Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025
Geriatrische TibiakopffrakturenVon konservativer Therapie bis zur primären Endoprothetik
Die postoperative Nachbehandlung zielt darauf ab, eine frühzeitige Mobilisation zu fördern, Komplikationen zu vermeiden und die Gelenkfunktion wiederherzustellen. Besonders spezialisierte Zentren mit interdisziplinärer alterstraumatologischer Betreuung bieten hierbei entscheidende Vorteile. Während bei osteosynthetischen Verfahren meist eine Teilbelastung indiziert ist, stellt dies im geriatrischen Patientengut häufig eine nicht umsetzbare Herausforderung dar, weshalb in der Praxis meist nur eine Vollbelastung realistisch ist. Physiotherapeutische Maßnahmen stehen im Vordergrund, um die Beweglichkeit wiederherzustellen und die Muskulatur zu stärken. Passive Bewegungsübungen auf der CPM- (Continuous Passive Motion) Schiene helfen dabei, die Gelenkbeweglichkeit zu fördern. Der Einsatz von Orthesen sollte hingegen vermieden werden, da sie ein hohes Maß an Compliance erfordern, das Gangbild beeinträchtigen und bei unsachgemäßer Handhabung das Risiko für Stürze erhöhen [6]. Ergänzend sind eine konsequente Thromboseprophylaxe und ein effektives Wundmanagement unerlässlich, um postoperative Komplikationen zu minimieren.
Outcome und Diskussion
Die Behandlungsergebnisse geriatrischer Tibiakopffrakturen hängen von der Therapiewahl, der Knochenqualität und individuellen Patientenfaktoren ab. Eine sorgfältige chirurgische Versorgung in Kombination mit einer adäquaten Nachbehandlung ermöglicht in vielen Fällen eine gute Funktionalität des Kniegelenks und die Wiederherstellung der Mobilität. Die Arthroserate nach Tibiakopffraktur liegt jedoch bei bis zu 44 % [23]. Geriatrische Patientinnen und Patienten erzielen nach einer Osteosynthese klinische Ergebnisse, die hinsichtlich Schmerz, Stabilität und Funktion mit denen jüngerer Patientinnen und Patienten vergleichbar sind, selbst bei häufigeren radiologischen Veränderungen wie Korrekturverlust und Arthrose [24]. Die Häufigkeit des Repositionsverlustes bei Patientinnen und Patienten über 60 Jahren wird mit bis zu 79 % im Vergleich zu 7 % bei jüngeren Patientinnen und Patienten angegeben [25]. Osteosynthetisch versorgte Tibiakopffrakturen haben ein erhöhtes Risiko für eine sekundäre Knie-TEP, mit Raten von 5,3–7,3 % nach 5–10 Jahren [26], wobei andere Literaturangaben eine Häufigkeit von bis zu 15 % berichten [27]. Besonders bei komplexen Frakturen und eingeschränkter Knochenqualität bietet die primäre Endoprothetik für ausgewählte geriatrische Patientinnen und Patienten Vorteile gegenüber der Osteosynthese, da sie Repositionsverluste und das Risiko einer sekundären Arthrose vermeidet. Zudem treten Wundheilungsstörungen und Infektionen vermehrt bei aufwendigen osteosynthetischen Eingriffen mit längerer Operationsdauer auf, was die primäre Endoprothetik in bestimmten Fällen zur bevorzugten Therapie macht. Tapper et al. zeigten in einer Übersichtsarbeit, dass die primäre Knieendoprothetik bei geriatrischen Tibiakopffrakturen insgesamt gute bis akzeptable klinische Ergebnisse liefert. Die Komplikationsrate betrug 6,1 %, einschließlich Infektionen und Prothesenlockerungen, während die Revisionsrate bei 3,6 % lag. Im Vergleich zu sekundären Knieendoprothesen waren diese Raten niedriger, jedoch höher als bei elektiven Knieendoprothesen [28]. Eine aktuelle Literaturbewertung ergab, dass die primäre Endoprothetik bei Tibiakopffrakturen zwar akzeptable klinische Ergebnisse liefert, jedoch insgesamt keine signifikant besseren Resultate als die Osteosynthese erzielt. Die Gesamtkomplikationsrate war mit 15,2 ± 17,3 % relativ hoch, wobei Wundheilungsstörungen, periprothetische Infektionen und aseptische Lockerungen die häufigsten Komplikationen darstellten [29]. Dennoch zeigte sich in anderen Studien, dass die primäre Endoprothetik eine bessere Beweglichkeit des Knies und höhere Knee Society Scores (KSS) erreichen kann. Sie wies zudem eine geringere Komplikationsrate bei gleichzeitiger Möglichkeit der Vollbelastung auf, was sie gegenüber der Osteosynthese in bestimmten Fällen überlegen macht [30]. Pasurka et al. sehen auch aus gesundheitsökonomischer Perspektive Vorteile der primären Endoprothetik, insbesondere durch geringere Folgeeingriffe und kürzere Rehabilitationszeiten [31]. Gelse et al. stellten fest, dass die Zufriedenheit nach primärer Frakturendoprothetik mit 83–100 % vergleichsweise hoch war, während die Zufriedenheit bei posttraumatischer Gonarthrose mit 55–80 % deutlich niedriger lag [32]. Die vorhandene Studienlage liefert zwar Hinweise zu den jeweiligen Vor- und Nachteilen der Osteosynthese und der primären Endoprothetik, jedoch fehlen zahlenstarke, prospektiv randomisierte Studien, die eine generalisierbare Grundlage für die Therapieentscheidung schaffen könnten. Angesichts der vielfältigen individuellen Faktoren bei geriatrischen Patientinnen und Patienten, ist eine differenzierte und interdisziplinär abgestimmte Behandlungsplanung unverzichtbar.
Zusammenfassung
Geriatrische Tibiakopffrakturen stellen aufgrund der altersbedingten Veränderungen wie Osteoporose, fragilen Weichteilen und Multimorbidität eine besondere Herausforderung dar. Die Therapieziele umfassen die frühzeitige Mobilisation, die Vermeidung von Komplikationen und die Wiederherstellung der Gelenkfunktion. Während die Osteosynthese bei dislozierten Frakturen weiterhin Standard ist, hat die primäre Endoprothetik als Alternative an Bedeutung gewonnen, da sie eine sofortige Vollbelastung ermöglicht. Entscheidend für den Erfolg sind eine sorgfältige präoperative Planung, minimalinvasive Techniken zur Schonung der Weichteile und eine konsequente postoperative Nachsorge, um funktionelle Einschränkungen und Komplikationen zu minimieren.
Interessenkonflikte:
Keine angegeben.
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Henning Lange
Zentrum für Orthopädie und
Unfallchirugie
Klinikum Ingolstadt
Krumenauerstraße 25
85049 Ingolstadt
henning.lange@klinikum-ingolstadt.de