Arzt und Recht - OUP 07-08/2013

Gutachtenauftrag – Cave „Nebenpflichten“

Der beklagte Arzt hatte nach Bestimmung durch ein Gericht als Sachverständiger ein Gutachten erstellt. Dieses Gutachten übersendete er zusammen mit den Krankenunterlagen, die ihm für die Begutachtung überlassen worden waren, an das Gericht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung konnten die in den Krankenunterlagen enthaltenen Röntgenbilder nicht mehr gefunden werden. Nach schriftlicher Dokumentation der Geschäftsstelle war das Gutachten ohne die Röntgenbilder beim Gericht eingegangen.

Die Patientin, für deren Rechtsstreit wegen behaupteter Behandlungsfehler das Gutachten erstellt worden war, beantragte beim Landgericht Essen daraufhin festzustellen, dass der beklagte Arzt zukünftige Schäden, die aus dem Verlust der Röntgenbilder resultieren, zu ersetzen habe. Könne sie bei zukünftigen Behandlungen die Röntgenbilder nicht vorlegen und müsste deshalb erneut geröntgt werden, könnten sich bei ihr gesundheitliche (Spät-)Schäden einstellen. Es bestünde die Gefahr von Fehldiagnosen.

Aus den Gründen

Der Klägerin steht nach Auffassung des Landgerichts gegen den Beklagten als gerichtlich bestellten Sachverständigen kein Anspruch auf die beantragte Feststellung zu.

Nach Behauptung der Klägerin soll der Beklagte durch ihn zurechenbares Verhalten seiner Verrichtungsgehilfen das ihr an dem im Klageantrag aufgezählten Röntgenaufnahmen zustehende Eigentumsrecht verletzt haben, indem diese in seinem Verantwortungsbereich verloren gingen.

Dass Röntgenaufnahmen üblicherweise digitalisiert und computermäßig gespeichert werden, sodass die Aufnahme erneut beschafft werden können, und die Klägerin nicht nachvollziehbar dazu vorgetragen hat, ob sie sich überhaupt und wenn mit welchem Erfolg um die Rekonstruktion der Bilder bemüht hat, sowie dass beim Auftreten neuer Beschwerden ohnehin erneut Röntgenbilder angefertigt werden müssen, könne dahinstehen, da die Klägerin schon nicht schlüssig vorgetragen habe, dass sie Eigentümerin der besagten Röntgenbilder war.

Denn üblicherweise verbleiben Röntgenaufnahmen im Eigentum des sie anfertigenden Arztes. Dieser ist nur verpflichtet, die Bilder dem Patienten zur Vorbereitung eines Rechtsstreits gegen einen anderen Arzt oder Klinik vorübergehend zu überlassen (so z.B. Landgericht Kiel, Urteil vom 30.03.2007, ArztR 2007, 331).

Sofern die Klägerin in diesem Zusammenhang pauschal unter Beweisantritt behauptet hat, die Aufnahmen seien ihr übereignet worden, wird sie damit mangels der möglichen und auch zumutbaren Vereinzelung nicht der ihr obliegenden Darlegungslast gerecht, so dass der Erhebung der angebotenen Beweise das Verbot der Erhebung von Ausforschungsbeweisen entgegensteht.

Diese Erwägungen gelten gleichermaßen hinsichtlich der angeblich künftig zu befürchtenden Schäden. Angesichts der Pauschalität ihres Vortrags kann das angebotene Sachverständigengutachten ebenfalls wegen des Verbots der Erhebung von Ausforschungsbeweisen nicht in Auftrag gegeben werden.

Ferner könne die Klägerin nicht nachweisen, dass die Röntgenaufnahme im Verantwortungsbereich des Beklagten verloren gingen. Allein, dass sie auf der Geschäftsstelle der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund nicht zusammen mit dem Gutachten des Beklagten eingetroffen sind, beweise dies nicht zwingend.

Fazit

Die Entscheidungen zeigen, dass bei der Erstellung von Gutachten auch hinsichtlich vermeintlicher „Nebenpflichten“ Sorgfalt walten muss:

  • Auch wenn lange Bearbeitungszeiten für Sachverständigengutachten nicht unüblich sind, sollte hierauf gegenüber dem Auftraggeber zumindest möglichst zeitnah mit Begründung hingewiesen werden oder bei absehbar überlanger Bearbeitungszeit der Gutachtenauftrag abgelehnt/zurückgegeben werden.
  • Bei der Nachbehandlung eines vom Sachverständigengutachten betroffenen Patienten muss die Aufklärung den Inhalt der Begutachtung berücksichtigen und ggf. klarstellen/differenzieren.
  • Zur Begutachtung überlassene Originalunterlagen sind sorgfältig aufzubewahren und zurückzugeben, da grundsätzlich auch aus der Verletzung dieser Pflicht insbesondere hinsichtlich nicht reproduzierbarer Unterlagen ein vom Gutachter zu ersetzender Schaden resultieren kann.

Auch wenn selbstverständlich die medizinische Richtigkeit/Vertretbarkeit der gutachterlichen Stellungnahme die wesentliche Pflicht aus dem Gutachtenauftrag darstellt, sollten hierüber die „Nebenpflichten“ nicht vernachlässigt werden, um unnötige Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Korrespondenzadresse

RA Dr. Christoph Osmialowski

Kanzlei für ArztRecht

Fiduciastraße 2

76227 Karlsruhe

kanzlei@arztrecht.org

Internet: www.arztrecht.org

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