Übersichtsarbeiten - OUP 10/2016

Iatrogene zervikale Instabilität mit chronischen Zervikalgien und Cephalgien nach Bryan-Vollprothese
Case ReportCase report

Intraoperativ bestätigte sich die Instabilität C5/6, wobei es sich funktionell um eine Subluxationsstellung handelte (Abb. 4). Die Operationsdauer betrug insgesamt 2 Stunden, der Blutverlust konnte mit weniger als 50 ml gering gehalten werden.

Intraoperatives Vorgehen

Der Eingriff erfolgte in modifizierter Bauchlagerung (Concorde-Lagerung). Die HWS wurde in entsprechender Inklination eingestellt, wobei sich im seitlichen Strahlengang die Subluxation im Segment C5/6 zeigte und somit die Instabilität erneut bewiesen war. Es erfolgte eine mediane Hautinzision C4-C7. Die Facettengelenke C5/6 werden bis zur lateralen Begrenzung hin dargestellt. Auch in situ zeigt sich eine Dehiszenz und Subluxation des Gelenks C5/6.

Die Schraubeneintrittspunkte der Massa lateralis werden aufgesucht, die Corticalis eröffnet und die Bohrkanäle gesetzt. Nach Bestätigung der korrekten Lage werden die Bohrkanäle vorgeschnitten und mit polyaxialen Schrauben des Apecx-Systems der Firma Biedermann besetzt.

Nach Foraminotomie C5/6 rechts mit ausreichender Dekompression der Nervenwurzel C6 rechts werden 2 gerade Stäbe eingebracht und die Schrauben mit Innies in üblicher Art und Weise mit dem Drehmomentschlüssel fixiert. Um eine Fusion zu erreichen, erfolgt die Anlagerung von allogenem Knochenmaterial (Grafton) lateral des Instrumentariums im Sinne einer dorsolateralen Spondylodese.

Die Hospitalisationsdauer betrug 5 Tage. Der perioperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Die prä-operativen Beschwerden waren unmittelbar post-operativ vollständig regredient. Dies gilt sowohl für die Brachialgien als auch für die Zervikalgien und Cephalgien.

Die Patientin wurde mit Novalgin (Metamizol) 4× 1 Tablette a 500 mg und Dafalgan (Paracetamol) 4× 1 g entlassen. Die Analgesie konnte bereits innerhalb der ersten 2 Wochen ausgeschlichen werden.

Ergebnis

Die Patientin berichtet unmittelbar postoperativ über vollständige Regredienz ihrer Beschwerden. In der ersten Kontrolle 6 Wochen postoperativ zeigte sich eine unveränderte Stellung der Spondylodese. Klinisch erfreute sich die sehr zufriedene Patientin einer weiterhin vollständigen Beschwerdefreiheit ihrer Zerviko-Cephalgien und Zerviko-Brachialgien. Des weiteren hat die Patientin begonnen, ihre Neuroleptika, die sie seit über 7 Jahren eingenommen hat, zu reduzieren. In der Verlaufskontrolle 3 Monate post-operativ wurde das erfreuliche Ergebnis bestätigt und die Patientin stellte sich ohne erneutes Auftreten der früheren Beschwerden vor. Weiterhin zeigte sich eine unauffällige Neurologie. Die radiologische Kontrolle war ebenfalls unauffällig mit korrekter Implantatstellung und Fusion.

Diskussion

Die anteriore zervikale Diskektomie und Fusion (ACDF) ist der Goldstandard in der Versorgung der zervikalen degenerativen Instabilität und Spondylose. Um ein gewisses Bewegungsausmaß zu erhalten, kann als Alternative die Bandscheibenprothese verwendet werden. Die Indikation in der Bandscheibenprothetik muss genau überprüft werden [14].

Eine ausgedehnte Uncoforaminotomie führt zu vermehrter Beweglichkeit im operierten Segment. Wenn eine radikale Uncoforaminotomie durchgeführt wird, kann dies zu Destabilisierung des Segments führen. Daher sollte bei ausgedehnten Dekompressionen Abstand genommen werden von einer Implantation einer Bandscheibenprothese, da mit Zunahme der Beweglichkeit eine Destabilisierung hervorgerufen wird [15, 16]. Ähnliches postulieren auch Steilen et al. 2014 [17].

Chronische Instabilität kann als Ursache für chronische Zerviko-Cephalgien und Zerviko-Brachialgien angesehen werden [15]. Schmieder et al. führten eine Untersuchung durch, in der die Beweglichkeit nach ventraler Uncoforaminotomie untersucht wurde. Schmieder konnte nachweisen, dass nach einseitiger Uncoforaminotomie eine signifikante Alteration in der Mobilität des entsprechenden Segments gefunden wurde, insbesondere nach Seitwärtsneigung und axialer Rotation. Die Zunahme der Mobilität war weniger deutlich bei Inklination als bei Reklination. Insgesamt war die Seitwärtsneigung deutlich stärker beeinflusst mit einer Zunahme des Bewegungsausmaßes als die Inklination und Reklination nach Uncoforaminotomie. Die Veränderungen nach bilateraler Uncoforaminotomie waren vor allem deutlich bei der Rotation.

Snyder et al. konnten in einer biomechanischen Studie herausarbeiten, dass Uncusresektionen nach Arthroplastie das Bewegungsausmaß erhöhen. Eine bilaterale komplette Uncusresektion führt zu einem signifikant erhöhten Bewegungsausmaß mit Destabilisierung des betroffenen Segments [16].

Wie Vital et al. beschreiben, sollte der Erfolg von einer Implantation einer zervikalen Diskusprothese klar von der Indikationsstellung abhängen. Korrekte Indikation zur Implantation einer zervikalen Bandscheibenprothese sind weiche Hernien, die zu einer Radikulopathie führen oder stenosierende weiche Hernien. Zudem sollte dieses Implantat den jungen Patienten vorbehalten sein. Ossäre Hernien oder sogar bereits bestehende Myelopathie durch Arthrose sind fragliche Indikationen. Kontraindikationen sind vorangehende zervikale Operationen, Facettengelenkarthrosen, Verkalkungen des dorsalen Längsbands, Hyperostosen, Myelopthie durch Retrospondylophyten, traumatische diskale oder ligamentäre Instabilitäten, Osteoporose und Infektionen oder neoplastische Pathologien [18].

In diesem Fall waren die Cephalgien der Patientin, die als Migräne interpretiert wurden, vertebragener Ursache. Da die Cephalgien unmittelbar postoperativ nicht mehr persistierten, handelte es sich unserer Meinung nach um eine Fehlinterpretation der Beschwerden. Ähnliches wird auch von Yi et al. berichtet [19].

Schlussfolgerung

Es handelt sich bei diesem Case-Report nicht um einen Einzelfall. Es ist jedoch wenig über diese Problematik in der gängigen Literatur zu finden. Somit ist es nicht möglich, diese Situation, wie in diesem Case-Report dargestellt, zu verallgemeinern. Allerdings möchten wir darauf aufmerksam machen, dass chronische Zerviko-Cephalgien und Zerviko-Brachialgien ihre Ursache in einer iatrogen verursachten Instabilität nach Bandscheibenimplantation haben können.

Zudem wollen wir aufzeigen, dass das Management unserer Patientin auch an einer peripheren Einrichtung möglich ist. Da die radikulären Beschwerden postoperativ regredient waren, gehen wir davon aus, dass zuvor keine suffiziente Foraminotomie durchgeführt worden war.

Ebenso waren ihre Cephalgien regredient. Wir schließen daraus, dass diese aufgrund der Instabilität hervorgerufen wurden und nicht durch die Fehldiagnose „Migräne“, mit der sie zuletzt über längere Zeit in einer universitären Schmerzambulanz frustran therapiert wurde.

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