Übersichtsarbeiten - OUP 10/2016

Iatrogene zervikale Instabilität mit chronischen Zervikalgien und Cephalgien nach Bryan-Vollprothese
Case ReportCase report

Alexander Müller1, Basil Al Sharef2, Cornelius Wimmer2

Zusammenfassung: Wir berichten über eine 66-jährige Patientin mit iatrogener zervikaler Instabilität mit Zerviko-Cephalgien und Zerviko-Brachialgien nach Implantation einer Bryan-Prothese C5/6. Über 8 Jahre wurde unter der Diagnose Migräne therapiert. Erst nach dorsaler Instrumentationsspondylodese und Fusion war die Patientin von ihren Beschwerden befreit.

Schlüsselwörter: Zervikale Instabilität, Bryan-Prothese,
Case-Report

Zitierweise
Müller A, Al Sharef B, Wimmer C: Iatrogene cervicale Instabilität mit chronischen Cervicalgien und Cephalgien nach Bryan-Vollprothese. Case Report.
OUP 2016; 10:598–602 DOI 10.3238/oup.2016.0598–0602

Summary: We report about a 66-year old patient with iatrogenic cervical instability with cervico-cephalgia and cervico-brachialgia after implantation of a Bryan-prosthesis C5/6. For 8 years she was treated for migraine. After dorsal fusion surgery she was relieved from her chronic pain.

Keywords: Cervical instability, Bryan-prosthesis, case-report

Citation
Müller A, Al Sharef B, Wimmer C: Iatrogenic cervical instability with cervico-cephalgia and cervico-brachialgia after Bryan-prosthesis C5/6. Case report.
OUP 2016; 10:598–602 DOI 10.3238/oup.2016.0598–0602

Einleitung

Die anteriore zervikale Diskektomie und Fusion (ACDF) ist der Goldstandard [1; 2] für die Behandlung von Instabilitäten und degenerativen Wirbelsäulenveränderungen. Damit verbunden ist allerdings die Möglichkeit von frühzeitiger Anschlussdegeneration. Dies wird vor allem über die Fusionsoperationen im Bereich der LWS berichtet, wie von Lee und Mitarbeitern in ihrer Arbeit dargestellt [3]. Zu beweglichkeitserhaltenden Therapiemöglichkeiten zählt die Bandscheibenprothetik an der HWS [4, 5, 6].

Zusätzlich zu der gefürchteten Nachbarsegmentdegeneration kann es bei der Fusionsoperation zu Pseudarthrosen und Implantatversagen kommen. Auch bei der alternativ angewendeten Möglichkeit der Bandscheibenprothetik wird über Komplikationen wie einen Protheseneinbruch in den Wirbelkörper, Bruch des Polyurethans oder eine Dislokation des Polyurethans berichtet. Es kann zu Abrieb oder sogar zu Prothesendislokation aufgrund mangelnden Einwachsens der Prothesenkomponenten kommen [7, 8, 9]. Mathew berichtet sogar über eine seltene Komplikation bei einer Primärimplantation einer ProDisc-Bandscheibenprothese, bei der es 18 Wochen postoperativ zu einer bilateralen Pedikelfraktur gekommen ist, nachdem das Polyethylen-Inlay nach ventral dislozierte [10]. Insgesamt wird jedoch in der gängigen Literatur bei korrekter Indikationsstellung über gute bis sehr gute Ergebnisse nach Prothesenimplantation im Bereich der Wirbelsäule berichtet, wobei anzumerken ist, dass sich diese Berichte vorwiegend auf die lumbalen Prothesen beziehen [11, 12, 13].

Wir möchten im Folgenden über eine Patientin mit chronischen Zerviko-Cephalgien und Zerviko-Brachialgien nach zervikaler Bryan-Vollprothese berichten.

Case- Report

Eine 66-jährige Patientin klagt seit 8 Jahren über Kopf- und Nackenschmerzen nach auswärtig durchgeführter Implantation einer zervikalen Bandscheibenprothese vom Typ Bryan-Prothese auf der Höhe C5/6, gefolgt von einer Revisionsoperation mit Prothesenexplantation, Re-Uncoforaminotomie rechts C5/6 und Re-Implantation einer Prothese des gleichen Modells 9 Monate nach Primärimplantation aufgrund postoperativ persistierender diffuser Armschmerzen rechts. Die Primärimplantation erfolgte bei einer therapieresistenten C6-Radikulopathie ohne sensomotorische Defizite und einer im MRI bestätigten uncarthrotischen Foraminalstenose mit präforaminaler Begleithernie sowie einer nicht radikulo-kompressiven Diskopathie der Nachbarsegmente C4/5 und C6/7. Das konservative Vorgehen wurde ausgeschöpft und blieb trotz CT-gesteuerter periradikulärer Infiltrationstherapie (PRT) erfolglos. Trotz der fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen erfolgte die Indikationsstellung zur Implantation einer Bandscheibenprothese.

Bei der Erstvorstellung berichtete die Patientin über therapieresistente chronische Zerviko-Cephalgien, diffuse Kribbelparästhesien und Brachialgien im rechten Arm, denen kein typisches Dermatom zugeordnet werden konnte. Des Weiteren litt sie seit der Prothesenimplantation an schweren chronischen Kopfschmerzen. Die auswärtig durchgeführte Revisionsoperation hatte laut der Patientin keine Linderung der Zerviko-Cephalgien erbracht.

Aufgrund der oben genannten Beschwerden wurde die Patientin an die Schmerzambulanz einer universitären Einrichtung angeschlossen. Dort wurde die Diagnose „Migräne“ gestellt und die entsprechende medikamentöse Therapie eingeleitet. Die Patientin nahm Topamax (Topiramat) 100–0–50 mg und Tegretol CR (Carbamazepin) 0–0–200 mg ein. Diese Therapie wurde bis zu der von uns durchgeführten segmentalen dorsalen stabilisierenden und fusionierenden Operation fortgesetzt.

Bei der klinischen Untersuchung fielen deutliche Myogelosen zervikal beidseits auf. Es bestand eine unerträgliche Druckdolenz an der mittleren und unteren HWS bei der segmentalen Untersuchung. Des weiteren lag ein sensorisches Syndrom rechtsbetont ohne typische Dermatom-Zuordnung vor. Motorische Defizite der oberen Extremitäten lagen nicht vor. Die Feinmotorik war beidseits vollständig intakt. Das Hoffmann-Tinel- Zeichen war beidseits negativ. Die Muskeleigenreflexe (Bizepssehnen-, Trizepssehnen- und Radiusperiostreflex) waren mittellebhaft und seitengleich auslösbar. Die Hirnnervenaustrittspunkte waren frei und unauffällig. Die Beweglichkeit der HWS war in allen Richtungen endgradig eingeschränkt und schmerzhaft mit Provokation von typischen Brachialgien beidseits. Der Romberg-Test war seitens der Patientin offen und geschlossen sicher durchführbar.

Methodik

Die radiologische Abklärung erfolgte mittels konventionellen Röntgenbildern (Abb. 1) inklusive Funktionsaufnahmen, CT und MRI. Es bestand der Verdacht auf eine chronische Instabilität mit Dehiszenz im Facetten-Gelenk auf der Höhe C5/6. Im CT und MRI der HWS zeigte sich eine ossäre Okklusion des Neuroforamens C5/6 rechts (Abb. 2, 3).

Es erfolgte zur weiteren Abklärung eine diagnostische Gelenkinfiltration C5/6 mit Bupivacain 0,25 % verdünnt 1:10. Dies erbrachte für 24 Stunden eine Beschwerdefreiheit der Kopf-, Nacken- und Armschmerzen. Daraus ließ sich für die Cephalgien eine klare vertebragene Genese konkludieren.

Als Konsequenz haben wir die Indikation für eine dorsale monosegmentale Stabilisierung mit Fusion C5/6 und Foraminotomie C5/6 aufgrund der vorliegenden Neurologie gestellt. In diesem Fall erfolgte der Zugang aufgrund der 2-maligen ventralen Voroperationen von dorsal.

SEITE: 1 | 2 | 3