlungsteam (Ärzte – Chirurg und Internist mit Assistenzärzten, Pflegekräfte, Physio-, Ergotherapeuten, Sozialdienst, Stationssekretärin)
  • Abstimmung der aktuellen Therapie
  • Entlassungsplanung
  • Geriatrisch-internistische Behandlung von Komplikationen bzw. Nebenerkrankungen
  • Wöchentliche patientenorientierte Team-Besprechung
  • Stetige, volle Einbeziehung des Patienten

Ein auf die Verletzung ausgerichtetes Behandlungsregime ist für Patienten mit Hüftfrakturen besser geeignet [15], d.h. ein multiprofessionelles Team auf einer unfallchirurgischen Station ist besser als auf einer allgemein-geriatrischen Station [16]. Entscheidend sind die Spezialisierung der Pflege sowie deren ausreichende Kapazität zur Umsetzung der aktivierend-therapeutischen Pflege.

Weitere Kooperationsformen bedingen sich durch die Konstellationen der Kliniken und des Gesundheitssystems, insbesondere der geriatrischen stationären Behandlung. Regelmäßige Visiten bzw. Konsile durch externe Geriater in der Unfallchirurgie fördern das Verständnis für die Belange geriatrischer Patienten im gesamten unfallchirurgischen Team. Durch die regelmäßige Zusammenarbeit kann sich angesichts des häufigen, aber meist vorübergehenden Delirs eine adäquatere Auswahl der verschiedenen Rehabilitationsformen entwickeln, da im Team die Rehabilitationsziele realistischer eingeschätzt werden.

Von Seiten der Deutschen Gesellschaften für Unfallchirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie wurde ein Auditverfahren für Zentren für Alterstraumatologie entwickelt. Damit soll die perioperativ-interdisziplinäre Behandlung der Patienten inhaltlich gefördert werden, die sich vielerorts bereits etabliert hat.

Fazit

  • Hat sich ein bisher selbstständiger Patient eine sturzbedingte Verletzung zugezogen, ist eine Sturzprävention bei reduzierter Ganggeschwindigkeit, auffälligem Chair-Raise oder Parallel- bzw. Semitandemstand zu empfehlen.
  • Patienten mit manifester Osteoporose benötigen eine interdisziplinäre und intersektorale Zusammenarbeit für eine adäquate Osteoporosetherapie.
  • Eine postoperative geriatrisch-unfallchirurgische Zusammenarbeit dient der Vermeidung von Komplikationen und einer nachhaltigen Rehabilitation.
  • Voraussetzung für den postoperativen Erhalt der Selbstständigkeit ist ein unmittelbares Einüben des Gehens und der Übernahme der Aktivitäten des täglichen Lebens.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Sarwiga Riem, MSc in Geriatrie

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

Zentrum für Alterstraumatologie

Diakonissenkrankenhaus Karlsruhe

Diakonissenstraße 28, 76199 Karlsruhe

riem@bdc.de

Literatur

1. Becker C, Nicolai S. Sturz und Motorik. In: Angewandte Gerontologie. Kohlhammer, Stuttgart 2012

2. Kanis JA, Johnell O. The burden of osteoporosis. J Endocrinol Invest 1999; 22: 583–588

3. Kanis JA, Johnell O, De Laet C et al. A meta-analysis of previous fracture and subsequent fracture risk. Bone 2004; 35: 375–382

4. Al-Ani AN, Neander G, Samuelsson B, Blomfeldt R, Ekström W, Hedström M. Risk factors for osteoporosis are common in young and middle-aged patients with femoral neck fractures regardless of trauma mechanism. Acta Orthopaedica 2013; 84(1): ??

5. Felsenberg D, Silman AJ, Lunt M et al. Incidence of Vertebral Fracture in Europe: Results From the European Prospective Osteoporosis Study (EPOS). J Bone Miner Res 2002; 17: 716–724

6. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Diagnosedaten der Krankenhäuser ab 2000. www.gbe-bund.de

7. Rapp K, Becker C, Cameron JD, Klenk J, Kleiner A, Bleibler F, König HH, Büchele G. Femoral fracture rates in people with and without disability. Age Ageing 2012; 41: 653–658

8. Panel on Prevention of Falls in Older Persons, American Geriatrics Society and British Geriatrics Society. Summery of the Updated American Geriatrics Society / British Geriatrics Society Clinical Practice Guideline for Prevention of Falls in Older Persons. J Am Geriatr Soc 2011; 59: 148–157

9. American Geriatrics Society, British Geriatrics Society, and American Academy of Orthopaedic surgeons Panel on Falls Prevention. Guideline for the Prevention of Falls in Older Persons. J Am Geriatr Soc 2001; 49: 664–672

10. Becker C, Blessing-Kapelke U im Auftrag der Bundesinitiative Sturzprävention. Empfehlungspapier für das körperliche Training zur Sturzprävention bei älteren, zu Hause lebenden Menschen. Z Geronotol Geriatr 2011; 44: 121–128

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